CO2-Uhr: «Wir müssen schneller handeln als bisher – der Countdown läuft»

Nr. 50 –

Wie den Klimawandel veranschaulichen und die Dringlichkeit entschlossenen politischen Handelns aufzeigen? Die Klimawissenschaftlerin Brigitte Knopf erklärt, wie die CO2-Uhr dabei helfen soll.

Brigitte Knopf

WOZ: Frau Knopf, auf der Website Ihres Instituts tickt eine CO2-Uhr, und zwar rückwärts. Was misst sie?
Brigitte Knopf: Sie misst die Zeit, die wir noch haben, bis die Atmosphäre komplett mit CO2 angefüllt ist. Anders formuliert: Wenn wir so weitermachen wie bisher, also so viel CO2 ausstossen wie in den letzten Jahren, dann bleiben uns gemäss CO2-Uhr noch 9 respektive gut 24 Jahre, um die Klimaerwärmung längerfristig auf 1,5 Grad oder 2 Grad zu beschränken, wie dies an der Klimakonferenz in Paris als Ziel festgelegt wurde.

Das klingt alarmierend. Läuft die Uhr auch genau?
Die Uhr kann gar nicht genau sein. Wir stützen uns auf die neusten Zahlen, die der Weltklimarat IPCC eben vorgelegt hat. Und die besagen, dass wir nur noch 420 Gigatonnen CO2 emittieren dürfen, wenn die Temperatur bis Ende dieses Jahrhunderts um nicht mehr als 1,5 Grad steigen soll. Diese Zahl ist aber mit vielen Unsicherheiten behaftet. Zum Beispiel in puncto Klimasensitivität, also der Frage, wie stark die Temperaturänderung auf Emissionen reagiert. Oder wenn es darum geht, wie gross die bisherige Erwärmung überhaupt ist und gegenüber welcher Temperatur man das misst. Dazu gibt es nämlich neuerdings zwei Angaben: Die eine bezieht sich auf die Temperatur an der Erdoberfläche, die andere auf eine Höhe von zwei Metern. Überhaupt stellen sich Fragen: Werden wir weiterhin jedes Jahr 42 Gigatonnen ausstossen? Werden es in den nächsten drei Jahren vielleicht doch endlich ein bisschen weniger sein – oder sogar noch mehr?

Demnach ist die Uhr eher symbolisch zu verstehen?
Genau – und als politisches Symbol ist sie enorm wichtig: die Uhr, die tickt. Wie eine Sanduhr, bei der man zuschauen kann, wie die Zeit verrinnt. Mit der CO2-Uhr wollen wir auf unserer Website die Klimaerwärmung sichtbar machen.

Und das funktioniert?
Wir bekommen sehr viele positive Reaktionen – viele Leute wollen die Uhr auf ihrer Website einbinden. Es gibt auch zahlreiche Detailnachfragen. Ich glaube, diese grafische Darstellung kommt sehr gut an. Wir haben uns dabei von der sogenannten Schuldenuhr inspirieren lassen: Sie misst, wie viele finanzielle Schulden wir täglich anhäufen. Mit unserer Uhr zeigen wir, dass es auch CO2-Schulden gibt, die wir anhäufen, und dass die Zeit unheimlich knapp ist, bis wir die «Maximalschuld» von 420 Gigatonnen erreicht haben. Das Problem ist: Wir haben kein Gefühl dafür, wie gross diese Zahl wirklich ist. Rechnet man dieses verbleibende Budget aber in Jahre um, wird es plötzlich greifbar. Und so bekomme ich als normale Bürgerin ein Gefühl dafür, was es tatsächlich bedeutet. Das ist die Idee hinter der CO2-Uhr: die knappe Zeit, die uns noch bleibt, deutlich zu machen und die ganzen wissenschaftlichen Daten einmal herunterzubrechen.

An wen richtet sich die Uhr?
An die breite Bevölkerung – wir versuchen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf diesem Weg noch stärker in die politische Debatte einzubringen. Die Bevölkerung soll auf die Politiker zugehen und sagen: «Leute, ihr müsst was tun!»

