Präsidentschaftswahl in El Salvador: In zehn Jahren zum politischen Bankrott
Die ehemalige Guerilla FMLN hat ihre einstigen WählerInnen durchs Band enttäuscht: Am Sonntag erwartet die Linke in El Salvador eine historische Wahlniederlage. Lachender Profiteur dürfte Nayib Bukele werden, ein Kandidat ohne Programm.
Die Mordquote El Salvadors ist seit Jahren eine der höchsten der Welt, sie ist mehr als doppelt so hoch wie jene in Mexiko mit seinem Drogenkrieg. Opfer sind in der überwiegenden Mehrheit junge Männer aus den Armenvierteln. In der Polizei gibt es Todesschwadronen, die Verdächtige gezielt erschiessen, anstatt sie zu verhaften und vor Gericht zu bringen. Der Vizepräsident hat solche staatlichen KillerInnen gar schon öffentlich ermuntert: PolizistInnen, sagte er, brauche die Hand beim Schiessen nicht zu zittern, sie hätten nichts zu befürchten.
Seit zehn Jahren wird El Salvador mit seinen rund sechs Millionen EinwohnerInnen von der Linken regiert. Am kommenden Sonntag wird ein neuer Präsident gewählt, und die Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) wird voraussichtlich die schwerste Niederlage erleiden, seit sie vor fast drei Jahrzehnten von einer marxistischen Guerilla zur Partei geworden ist. Ihr Kandidat Hugo Martínez, jahrelang Aussenminister, erreicht in den allermeisten Umfragen nicht einmal ein zweistelliges Ergebnis. Sogar bei ihrer ersten Kandidatur, im März 1994, hatte ihr damaliger Kandidat im ersten Wahlgang knapp 25 Prozent der Stimmen erzielt.
Es folgten fünfzehn Jahre in der Opposition. «Lieber bleiben wir unseren Idealen treu, als dass wir sie verraten, um an die Macht zu kommen», sagte Schafik Handal, viele Jahre Generalsekretär und Fraktionsvorsitzender, einmal in einem Interview. Handal war immer dagegen, aus Machtkalkül mit dem beliebten parteilosen Fernsehjournalisten Mauricio Funes als Präsidentschaftskandidaten anzutreten. Er glaubte, Funes wolle die FMLN nur als Vehikel für eigene Interessen nutzen.
Handal erlag Anfang 2006 einem Herzinfarkt, drei Jahre später wurde Funes Präsident. Bei der Amtseinführung versprach er eine FMLN-Regierung für die Armen, die gegen Korruption und Straffreiheit kämpfe. Das Amnestiegesetz, das die KriegsverbrecherInnen des Bürgerkriegs (1980–1992) schützt, solle fallen. Kurzum: Es solle alles anders werden als während der zwanzig Jahre unter der rechtsextremen Oligarchenpartei Arena.
Der Sündenfall Funes
Die FMLN hat seither alle Versprechen gebrochen, für die sie zweimal gewählt worden ist. Nie wurde eine Steuerreform angegangen, um die reiche Oberschicht zugunsten von Sozialprogrammen für die Armen zu belasten. An der überbordenden Gewalt – drei grosse Zusammenschlüsse von Banden überziehen das Land mit Schutzgelderpressung, kontrollieren den Drogen- und Menschenhandel und ermorden jährlich Tausende Menschen – ist die FMLN genauso gescheitert wie zuvor die Arena. Zwar hatte die Regierung Funes mit dem organisierten Verbrechen verhandelt und damit die Zahl der Morde für ein paar Monate reduziert. Der ehemalige Guerillakommandant Salvador Sánchez Cerén setzte dann aber als zweiter FMLN-Präsident von 2014 bis heute wieder auf Repression.
KriegsverbrecherInnen geniessen unter der FMLN-Regierung denselben Schutz wie zuvor. Die Generalamnestie für im Bürgerkrieg begangene Verbrechen gilt bis heute – und das, obwohl der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte 2012 ihre Aufhebung angeordnet und das salvadorianische Verfassungsgericht sie 2016 für verfassungswidrig erklärt hat. Medardo González, seit 2004 Generalsekretär der FMLN, begründet dies genauso wie einst die extreme Rechte: Eine Aufhebung der Amnestie «ist nicht opportun und schafft nur Instabilität», liess er verlauten.
