Mauricio Funes: Der Linke im feinen Tuch

Nr. 11 –

Die ehemalige Guerilla FMLN tritt erstmals mit einem Präsidentschaftskandidaten an, der nicht vom Bürgerkrieg belastet ist - und kann mit ihm gewinnen. Ob sie mit ihm glücklich wird, ist eine andere Frage.


Wäre Mauricio Funes heute noch immer derjenige, der er von ein paar Jahren war, würde er den Präsidentschaftskandidaten der Linken so richtig in die Zange nehmen. Funes war fast zwei Jahrzehnte lang der mit Abstand prominenteste Fernsehjournalist in El Salvador und so etwas wie ein kritisches Gewissen des zentralamerikanischen Landes.

In einer seiner Interviewsendungen hätte er den Kandidaten ganz sicher gefragt, wer denn nun eigentlich bestimme: er, der erst für die Präsidentschaftswahl Parteimitglied geworden ist, oder die Partei, die Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN). Der Kandidat hat ein gemässigt sozialdemokratisches Profil, die ehemalige Guerilla FMLN hat den Sozialismus als finales Ziel im Programm. Funes hätte sicher auch gefragt, warum der Kandidat draussen im Hinterland armen BäuerInnen verspreche, er werde alles dafür tun, dass ihre Dörfer demnächst nicht in einem Stausee versinken. In der Hauptstadt aber sage er, der Staudamm werde auch unter seiner Regierung weitergebaut.

Doch solche Fragen bleiben ungestellt. Der 49-jährige Funes ist nicht mehr Journalist, er ist selbst der Kandidat der FMLN. Mit ihm hat die ehemalige Guerilla die Chance, über die Wahl an die Macht zu kommen. Zu den beiden letzten Wahlen war sie mit ehemaligen Comandantes aus dem von 1980 bis 1992 dauernden Bürgerkrieg angetreten. Sie vermochten nicht einmal das ganze WählerInnen-Potenzial der FMLN auszuschöpfen. So gewann wieder und wieder die ultrarechte Arena, die vom Organisator der Todesschwadronen gegründet worden war und sich von diesen Ursprüngen nie distanziert hat. Sie ist seit zwanzig Jahren an der Macht, und lange sah es ganz danach aus, als würde es so bleiben, führte sie in Meinungsumfragen doch stets klar vor der FMLN.

Glaubwürdig und eitel

Doch im September 2007 kam Funes, und alles wurde anders. Die FMLN holte auf, überholte und schien zeitweise mit fast zehn Prozentpunkten Vorsprung uneinholbar. Dahinter lag die Arena und ganz hinten noch ein paar kleine Mitte- und Mitte-rechts-Parteien. Die Rechte zitterte. Doch inzwischen sind alle Kandidaten ausser Funes und dem Arena-Mann Rodrigo Ávila ausgestiegen. Die letzten Umfragen stehen immer noch günstig für Funes, aber es kann am kommenden Sonntag knapp werden.

Wie kommt ein durch seine Unabhängigkeit bekannter und glaubwürdiger Fernsehjournalist dazu, Präsidentschaftskandidat einer Linkspartei zu werden? Die Fäden zog ein Compadre, ein seit Jahren eng mit ihm verbundener Freund: der alte FMLN-Parteiaktivist Francis «Hato» Hasbún. Funes hatte sich als junger Journalist im Bürgerkrieg einen Namen gemacht, weil er als erster Guerilla-Comandantes interviewte. Hasbún holte Funes 1991 an die regierungskritische Zentralamerikanische Universität UCA, wo er für internationale Kontakte verantwortlich war. Als Sohn einer eingewanderten Palästinenserfamilie hat Hasbún beste Verbindungen zur starken palästinensischen Unternehmergruppe in El Salvador, und so konnte er 1992 Funes als journalistischen Programmdirektor im Fernsehkanal seines Freundes Jorge Zedán platzieren. Dort wurde Funes zum Star - glaubwürdig wegen seiner journalistischen Qualitäten, aber bekannt für seine Eitelkeit: Er liebt feines Tuch und dezente Krawatten; er liess sich als Fernsehmann von einem Luxus-Herrenausstatter sponsern.

Schon vor fünf Jahren versuchte Hasbún, Funes als Präsidentschaftskandidaten der FMLN zu lancieren. Er scheiterte am damals uneingeschränkten Parteiherrscher Schafik Handal, der selbst antrat und verlor. Handal ist vor drei Jahren gestorben, und die FMLN hat inzwischen eingesehen, dass sie nur mit den Stimmen der politischen Mitte gewinnen kann - dafür ist Funes der ideale Kandidat. Er erschreckt die BürgerInnen nicht, wie es die Comandantes der ehemaligen Guerilla auch siebzehn Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs noch tun. Da Funes keine Guerillavergangenheit hat, ist er nur schwer angreifbar. Die Angstkampagne der Arena und der fast durchweg rechten Medien El Salvadors richtet sich daher fast ausschliesslich gegen die Partei und kaum gegen ihren Kandidaten. So beschwören sie im Fall eines FMLN-Siegs ein zweites Venezuela herauf.

