SGB-Präsidium: Der «Macher» setzt sich durch

Nr. 49 –

Der Gewerkschaftsbund ruft zum Frauenstreik auf und wählt doch einen Mann zum neuen Präsidenten. Ohne Quoten geht es auch in der Linken nicht vorwärts mit der Gleichberechtigung.

Sieben Minuten hat Pierre-Yves Maillard Zeit, um im Berner Kursaal für sich zu werben. Es hört sich an wie eine Verteidigungsrede. Es gehe heute nicht um die Wahl zwischen einem Mann und einer Frau, sagt Maillard. Zuerst seien sie hier alle Gewerkschafter: «Wir kämpfen gegen jede Ungerechtigkeit, ob wir selbst davon betroffen sind oder nicht!» Nach sieben Minuten wird Maillard – er ist gerade daran zu erklären, dass er trotz seines Spitznamens kein «Bulldozer» sei – von einer Delegierten unterbrochen, seine Redezeit sei um. Maillard ignoriert den Zwischenruf, fährt fort: Ganz der Bulldozer halt.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) wählt an diesem Samstag eine neue Spitze. Verbände und Parteien in der Schweiz bestimmen ihre PräsidentInnen häufig nach internen Ausmarchungen per Akklamation. Dass es beim SGB zu einer demokratischen Wahl kommt, zeigt alleweil die Lebendigkeit der Gewerkschaftsbewegung.

Immer diese Zuschreibungen

Maillard, SP-Regierungsrat in der Waadt, ist als Favorit ins Rennen gestartet, er wurde von der mächtigen Einzelgewerkschaft Unia nominiert. Doch der Druck ist hoch, dass eine Frau den SGB präsidieren sollte. Vor Maillard hat Barbara Gysi gesprochen, SP-Nationalrätin aus St. Gallen, Kandidatin des kleineren VPOD. In den letzten Wochen hat die Aussenseiterin stetig aufgeholt. Viele Delegierte wollen sich am Morgen noch nicht festgelegt haben, wem sie ihre Stimme geben. Eine Überraschung liegt in der Luft. Gysi hat sich bei ihrer Rede an die sieben Minuten gehalten und betont: «Das Wachstum und damit die Zukunft der Gewerkschaften liegt bei den Frauenberufen.»

Beide KandidatInnen halten die gleichen Ziele für vordringlich: den Lohnschutz sichern im Verhältnis zur EU sowie für Lohngleichheit zwischen Mann und Frau kämpfen, mit einem Frauenstreik im kommenden Jahr. Auch bei den FürsprecherInnen für die einzelnen KandidatInnen sind politisch kaum Unterschiede festzustellen, sie liegen eher in den Berufsgruppen, die sie vertreten: Für Maillard sprechen die Industriearbeiter, für Gysi die Vertreterinnen der sozialen Arbeit oder des Kabinenpersonals der Fluggesellschaften.

So ist die Wahl am Ende doch eine zwischen Mann oder Frau oder wie es VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber auf den Punkt bringt: «Bei gleicher Qualifikation eines Mannes und einer Frau fordern wir sonst von den anderen auch, dass sie der Frau den Vorzug geben.» Am Schluss gewinnt doch der Mann: Maillard erzielt 115 Stimmen, Gysi deren 82. Nur ein Dutzend mehr für sie, und es wäre knapp geworden.

Die Delegierten trauten dem Mann, der in den Voten als «Macher», als «Kenner des Terrains» dargestellt worden war, offenbar doch mehr zu. Dass das Resultat in einem Fahnenmeer für den Frauenstreik verkündet wird, entbehrt nicht einer gewissen Komik: Die Gleichberechtigung ist auch in einer linken Organisation wie dem SGB nicht gegeben, muss ständig erkämpft werden. Ohne konsequente Mittel wie Frauenquoten oder Doppelkandidaturen, ohne die Veränderung von sprachlichen Zuschreibungen geht es auch hier nur langsam vorwärts.

Gegen die «Besoffenheit»

Sofern Pierre-Yves Maillard seinen Paternalismus ablegt, könnte er im Übrigen ein guter Präsident werden. Von seinen umstrittenen Steuerdeals in der Waadt abgesehen, hat Maillard gegen die Liberalisierung des Strommarkts und die Privatisierung der PTT gekämpft: Die Auseinandersetzungen um den Service public dürften sich in Zukunft wieder akzentuieren.

Vor der Wahl hatten die Delegierten gezeigt, dass der SGB anderswo weiter ist als in der Gleichberechtigung. Einstimmig nahmen sie eine Resolution für den Uno-Migrationspakt an. In der Bilanz seiner zwanzig Jahre meinte der abtretende Gewerkschaftspräsident Paul Rechsteiner, der Ausschluss eines Viertels der Bevölkerung von den politischen Rechten sei ein unhaltbarer Zustand. «Wir stehen ein für eine Schweiz der gleichen Rechte für alle.» Und weiter: «Das Denken über den Nationalstaat hinaus werden wir gerade in Zeiten nationalstaatlicher Besoffenheit wieder mehr pflegen müssen.»