Auch der versprochene Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft war kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Funes holte nicht nur seine damalige Ehefrau Vanda Pignato ins Kabinett, sondern liess auch seiner damaligen Geliebten und heutigen Partnerin Ada Mitchell Guzmán einen Diplomatenpass ausstellen, obwohl sie keinerlei Funktion ausübte. Sánchez Cerén machte seine Enkelin zur Chefin der staatlichen Armutsbekämpfungsprogramme – ganz ohne Ausbildung oder Erfahrung. Heute wirft die Staatsanwaltschaft Funes die Unterschlagung von 351 Millionen US-Dollar vor, seiner Verhaftung entzog er sich durch die Flucht nach Nicaragua. Generalstaatsanwalt Douglas Meléndez hatte zuvor Funes’ rechten Amtsvorgänger Antonio Saca wegen der Unterschlagung von 300 Millionen Dollar vor Gericht gebracht, er wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. Als im Parlament die Amtszeit von Meléndez verlängert werden sollte, lehnten die FMLN und die Arena dies ab: Stattdessen hievte diese Links-Rechts-Koalition einen rechten Oligarchen ins Amt des Generalstaatsanwalts.
So sind nun beide Parteien desavouiert, die während der letzten drei Jahrzehnte die Politik El Salvadors bestimmten. Und alles deutet darauf hin, dass dies den Weg freimacht für einen Scharlatan, der vom politischen Betrieb bisher vergleichsweise unbefleckt geblieben ist: den 37-jährigen Nayib Bukele.
Dieser war zuletzt drei Jahre lang Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador, und seine Chancen stehen gut: Umfragen geben ihm fast zwanzig Prozentpunkte Vorsprung auf den Zweitplatzierten. Der schillernde Kandidat stammt aus einer steinreichen Familie, er betrieb einst eine Werbeagentur und war Alleinimporteur einer Motorradmarke. Er trägt sein Haar mit viel Pomade nach hinten gekämmt, dazu einen akkurat gestutzten Vollbart. Sein Markenzeichen sind Socken in schreienden Farben.
Bloss eine coole Marke
Die politische Karriere von Nayib Bukele begann 2012, als er zum Bürgermeister von Nuevo Cuscatlán gewählt wurde, einem kaum 8000 EinwohnerInnen zählenden Ort, ein paar Kilometer südlich der Hauptstadt. Bukele war für die FMLN angetreten, für die er bereits als Werbefachmann gearbeitet hatte. Erst durch ihn kam Cuscatlán überhaupt auf die politische Landkarte El Salvadors: Wie kein anderer nutzte Bukele Internetplattformen wie Facebook und Twitter, gab darüber die Errichtung jeder neuen Strassenlampe bekannt. Drei Jahre später eroberte die FMLN mit ihm als Kandidaten nach sechs Jahren Rechtsregierung das Bürgermeisteramt der Hauptstadt zurück. Dass er im Wahlkampf jede Menge Trolle und Bots eingesetzt und mit Fake News gearbeitet hatte, dass sein halbes Wahlkampfteam wegen Fälschungen verhaftet wurde: egal. Was zählte, war der Erfolg. Als Bürgermeister hielt er Distanz zur FMLN, und als diese ihn ausschloss, störte ihn das kaum: Er ist kein Parteimensch, sein Programm ist er selbst.
Für die Präsidentschaftswahl schloss sich Bukele der rechten Partei Gana an, der wohl korruptesten des Landes. Doch stützt er sich kaum auf sie: Seinem Facebook-Auftritt folgen 1,4 Millionen Menschen, seinen Twitter-Meldungen eine halbe Million. Dazu kaufte er bei einem Fernsehsender und bei Radiostationen Sendeplätze für seine One-Man-Show.
Bukele argumentiert nicht, wird seinen Kontrahenten gegenüber bisweilen vulgär. Kein Vorschlag, kein Versprechen. «Sein Diskurs ist reines Marketing», sagt Ivón Rivera, die an der Zentralamerikanischen Universität in San Salvador über Fake News forscht. «Er hat sich als coole Marke positioniert.» So gibt er auch keine Interviews und nimmt nicht an Debatten teil, spricht nur vage von «neuen Ideen»: Ihm reicht es, auf die Korruptionsskandale der bislang dominierenden Parteien FMLN und Arena hinzuweisen. Ob Nayib Bukele überhaupt mehr will, als Präsident zu werden, wird sich erst zeigen, falls er seine radikal apolitische Kampagne am Sonntag mit einem Wahlsieg krönt.