Funktioniert die Uhr als Argument?
Sie zeigt vor allem zwei Dinge. Erstens kommt es auf die Gesamtmenge, auf das Budget an. Es zählt alles, was wir bisher emittiert haben – und es zählt alles, was wir künftig emittieren werden. Es reicht also nicht, wenn wir in drei Jahren ein bisschen weniger CO2 ausstossen, weil alles angehäuft wird, wie auf einer Deponie. Wir schleppen ein Schuldenkonto mit uns mit. Nebst diesem eher psychologischen soll die Uhr einen politisch-didaktischen Effekt haben: Das Budget ist endlich – wir müssen irgendwann unsere Emissionen auf null reduzieren. Uns steht nur noch eine ganz begrenzte Menge an CO2 zur Verfügung, wenn wir die Klimaziele einhalten wollen, und die ist schneller aufgebraucht, als wir denken. Ganz ehrlich: Vor dem Hintergrund, dass politisch gerade so wenig passiert, finde ich es eine Marginalie, ob wir noch fünf, neun oder fünfzehn Jahre haben. Die Zeit drängt, und mein Gefühl ist auch, dass genau dies in der Bevölkerung langsam ankommt.

Und wie steht es um die Politik? Reicht es tatsächlich, wenn Länder wie die Schweiz ihren CO2-Ausstoss bis 2030 um lediglich fünfzig Prozent gegenüber 1990 reduzieren wollen, und erst noch möglichst viel davon durch Kompensationen im Ausland?
Die Politik hinkt dem Klimawandel stark hinterher. Das ist in der Schweiz nicht anders als in Deutschland, wo wir noch nicht einmal die Klimaziele von 2020 werden einhalten können. Tatsache ist aber auch: Dieses 1,5-Grad-Ziel ist sehr ambitioniert. Dazu müssten wir global die Emissionen halbieren und dürften ab 2050 gar kein CO2 mehr ausstossen. Ob das machbar ist vor dem Hintergrund der politischen Debatten, die wir aktuell führen, kann man bezweifeln.

Was wäre politisch am dringendsten?
Aus meiner Sicht ist es zentral, dass CO2 einen Preis bekommt. Weshalb sollte man CO2 umsonst in der Atmosphäre ablagern dürfen? Immerhin werden die Schäden, die durch den Klimawandel entstehen, auf die Allgemeinheit abgewälzt. Die Kosten müssen alle tragen, doch die Profite aus der fossilen Wirtschaft landen bei einigen wenigen. Gerade in Deutschland ist klar: Wenn CO2 nicht endlich einen Preis bekommt, dann haben die erneuerbaren Energiequellen gegen die billige Kohle keine Chance. Gewisse Debatten kommen jetzt in Gang, zum Beispiel über eine Reform der Energiesteuer, die auf Basis des CO2-Gehalts von Kohle, Heizöl und Benzin erhoben wird. Aber die politische Umsetzung läuft viel zu langsam.

Was geschieht, wenn der Countdown der CO2-Uhr abgelaufen ist?
Es ist nicht plötzlich Doomsday, und die Welt geht unter. Zum einen ist, selbst wenn die Uhr abgelaufen ist, die Welt noch nicht um 1,5 Grad wärmer. Denn es gibt Trägheiten im System, die den Temperaturanstieg verzögern. Und letztlich sind ja auch diese 1,5 Grad ein symbolisches Ziel – wir wissen nicht, auf welche Erwärmung der Atmosphäre es schliesslich hinausläuft. Klar ist, dass die Folgen massiv sein werden.

Lässt sich der Countdown noch verlangsamen?
Wenn wir tatsächlich schnell mit den globalen Emissionen runtergehen – also statt 42 Gigatonnen pro Jahr nur mehr 38 oder 35 ausstossen –, dann haben wir eine andere Ausgangsbasis für die Berechnungen und gewinnen Zeit. Es wäre extrem wichtig, dass wir diesen Umschwung schaffen. Abgesehen davon: Es lohnt sich auch dann noch, etwas zu tun, wenn der Countdown bereits drei Jahre vor Ablauf steht. Aber wir müssen wirklich schneller handeln, als wir das bisher getan haben.

Brigitte Knopf

Die Klimawissenschaftlerin Brigitte Knopf (45) ist Generalsekretärin des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin.