FDP: Sie lassen keine Dummheit aus
Die Freisinnigen haben sich geschickt vom Ruf einer Geld- und Elitenpartei befreit. Doch vor den Wahlen 2019 kehrt der alte Hochmut zurück. Umso dringender ist eine ökosoziale Wende.
Sie waren gut unterwegs zum Wahlsieg, die Freisinnigen. In den Umfragen legten sie stetig zu. Petra Gössi, die Präsidentin, sprach nicht länger von einer Partei. Eine Bewegung wolle sie formen, meinte sie selbstbewusst am Parteitag im März in Zug, als man die Wahlziele für 2019 festlegte: «Ich will, dass wir eine Bewegung für eine offene Schweiz sind, die für die Schweizerinnen und Schweizer einen Mehrwert bringt und diesen auch aufzeigt.»
Doch plötzlich sind da wieder diese Irritationen. Positionsbezüge, die wie von Lobbyisten gesteuert wirken, ob bei der Waffenausfuhr oder beim CO2-Gesetz. Hinzu kommen die aussenpolitischen Eskapaden eines Bundesrats, die persönliche Bereicherung eines Regierungsrats. Plötzlich steht wieder der neue, alte Verdacht im Raum: dass die FDP gar keine Volksbewegung, sondern eine Geld- und Elitenpartei ist.
Unglaublich an dieser Feststellung ist, dass sie vergessen gehen konnte. Das kann wohl nur in der Schweiz passieren, diesem Land, das seine Freiheit gerne vor die Französische Revolution datiert, aber bei der jüngeren Vergangenheit immer Erinnerungslücken hat: 2008, war da was?
Und die Geschichte konnte wohl auch nur von der FDP überschrieben werden, die davon überzeugt ist, diesen Staat 1848 gegründet zu haben, weshalb er ihr auch ein bisschen mehr gehört als allen anderen. Oder wie es heute noch in der «liberalen Vision» heisst, die von der Partei im Sommer verabschiedet wurde: «Wir sind die Partei, die dieses Land gross gemacht hat und alle wichtigen Institutionen geschaffen und entwickelt hat.» Man muss den Satz in seiner Überheblichkeit schon wiederholen: das Land gross gemacht! Die wichtigen Institutionen geschaffen! Nicht nur geschaffen, auch entwickelt!
Die Neuerfindung
Dieses Selbstverständnis wurde nur in kurzen Phasen erschüttert. 2001, als die Swissair gegroundet wurde, die fliegende Bank mit all ihren Verwaltungsregierungsräten aus der FDP an Bord. SVP-Milliardär Christoph Blocher rechnete mit der Verfilzung ab, seither tobt zwischen den Parteien ein Streit um die Vormacht in Sachen Wirtschaftskompetenz. Und noch einmal geriet das Selbstverständnis durcheinander, 2008 während der Finanzkrise. Per Notrecht musste damals der Staat die Grossbank UBS mit 68 Milliarden Franken retten.
«Mehr Freiheit, weniger Staat» hatte der Wahlslogan der FDP einst gelautet, ein möglichst freier Markt, ein flexibles Arbeitsrecht und die Privatisierung des Service public wurden Glaubenssätze der Partei. Und dann das: die Staatsrettung einer Grossbank.
Wie die FDP daraufhin die Geschichte neu schrieb, ist eine Komödie von beinahe dürrenmattscher Prägung. Finanzminister Hans-Rudolf Merz, früher im Sold der UBS, wurde nach der Bankenrettung ausgewechselt. Er verabschiedete sich mit einem Witz über Trockenfleisch aus den Berggebieten. Ersetzt wurde er durch Johann Schneider-Ammann, Maschinenbauer, Patron alter Schule, Vertreter des Werkplatzes. Auch das Parteipräsidium wechselte, vom distinguierten Anwalt Fulvio Pelli zum hemdsärmligen Gipser Philipp Müller. Er war bekannt geworden mit einer Initiative, die den AusländerInnenanteil in der Schweiz auf achtzehn Prozent beschränken wollte. So wie die SVP die Wirtschaftskompetenz der FDP angriff, ahmte diese sie bei der Repression gegen AusländerInnen nach. Vermutlich haben beide Parteien mehr voneinander, als ihnen lieb ist.
Auch wenn die Glaubenssätze die alten blieben, wirkte die Partei jetzt bodennah. Die Strategie ging auf: 2011 erlitten die FDP und die mit ihr fusionierten Liberalen zwar eine historische Niederlage. Doch schon 2015 gewannen die Freisinnigen drei Mandate dazu, gemeinsam mit der SVP haben sie im Nationalrat seither sogar die Mehrheit. Weil sich der neue Präsident der CVP, Gerhard Pfister, wertkonservativ gab, war von einem «bürgerlichen Schulterschluss» die Rede.