Dabei vertritt Funes eher Positionen, die auch von der Rechten stammen könnten. Er sagt, er werde nichts tun, «was die Beziehungen mit den USA gefährden könnte», und will den Freihandelsvertrag Cafta zwischen Zentralamerika und den Vereinigten Staaten nicht antasten - das Abkommen wurde von seiner Partei infrage gestellt. Er will die Dollarisierung des Landes nicht rückgängig machen, obwohl die FMLN stets die Wiedereinführung der nationalen Währung Colón gefordert hatte: «Die Kosten für die Bevölkerung wären zu hoch.» Selbst das Amnestiegesetz für im Bürgerkrieg begangene Verbrechen soll nicht aufgehoben werden.

Neuerdings gibt sich Funes sogar als devoter Christ: «Gott wird uns einen Regierungschef geben, der für die Armen, die Mittelschicht, für alle regiert.» Kurz vor seiner Ernennung zum Kandidaten hat er seine brasilianische Lebensgefährtin geheiratet. Er hält Distanz zu seiner Partei und umgibt sich lieber mit den sogenannten «Freunden von Mauricio Funes», einer Gruppe von UnternehmerInnen und Intellektuellen. Sogar ein paar Militärs im Ruhestand sind dabei. Wenn man ihn fragt, welcher Präsident Lateinamerikas am ehesten sein Vorbild sei, nennt er den Brasilianer Luiz Inácio «Lula » da Silva: «Auch er wurde dämonisiert als einer, der angeblich die Wirtschaft zerstören würde. Das Gegenteil ist eingetreten.»

Ein Eiertanz

In der Parteizentrale der FMLN hängen die Poster von Funes nur im Erdgeschoss. Oben im ersten Stock, im Saal, in dem die Parteiführung tagt, sind historische Fotos des nicaraguanischen Freiheitshelden César Augusto Sandino und seines salvadorianischen Gegenstücks Farabundo Martí an der Wand. Dazwischen Porträts von Venezuelas Hugo Chávez und Nicaraguas Daniel Ortega. Auch Lula ist mit einem kleinen Foto vertreten, nicht an der grossen Front, sondern gleich neben dem Eingang zum Klo.

«Es ist ein Eiertanz auf Messers Schneide», sagt FMLN-Generalsekretär Medardo González. «Unsere Basis ist es nicht gewohnt, einem Fernsehstar zu folgen. Sie will einen echten Anführer. Mauricio muss ihr Vertrauen erst gewinnen.» González hatte Funes fast im Alleingang zum Kandidaten gekürt, um lange Grabenkämpfe in der Partei zu vermeiden. Noch hält die Parteibasis zu ihm. «Sie alle wollen endlich einen Regierungswechsel, und der geht nur mit Mauricio. Er ist eine sehr gute Wahlfigur», sagt González. Allerdings gibt es in der Partei durchaus Unzufriedenheit mit dem Kandidaten.

Auch González räumt ein, dass er «einiges schlucken» müsse. So ist bis heute kein Schattenkabinett bekannt, und man kann davon ausgehen, dass im Hintergrund hart um Posten gerungen wird. Am Ende wird eher der Kandidat siegen als die Partei, denn er braucht zum Regieren Allianzen. Aus der Parlamentswahl im Januar ging die FMLN zwar als stärkste Fraktion hervor, aber lange nicht mit absoluter Mehrheit. Funes wird auch als Präsident ein Mann der Mitte bleiben müssen, offen selbst für die gemässigte Rechte. So wie Lula in Brasilien, der sich seine Mehrheiten auch schon gegen Teile der eigenen Arbeiterpartei suchen musste.

Wenn Funes in El Salvador dasselbe tut, steht die Partei dann noch hinter ihm? So weit wird es nicht kommen, hofft González. Denn hinter Funes steht Hato Hasbún. «Ohne ihn wäre Mauricio nicht Kandidat geworden. In Hato habe ich Vertrauen.» Er müsse die Einheit schaffen zwischen Präsident, Fraktion, Partei und sozialen Bewegungen. Und wenn diese Einheit zerbricht, bevor sie zustande kommt? Wenn Funes als Präsident dieselbe Distanz zur Partei wahrt, die jetzt bei der Werbung um die Stimmen der Mitte noch opportun sein mag? Der Generalsekretär ist sich des Risikos bewusst. Der Einsatz ist hoch: «Wir setzen das Vertrauen aufs Spiel, das die Basis in die Parteiführung hat.»

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