USA im Notstand: Politik mit geladener Waffe

Nr. 8 –

Die Notstandserklärung von Donald Trump ist ein Witz, bei dem einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Er müsse für die Finanzierung seiner Multi-Milliarden-Dollar-Mauer nicht unbedingt den nationalen Notstand ausrufen, aber er wolle die ganze Sache beschleunigen, sagte der Präsident sinngemäss zur Begründung. Diese Dummheit oder Arroganz liefert Stoff für bissige Satiresendungen, aber auch Argumente für die Klagen von texanischen LandbesitzerInnen, besorgten VogelschützerInnen und sechzehn Bundesstaaten gegen Trumps unverfrorene Anmassung von Exekutivgewalt.

Die von Trump suggerierte «Invasion von Drogen, Gangstern und Menschenhändlern» an der Südgrenze der USA gibt es so nicht. Doch wenn ein Präsident in den USA einen – tatsächlichen oder fiktiven – Notstand diagnostiziert, gibt ihm die Verfassung seit jeher sehr weitgehende Handlungsbefugnisse. Franklin Roosevelt zum Beispiel internierte während des Zweiten Weltkriegs mittels Exekutiventscheid 120 000 US-AmerikanerInnen japanischer Herkunft. Der Supreme Court billigte das. Doch Robert Jackson, ein dissidenter Oberster Richter, kritisierte schon damals, solches Notrecht sei für eine Demokratie so gefährlich wie «eine geladene Waffe», die für jeden zugänglich herumliege.

Die Präsidenten jedoch – ob demokratisch oder republikanisch – machten weiterhin grosszügig von ihren Sonderbefugnissen Gebrauch. Allein seit der letzten Revision des Notstandsgesetzes im Jahr 1976 wurde der National Emergencies Act von US-Regierungschefs 59-mal ausgerufen. Die Mehrzahl dieser präsidentiellen Alleingänge betraf wirtschaftliche Sanktionen der USA gegen politisch missliebige Staaten, vom Irak über den Südsudan bis Venezuela. Die Liste liest sich wie eine Schnellbleiche in Sachen US-Imperialismus. Und es ist eine Aussenpolitik, die abseits der breiten Öffentlichkeit abgewickelt wurde.

32 Sonderregelungen sind heute noch in Kraft. Darunter fällt etwa die politisch umstrittene Notstandserklärung von George W. Bush nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Jedes Jahr wird das 9/11-Sonderrecht seither vom jeweils amtierenden Präsidenten – George W. Bush, Barack Obama und nun Donald Trump – erneuert. Die jüngste Ausrufung des Notstands in den USA wirkt besonders egoman. Anders als seine Vorgänger widerspricht Trump mit seinem Dekret direkt und unverschämt dem politischen Willen der Legislative. Doch zugleich ist auch dies bloss ein weiteres Kapitel in einer langen und ziemlich düsteren Geschichte von Übergriffen der Exekutive, verübt in einer Demokratie mit zahlreichen strukturellen Schwächen.

Donald Trump bewundert bekanntlich «starke Männer» wie den philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte, den türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan oder seinen ungarischen Amtskollegen Viktor Orban, dessen rassistische Gesinnung und Abschottungspolitik besonders gut zur «America First»-Parole passen. Auch dass Trump die politische Gewaltenteilung verachtet, ist kein Geheimnis. Sobald seine Macht als Volkstribun angekratzt wird, beschimpft er Justiz, Parlament und Presse gleichermassen als «Feinde des Volkes». Für einen solchen Politiker stellen die in den USA allzu leicht abrufbaren Notstandsgesetze eine besonders grosse Versuchung dar.

«Der Präsident könnte den Internetverkehr in den USA unter seine Kontrolle bringen, den Zugang zu bestimmten Websites unterbinden und sicherstellen, dass Pro-Trump-Inhalte zuoberst in Suchmaschinen erscheinen», beschreibt Elizabeth Goitein in der Zeitschrift «The Atlantic» ein denkbares Zukunftsszenario. Die Juristin und Fachfrau für nationale Sicherheit warnt auch, dass ein US-Präsident dank laschem Notrecht leicht und legal Truppen im Innern einsetzen könnte. Es brauche politischen Druck, um bestehende Sondergesetze entweder ganz abzuschaffen oder aber in den demokratischen Prozess einzubinden.

Die USA sind heute in Nöten, weil sich die Bevölkerung von ihrer Regierung zu lange schon von einem Ausnahmezustand in den nächsten jagen liess. Höchste Zeit, die geladenen Waffen zu entsorgen.