Auf allen Kanälen: Investigativ = kriminell?
Ein internationales JournalistInnenteam deckt den grössten Steuerskandal in der Geschichte Europas auf, auch Schweizer Banken sind involviert. Die Reaktion der Schweizer Justiz: Ermittlungen gegen einen Journalisten.
Oliver Schröm ist einer der renommiertesten Investigativjournalisten Deutschlands. Der 54-Jährige arbeitete schon für den «Stern» sowie für diverse Politmagazine bei ARD und ZDF. Seit letztem Jahr ist Schröm Chefredaktor der Rechercheplattform «Correctiv». In dieser Funktion koordinierte er die vielleicht wichtigste europäische Enthüllungsgeschichte dieses Jahres: die Cum-Ex-Recherche.
Unter Schröms Leitung deckte ein Team von 38 JournalistInnen aus 19 Medienhäusern auf, wie eine Seilschaft, bestehend aus Banken, AnwältInnen und Superreichen, einem Dutzend EU-Staaten «mindestens 55 Milliarden Euro an Steuergeldern raubte». Die Seilschaft nutzte dabei – zumindest teilweise illegal – ein Steuerschlupfloch bei Aktienkäufen. In der Schweiz berichtete die «Republik» mehrmals darüber.
Oliver Schröm war schon länger am Thema dran. Bereits 2014 publizierte er eine Recherche rund um die Schweizer Privatbank J. Safra Sarasin. Diese hatte Cum-Ex-Deals an ihre reichen KundInnen vertrieben, etwa an den deutschen Drogeriekönig Erwin Müller. Dieser verklagte die Bank jedoch vor ein paar Jahren, weil er nicht genügend über die Risiken der Cum-Ex-Praxis aufgeklärt worden sei. Erst kürzlich ist die Privatbank in Deutschland in zweiter Instanz zu einer Zahlung von 45 Millionen Euro Schadenersatz verpflichtet worden.
Entrüstung über Zürcher Behörden
Die Reaktion des Schweizer Rechtsstaats auf die Enthüllungen Schröms liess nicht lange auf sich warten. Die Zürcher Staatsanwaltschaft verhaftete kurz nach der Publikation der Recherche zwei frühere Mitarbeiter der Bank J. Safra Sarasin. Sie wurden verdächtigt, geheime Kundendaten weitergegeben zu haben – an Schröm. Dieser geriet damals ebenfalls ins Visier der Zürcher Ermittlungsbehörde: wegen angeblicher Wirtschaftsspionage. Anscheinend verliefen diese Ermittlungen im Sand.
Doch letzte Woche ist publik geworden, dass gegen Schröm erneut Ermittlungen laufen. Und zwar seit dem 19. März, als die Zürcher Staatsanwaltschaft ein «Strafübernahmeersuchen» nach Hamburg schickte und die dortige Staatsanwaltschaft bat, gegen den «Correctiv»-Chefredaktor wegen «Verletzung des Geschäftsgeheimnisses» zu ermitteln. Das Datum ist erwähnenswert, weil das Rechercheteam von Schröm genau am selben Tag vormittags einen Fragebogen an die Zürcher Staatsanwaltschaft schickte bezüglich «fragwürdiger Methoden gegen einen deutschen Whistleblower».
Die Wiederaufnahme der Ermittlungen löste eine Welle der Empörung im Medien- und Politbetrieb aus, die nicht zuletzt ein Schlaglicht auf die Prioritätensetzung des Schweizer Rechtsstaats wirft. Exemplarisch dafür steht die Antwort von Frank Überall, dem Vorsitzenden des Deutschen Journalistenverbands: «Die Staatsanwaltschaft Hamburg macht sich zum Handlanger einer interessengeleiteten Schweizer Justiz: Investigative Journalisten und ihre Informanten aus der teils hochkriminell agierenden Bankenbranche sollen zum Schweigen gebracht werden.»
Mehrere Tausend Personen – darunter fast alle namhaften JournalistInnen Deutschlands – unterschrieben zudem einen Protestbrief von «Correctiv» ans deutsche Justiz- und Finanzministerium.
Unfreiwillige Schützenhilfe
So belastend die Ermittlungen für Schröm sind – er berichtet von Privatdetektiven, die ihn beschattet hätten –, haben sie doch auch eine gute Seite. Unfreiwillig befeuerte das Vorgehen der Zürcher Staatsanwaltschaft nämlich eine dringliche politische Debatte, die sonst kaum so viel Beachtung gefunden hätte: Im Bundestag wird derzeit das neue «Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen» debattiert, wobei es sich um die Umsetzung einer EU-Richtlinie handelt. Bereits Anfang 2019 soll es in Kraft treten. Bei der letztwöchigen Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags kam laute Kritik am Gesetz auf. Insbesondere an der möglichen abschreckenden Wirkung für Medien, denn JournalistInnen sind von den neuen Regelungen nicht explizit ausgenommen. So ist beispielsweise unklar, ob künftig InformantInnen preisgegeben werden müssen, was einer Aushöhlung des Quellenschutzes gleichkommt. Hinzu kommt, dass der Rechtsschutz von WhistleblowerInnen nicht genügend gewährleistet ist. Gut möglich, dass das Gesetz doch noch verbessert wird.