Von oben herab: Maschinenwesen

Nr. 15 –

Stefan Gärtner über falsche Flugzeuge

Gestern war bei mir Kindergeburtstag, neun Drei- bis Siebenjährige. Es war sehr laut, es gab die üblichen Tränen, und ich habe viel zu viel Kuchen gegessen, deshalb, vom Zucker aufgepeitscht, die halbe Nacht nicht schlafen können und fühle mich heute, als sei ich ins falsche Flugzeug gestiegen, wobei ich gar nicht weiss, wie man sich da fühlt, ich bin nämlich noch nie ins falsche Flugzeug gestiegen, ja nicht einmal in den falschen Zug, womöglich noch nicht mal in die falsche Strassenbahn.

Ich bin nämlich das genaue Gegenteil eines Lebenskünstlers. Der Lebenskünstler denkt vielleicht an eine schöne Frau oder das nächste Spiel seines Lieblingsvereins und steigt falsch ein, und als ers merkt, schlägt er sich lachend an die Stirn, lässt den Geschäftstermin sausen und setzt sich ins Strassencafé. Ich dagegen habe eine Heidenangst, in den falschen Bus, geschweige denn in den falschen Zug zu steigen, sodass ich immer zwei- bis fünfmal prüfe, ob Linie, Zielort und Zugnummer stimmen, und am Perron, habe ich einen Sitzplatz reserviert, dreimal aufs Ticket schaue, um nicht in den verkehrten Wagen zu steigen und den falschen Platz zu besetzen. Ich will mich nicht schämen müssen, weil ich mich, wie es gelegentlich bei Heinz Strunk heisst, eh schon für alles schäme.

So bin ich, und ich bins nicht eben gern, aber wie so vieles hat auch dieser Defekt seinen Vorteil: Ich würde nie, wie Mario («Fairplay») Fehr, ins falsche Flugzeug steigen. Der SP-Beisser sass wohl schon in einer Maschine nach Berlin (Abflug 16.25 Uhr), während nebenan die richtige Maschine nach London (Abflug 16.35 Uhr) stand, und als die Fluggäste auf dem Flug nach Berlin begrüsst wurden, soll Fehr aufgesprungen sein und das Flugzeug gewechselt haben. Auf die Nachwelt gekommen ist das alles nur durch einen NZZ-Journalisten, der nach Berlin wollte, und ein Sprecher Fehrs begründete den für Normalsterbliche ja praktisch ausgeschlossenen Fehler damit, dass sein Chef «von zwei Einsatzkräften der Kapo» ans Flugzeug chauffiert worden sei, wie immer, wenn es dienstlich pressiere.

«Warum Fehr die Mission nach London unternahm, ist noch offen. Es ist aber anzunehmen, dass der bekennende Fussballfan Fehr einem Spiel seines Lieblingsklubs Tottenham Hotspur beiwohnen wollte», vermutete süffisant der «Blick», der weiters zu bedenken gab, die Begegnung Zürich gegen Basel am selben Abend wäre «klimafreundlicher» gewesen, wie auch der «Tages-Anzeiger» fand: «In Zeiten des Klimawandels ist jeder Flug nach London erklärungsbedürftig. Wenn sich ein Kantonspolitiker dazu wie ein WEF-VIP von der Polizei zum Flieger eskortieren lässt, steigt der Erklärbedarf.» Wenn Kollege David Hesse, der beim «Tagi» die «Analyse» verantwortet, mal mit der Bahn nach Hannover kommt, dann lad ich ihn auf ein paar Stangen in die Traditionswirtschaft Plümecke ein und decke seinen Erklärbedarf: Nein, kein Flug nach egal wohin ist erklärungsbedürftig. Die Leute tuns, und es ist ihnen scheissegal. Ich weiss es, ich kenne sie, drei Wochen L. A. hier, eine Woche Marokko da, mit Kindern oder Babys, wie dus brauchst. In Schweden versuchen sie ja, das Wort von der «Flugscham» zu etablieren; so was gibt es in Deutschland nicht, und in der Schweiz gibt es das auch nicht, weil sich niemand für irgendetwas schämt, wie Scham dem Kapitalismus halt auch wesensfremd ist. Wer kann, der kann und tut es auch, und deshalb sind die Korallen, stand eben in der Zeitung, schon so gut wie nicht mehr zu retten, und der Rest wird folgen, und dann gibt es Tränen, und die Leut könnten feststellen, dass sie niemals in ein richtiges Flugzeug gestiegen sind, sondern jedes verdammte Mal ins verdammt noch mal falsche.

Und dass sies, eskortiert von den Apparaten, aber nicht können, ist schon der Grund dafür, dass sies müssen.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.