Sexarbeit: «Freier sind keine Kriminellen»
In der Debatte um ein Prostitutionsverbot kamen sie bisher kaum zu Wort: Sexarbeiterinnen über ihren Berufsalltag und darüber, wo die Probleme wirklich liegen.
Princess Zuleikas* Sprache ist geschliffen: Ihr s zerschneidet die Luft wie scharfes Papier. Ihre Arbeit verlangt Präzision. Die 27-Jährige ist Sexualbegleiterin und Bizarr-Lady. Neben uns steht ein Queensize-Bett mit einer Hängevorrichtung aus Leder. Wer sich darauf legt, kann sich gleichzeitig die Handgelenke und Fussknöchel fesseln lassen, um dann ausgeliefert über der Matratze zu schweben. Zuleika arbeitet seit sechs Jahren in ihrem Beruf. Sie sei da so reingerutscht, erzählt sie: «Ich habe während meines Psychologiestudiums als Latexmodel gearbeitet und bin so in die Fetisch- und BDSM-Szene gekommen. Etwas später habe ich mich dann als Fetisch-Escort selbstständig gemacht.» Vor zwei Jahren ging das Studio im Industriequartier in der Zürcher Agglomeration auf, in dem sie momentan arbeitet. Als Sexualbegleiterin arbeitet Zuleika daneben mit Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder sexuellen Problemen, etwa die Potenz betreffend. «Ich bevorzuge achtsamen BDSM mit Bodywork- und Tantraelementen», erklärt sie. Die klassische Domina sei sie nicht.
Eine solche ist ihre Kollegin, Cassandra van Cane*. Die 30-Jährige kam wie Zuleika durch private Neigungen zum Beruf. Vor zwei Jahren lernte sie die Besitzerin des aktuellen Studios kennen und arbeitet nun hauptberuflich als Domina.
Im Sommer letzten Jahres machte die Zürcher Frauenzentrale mit ihrer Kampagne «Stopp Prostitution» Stimmung für die Bestrafung von Freiern in der Schweiz, «zum Schutz der Sexarbeiterinnen». Auf der Website der Kampagne kommt keine einzige Sexarbeiterin zu Wort. Es habe sich keine Frau outen wollen, schreibt die Frauenzentrale dazu auf Anfrage. Fest steht: Der Beruf der Sexarbeiterin ist so vielfältig wie die Frauen, die ihn ausüben. Eines haben aber alle Sexarbeiterinnen, mit denen die WOZ für diesen Artikel gesprochen hat, gemeinsam: Sie sind gegen die Einführung einer solchen «Freierstrafe», wie sie etwa Schweden oder Frankreich bereits kennen (vgl. «Das Schwedenmodell» im Anschluss an diesen Text).
Auch die 28-jährige Marie* verdient ihr Geld mit Sexarbeit. Nach ihrem Medizinstudium habe sie ein paar Monate auf ihrem gelernten Beruf im Spital gearbeitet, erzählt sie in der Küche der Fachstelle für Sexarbeit Xenia in Bern: «Diese Zeit war für mich schlimmer als die Arbeit, die ich heute mache. Ich fühlte mich dort zehnmal mehr prostituiert.» Der raue Umgangston im Team, die fehlende Wertschätzung ihrer Arbeit – für Marie war dieser Zustand nicht zu ertragen. Durch eine Freundin, die damals selber bereits seit einiger Zeit als Escort arbeitete, kam sie ins Sexgewerbe: «Ich habe einen starken Bezug zu meiner Sexualität und experimentiere gern. Meine Freundin meinte, ich sei vom Typ her perfekt geeignet für diesen Job.» Als Dauersingle sei sie One Night Stands ausserdem leid gewesen, und die Idee, für Geld mit fremden Männern zu schlafen, habe sie gereizt. Marie kündigte ihren Job und arbeitet heute Vollzeit in Studios und als Escort. «Ich kann durchaus auch Kunden ablehnen», sagt sie. «Wenn jemand zum Beispiel etwas verlangt, was ich nicht will, etwa Küssen oder orale Befriedigung ohne Kondom, das kommt ziemlich oft vor.»
