Klimakonferenz in Kattowitz: Rasender Stillstand am Pokertisch

Nr. 51 –

Die Industrieländer haben sich auf der Klimakonferenz im polnischen Kattowitz durchgesetzt: Sie dürfen bei der Finanzierung von Klimaschutzmassnahmen im Ausland tricksen und verschleiern. Die Schweiz spielte in den Verhandlungen eine besondere Rolle.

Die Einschätzungen der Nichtregierungsorganisationen zu den Ergebnissen der Klimakonferenz in Kattowitz fallen durch sehr unterschiedliche Wahrnehmungen auf. Der WWF Schweiz etwa schreibt von einem «guten und wichtigen Schritt», der mit dem erarbeiteten Regelbuch gemacht worden sei. Delegationsteilnehmer Manuel Graf, Leiter Politik beim WWF, ergänzt gegenüber der WOZ: «Künftig lassen sich die Anstrengungen der einzelnen Staaten zur Verminderung des Klimawandels mit einheitlichen Methoden messen und darstellen.» Auch die deutsche Umweltorganisation Germanwatch schreibt von einer «soliden technischen Grundlage».

Regeln zu verabschieden, ist allerdings das eine, die Treibhausgase dann auch konkret zu reduzieren, das andere. Und da ist die Welt noch immer auf dem entgegengesetzten Weg. Der CO2-Ausstoss wird 2018 um 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr zunehmen. Die Hilfsorganisation Oxfam schreibt in einem Communiqué denn auch von einem «beschämenden Führungsvakuum», das sich in Kattowitz offenbart habe. Für die globale Kampagnenorganisation 350.org wurde die Klimakonferenz durch die jetzigen «Minischritte» gar in die «Irrelevanz» geführt.

Löcher bei der Finanzierung

Das beschlossene Regelwerk wird von vielen Seiten auch ganz substanziell kritisiert. Greenpeace ortet darin «empfindliche Löcher». Auch Jürg Staudenmann, der für die entwicklungspolitische Organisation Alliance Sud in Kattowitz teilgenommen hat, zeigt sich enttäuscht: Vor allem im Bereich der Finanzierung der nötigen Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in den Ländern des Globalen Südens sei das Regelwerk zu wenig ambitioniert. «Die Industrieländer können sich auch mit diesem Regelwerk immer noch aus ihrer Verantwortung stehlen», sagt er.

Worum geht es? Schon an der grossen Umwelt- und Entwicklungskonferenz der Uno in Rio 1992 haben die Industrieländer anerkannt, dass sie die Verantwortung für den Klimawandel tragen und diese mit «neuen und zusätzlichen finanziellen Mitteln» zu schultern hätten. Noch vor der Klimakonferenz von Kopenhagen 2009 wurde beschlossen, dass die Industriestaaten die Länder des Globalen Südens ab 2020 mit jährlich hundert Milliarden US-Dollar für Klimaschutzmassnahmen und Anpassungsleistungen an den Klimawandel unterstützen müssen. In Kattowitz wurde das Regelwerk jetzt allerdings so ausgestaltet, dass diese Gelder nicht als effektive Abtretungen der Industriestaaten zu betrachten sind; sie können stattdessen auch in Form von Krediten fliessen. Das heisst nichts anderes, als dass das Schuldprinzip in Kattowitz ausgehebelt wurde. Ärmere Länder, die kaum etwas zum globalen CO2-Ausstoss beitragen, müssen sich möglicherweise gar verschulden, um sich vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Besonders betroffen sind gemäss Staudenmann neben vielen Inselstaaten auch Länder wie Bangladesch, wo dicht bevölkerte Landstriche von Überschwemmungen bedroht sind.

Auf Druck der Industriestaaten wurde auch die Transparenz im Regelwerk verschleiert. Es fehlt eine einheitliche Regel, um zu messen und zu vergleichen, wie viele eigene Mittel die Staaten bei vergünstigten Krediten effektiv beisteuern. Auch die Schweiz hat sich in den Verhandlungen gegen eine solche Regel ausgesprochen: Sie sei das falsche Instrument.

Die Schweiz vorneweg

Die Schweiz zog in Kattowitz auch sonst den Ärger vieler NGOs und ärmerer Länder auf sich. In einer Erklärung machte die Verhandlungsdelegation klar, was sie unter «mehr und zusätzlichen» Geldern versteht, die den betroffenen Ländern zu zahlen seien: Geld könne demnach auch von der Entwicklungszusammenarbeit in den Klimaschutz umgeleitet werden. Der Schweizer Verhandlungsführer Franz Perrez sagt dazu: «Klimahilfe ist immer auch Entwicklungshilfe. Man kann das nicht trennen.» NGOs befürchten denn auch, dass finanzielle Mittel künftig statt für Schulen und Spitäler neu für Schutzmassnahmen bei Überschwemmungen und den Bau neuer Solaranlagen ausgegeben werden. Als wäre nicht alles genau gleich wichtig.

Auch sonst spielte die Schweiz im Interesse der Industriestaaten eine führende Rolle. Sie initiierte Monate vor der Konferenz mehrere Treffen von führenden Industriestaaten, darunter die USA, Grossbritannien und Frankreich, um sich auf eine gemeinsame Verhandlungsposition in der Finanzierungsfrage zu einigen, wie Perrez bestätigt. Die Industriestaaten sind mit der gemeinsamen Strategie in die Verhandlungen getreten, das Finanzierungsdossier mit den Regeln zur Emissionsreduktion zu verknüpfen.

Jürg Staudenmann von Alliance Sud kritisiert dieses Vorgehen. Er spricht von einem Poker, in dem die Schweiz mitspiele. Die Klimaverhandlungen seien in die Länge gezogen worden, und erst am Schluss hätten die Beteiligten ihre Karten offengelegt. «Für echte konsensorientierte Verhandlungen gab es wenig Platz.» Der renommierte deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber brachte während der Konferenz in Kattowitz die Situation in einem Interview mit der Nachrichtenagentur DPA treffend auf den Punkt: Man befinde sich in einem «rasenden Stillstand»: «Alle sind unheimlich beschäftigt, alle sind unheimlich gestresst, und für das Klima gibt es vielleicht einen Millimeter Fortschritt.»