Musik und Politik: Sound von Tanz und Terror
Die Klanginstallationen von Nik Nowak fordern den Körper zum Denken heraus. Am Berliner CTM-Festival zeigte er, wie dünn die Linie zwischen Trauer und Euphorie, zwischen Kontrolle und Freiheit sein kann.
Die Beziehung von Musik und Politik ist seit jeher kompliziert. Auch wegen der immer noch verbreiteten Annahme, politische Musik sei jene, die möglichst klare Botschaften herausschreie. Dabei wird oft vergessen, dass nicht nur der Geist, sondern auch der Körper denkt. Klang hat seine eigene Politik.
Besonders experimentelle Musik und Soundkunst sind in der Lage, den Körper zu erfassen, aufzuwühlen, zurechtzuweisen: mit Bässen, die den Brustkorb vibrieren lassen, oder Stimmen, die geisterhaft um den Kopf schwirren. Sound gewinnt seine Wirkung aus der Unmittelbarkeit, die nicht nur unterhalten will, sondern mit dem Unangenehmen spielt. Politik beginnt da, wo das Ich mit dem Unerwarteten konfrontiert wird, wo sich Fragen stellen, wo vorher Antworten waren.
Mit jeder Menge Fragen ging auch das CTM-Festival in Berlin zu Ende, das seit zwanzig Jahren beweist, wie Klang das Bewusstsein für gesellschaftliche Problematiken schärfen kann. Zum Jubiläum wurden unter dem Motto «Persistence» die «ästhetischen und gesellschaftlichen Potenziale von Beharrlichkeit» in den Fokus gerückt. Was wohl auch als kritische Auseinandersetzung mit dem Anspruch zu verstehen war, mit radikaler Diversität und herausfordernder Musik gesellschaftliche Veränderungen anzustossen.
Welche Art von Kontrolle?
Die Soundinstallation «The Mantis» des Berliner Klangkünstlers Nik Nowak, die in der Halle am Berghain ausgestellt war, thematisiert den «Lautsprecherkrieg» zwischen der DDR und der BRD kurz nach dem Mauerbau 1961. Der Raum war mit Bauzäunen und Stacheldraht in Osten und Westen aufgeteilt. Beidseitig war eine Arbeit des Videokünstlers Moritz Stumm zu sehen: TV-Ausschnitte vom Mauerbau, von gewalttätigen Demonstrationen und brüllenden Politikern wie Donald Trump und Helmut Kohl. Dazu die selbstgebauten Soundmaschinen Nowaks: «The Mantis» mit vier Meter langen Armen sowie der auf der Ostseite aufgestellte «Panzer».
Zusammen mit dem Londoner Musiker Kode9 und dem MC Infinite Livez wurde der Lautsprecherkrieg reenactet: Anstelle von Schlagern oder kommunistischem Liedgut ertönten radikale Bässe und polyrhythmische Beats, visuell unterstützt von viel Kunstnebel – bis nicht mehr klar war, wo links und rechts ist, wo Ost und West. Den BesucherInnen war die Anspannung anzusehen: Erzeugt der Bass auch bei den anderen ein leichtes Unwohlsein? Kann man dazu tanzen – und falls ja, wäre das nicht pietätlos angesichts der leidenden Menschen in den Videos?
Die Linie zwischen Trauer und Euphorie, Kontrolle und Freiheit kann in der Musik sehr dünn sein. Nowak, der sich mit der Beziehung zwischen Sound und Krieg beschäftigt, setzt diese Ambivalenz gekonnt ein. Dass er hier die Insignien autoritärer Regimes bei Strassenprotesten mit denen moderner Tanzorte kombiniert, ist schlau. Selten sind die geringen Unterschiede zwischen Formen der negativen und der positiven Kontrolle durch Sound so sichtbar.
Um Kontrolle im konkreten Sinn geht es in der Arbeit «A Series of Gaps rather than a Presence» des Klangkünstlers Pedro Oliveira, die im Berliner HAU-Theater aufgeführt wurde. Das Gewirr aus Stimmen in diversen Sprachen, das sich über die soundtrackartige Musik legte, erzeugte Schwindel und Orientierungslosigkeit. Dieser Zustand weist auf die symbolische Gewalt postkolonialer Machtverhältnisse hin: Seit 2017 müssen Geflüchtete in Deutschland Sprachproben abgeben. Eine Software analysiert, ob sie berechtigt sind, Asyl zu beantragen. Trotz der Fehlerquote von fünfzig Prozent ist das Urteil der Software entscheidend für eine Zustimmung oder Ablehnung.
Dreidimensional hören
Ähnlich ambivalent war das Stück «Sogokuru» der ruandisch-belgischen Klangkünstlerin Aurélie Nyirabikali Lierman, bei dem die BesucherInnen in eine Welt radikaler Ruhe katapultiert wurden, unterbrochen mal von Gesängen und Trommeln, mal von Vogelzwitschern oder anderen Tierlauten. Zusammen mit dem Direktklang der akustischen Instrumente entstand ein dreidimensionales Hörerleben, eine geisterhafte Idylle. Eine Idylle, die in Ruanda vom Kolonialregime und später dem Genozid der 1990er Jahre zerstört wurde – aber durch Optimisten wie den Medizinmann Kanyoni Ladislas überleben konnte, den Grossvater Liermans, von dessen animistischen Ritualen das Stück erzählt.
Sich solche Zusammenhänge über das Ohr zu erschliessen, schafft eine Tiefe, zu der Bilder kaum in der Lage wären. Das Auge erzeugt Distanz, das Ohr bringt Dinge näher. Sound ist in diesem Sinn per se inklusiv und damit jenseits der dumpfen Parole, Musik bringe Menschen zusammen, ein Mittel, sich selbst als ein mit anderen verbundenes Wesen zu verstehen. Während sich Nowaks Installation anfühlte, als würde man zwischen feindlichen Regimes stehen, erhalten in Liermans Hörspiel marginalisierte Personen eine Stimme.
Doch der politische Gehalt liegt auch im Klang selbst: Als Mittel einer anderen Wissensproduktion, die den Körper nicht künstlich vom Verstand trennt, sondern ins Zentrum stellt, macht Klang uns aufmerksamer für die Umwelt. Sowohl für das, was uns kaputt macht, als auch für das, was uns zusammenbringt.