So ungelenk die Wortschöpfung, so politisch wirkungslos blieb sie fürs Erste. Die Legislatur war in der ersten Hälfte von Geschäften aus der vorangehenden geprägt. Dazu wirkte der Ständerat als Korrektiv, auch die Stimmberechtigten reagierten: Die Unternehmenssteuerreform III, die von der neuen rechten Mehrheit mit Steuergeschenken an Konzerne überladen wurde, verwarfen sie hochkant. Doch spätestens ab der zweiten Legislaturhälfte kehrte die FDP zu altem Hochmut zurück.
Unter Druck der Lobbys
Zum Schlüsselereignis wurde die Bundesratswahl im Herbst 2017. Ins Amt schaffte es Ignazio Cassis dank der Stimmen der SVP. Er weiss es der Partei zu danken. Aussenpolitik ist Innenpolitik, lautet seine simple Denkart. Cassis kritisierte die Entwicklungshilfe, lockerte auf Drängen der Rüstungslobby die Waffenausfuhr und stellte in den Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU die flankierenden Massnahmen zum Lohnschutz infrage. Cassis übernimmt selbst keine Verantwortung, sieht sich bloss in der Rolle des Moderators. Nachdem seine Verhandlungen mit den Sozialpartnern scheiterten, lädt er diese in den kommenden Monaten zu einer Konsultation über das Scheitern.
Noch weniger ruhmreich verhielt sich sein Gegenkandidat von 2017, der Genfer Regierungsrat Pierre Maudet. Er geriet wegen einer Gratisreise in die Kritik, verstrickte sich zunehmend in Lügen, hielt an seinem Amt fest. Die nationale FDP forderte ihn zum Rücktritt auf, und doch bleibt der Eindruck: Die Selbstbedienungsmentalität von Maudet ist bloss die letzte Konsequenz der Werte seiner Partei. Der Staat gehört der FDP eben ein bisschen mehr.
Die glanzvolle Wahl von Karin Keller-Sutter in den Bundesrat überstrahlte kurz das Versagen der Männer. Bis sie statt im Wirtschafts- im Justizdepartement landete. Cassis hat wieder einmal für die SVP geschaut.
Auch im Parlament geriet die Partei ausser Rand und Band. Erst schloss sie sich einer rechtsextremen Kampagne gegen den Uno-Migrationspakt an. Nachdem sie geholfen hat, die SVP-«Masseneinwanderungsinitiative» abzumildern, will sie wohl in der Migrationspolitik dort Härte markieren, wo es nichts kostet. Zum Fiasko wurde die Beratung des CO2-Gesetzes im Nationalrat. Gemeinsam mit der SVP schwächte die FDP das Gesetz derart ab, dass ihm SP und Grüne nicht länger zustimmen wollten. Der Titel der Medienmitteilung der FDP sagt denn auch alles zur neuen Selbstherrlichkeit: «Linke Parteien verweigern die Umsetzung des Pariser Klimaübereinkommens.»
Das Verhalten der FDP in der Klimadiskussion mag zwei Gründe haben: Zum einen stellt nichts so sehr ihr Mantra vom freien Markt infrage wie die Klimakatastrophe. Anzuerkennen, dass der Markt den Verbrauch der natürlichen Ressourcen nicht in Wert setzt, bedeutete eine Hinterfragung des eigenen Weltbilds. Zum anderen ist der Druck der Lobby der Öl- und Gaskonzerne auf diesem Gebiet stark. Mitte Januar lädt der Gewerbeverband zu seiner jährlichen Wintertagung in Klosters, wo er vor den Wahlen sein KMU-Rating von PolitikerInnen veröffentlicht: Es ist eines der Disziplinierungsinstrumente, damit die bürgerlichen ParlamentarierInnen gegen Regulierungen stimmen – gerade im Umweltbereich.
Die grosse Chance
Mit Blick auf das kommende Wahljahr wird immer deutlicher, dass sich die bürgerlichen Parteien bis heute nicht gefunden haben. Bei der CVP hat sich mit der letzten Bundesratswahl der christlich-soziale Flügel zurückgemeldet. Die SVP ist nach der krachenden Niederlage ihres Prestigeprojekts «Selbstbestimmung» mit sich selbst beschäftigt, die Erbfolge in der Partei bleibt ungeklärt.
Eine bessere Ausgangslage für die Wahlen 2019 hätten sich die Parteien links und in der Mitte gar nicht erträumen können. Es wird darum gehen, ob weiterhin marktgläubige Rezepte von gestern angepriesen und die Interessen der Vermögenden bedient werden. Oder ob eine ökosoziale Wende gelingt: Die Klimakatastrophe kann nur mit einer Wirtschaftspolitik abgeschwächt werden, die sich nicht bloss am Profit orientiert. Für die breite Bevölkerung bringen nicht tiefere Unternehmenssteuern einen Mehrwert, sondern tiefere Krankenkassenprämien.
Letztlich geht es bei den Wahlen 2019 um die Schweiz als Firma der FDP – oder um eine Gesellschaft mit Zukunft.