Die Lust am Fetisch
Wer zu van Cane und Zuleika ins Zürcher Industriegebiet kommt, will vor allem eins: sich total hingeben. «Unsere Kundinnen und Kunden wollen Grenzen und Ängste überwinden und ihre Fantasien ausleben», sagt Zuleika. Auch verheiratete Männer seien dabei, das könne sie nicht verhindern. «Zu denen sage ich dann aber: Schauen wir, dass wir deine Frau auch hierherkriegen!» Das Zimmer mit dem Queensize-Bett ist bloss der sanfte Einstieg in die Welt der beiden Frauen. Fünf Räume umfasst ihr Reich. Etwa einen nachgebauten Klinikbehandlungsraum mit verschiedenen Reizstromgeräten oder die beiden Haupträume, so gross wie Fitnessstudios, mit Flaschenzügen an der Decke und nachgebauten Gefängniszellen. Praktisch jeder Fetisch wird hier bedient. Für beide Frauen ist klar: Verspürten sie selber keine Lust bei der Arbeit, könnten sie diesen Job nicht machen. «Es macht mich an, wenn jemand für mich an seine Grenzen und darüber hinaus geht», sagt van Cane.
Die drei Frauen können gut von ihrer Arbeit leben, und alle können frei darüber entscheiden, wie viel sie arbeiten und vor allem: mit wem. «Ich habe absolut kein Problem damit, mich als Sexarbeiterin zu bezeichnen», sagt Zuleika. «Denn genau das ist es ja, was ich tue. Aber ich habe Mühe mit dem gesellschaftlichen Stigma, das dem Beruf anhaftet.» Sie sagt aber auch: «Uns ist natürlich klar, dass wir uns in einer privilegierten Position befinden.»
Gedrückte Preise
Für Manuela* gilt das nicht. Die 46-jährige Tschechin lebt seit 2009 in der Schweiz. Wir sitzen am Tisch in einer 1,5-Zimmer-Wohnung in einer Kleinstadt im Aargau. Ein paar Meter daneben steht das Bett, bezogen mit Satinwäsche. Kondome und Gleitgel sind auf dem Nachttisch platziert. Manuela erzählt, dass sie in Tschechien zeitweise in einem Büro und später in einem Musikladen gearbeitet habe, «der ging dann aber zu». Sie spricht leise, fährt mit den Fingern über bald verblasste Narben auf den Unterarmen. Mit 26 Jahren verlor sie ihre Stelle, ihr Mann verliess sie. Manuela fing an, sich selber zu verletzen und in einem Bordell nahe der deutschen Grenze zu arbeiten. «Vielleicht habe ich diesen Job als eine Art Bestrafung für mich selbst gesehen. Ich glaube, ich hatte schon damals eine ziemlich schwere Depression», sagt sie.
Manuelas Weg in die Schweiz war lang, er führte sie durch verschiedene Bordelle in Tschechien, den Niederlanden, Deutschland und Italien, im Gepäck hatte sie einen Haufen Schulden wegen der Reisekosten – und in ihrer Heimat ein Kind. «Als ich schwanger war, hörte ich auf zu arbeiten. Der Vater ist kein Kunde. Das Geld reichte aber hinten und vorne nicht, und dann bekam ich ein Angebot aus der Schweiz.» Hier begann sie, in einem Saunaclub zu arbeiten, «der Chef war nett, aber ab und zu besoffen». Dann drohte er Manuela, ihr die Papiere wegzunehmen. Sie kündigte, erhielt die Aufenthaltsbewilligung B, wirtschaftet nun auf eigene Rechnung. Sie schickt Geld nach Hause, zu ihrem Kind und ihren Eltern. Ihre Anzeigen schaltet sie auf einer Internetplattform, Termine vereinbart sie per Telefon. Im Schnitt, «wenns gut läuft», hat Manuela drei Kunden am Tag. Sie arbeitet nie lange am gleichen Ort, immer bloss für einige Tage in unterschiedlichen Städten in der Deutschschweiz. Jeden Monat fährt sie für etwa eine Woche nach Hause.
Es habe sich einiges in den letzten zehn Jahren verändert, erzählt Manuela. Die Preise seien massiv gesunken, «vor allem wegen Frauen aus dem Balkan, die verlangen weniger». Auch einige Kunden wollten die Preise drücken, forderten dafür immer mehr und würden teilweise übergriffig: «Ich hatte schon Kunden, die mich festhielten, damit sie während des Sex den Gummi abziehen konnten.» Die Polizei gerufen habe sie aber noch nie. Es hilft ihr zu wissen, dass sie es könnte, «aber wenn die dann kommen, könnten sie merken, dass die Wohnung, in der ich arbeite, nicht korrekt gemeldet ist». 700 bis 1000 Franken pro Woche bezahlt Manuela für die kleinen Wohnungen, in denen sie arbeitet. Meistens werden diese Wohnungen illegal untervermietet; wie das genau läuft, weiss Manuela nicht. Das Mietverhältnis der Wohnung, in dem das Gespräch stattgefunden hatte, wurde einige Wochen später nach einer Anzeige der NachbarInnen bei der Staatsanwaltschaft aufgelöst.
Anna* befindet sich in einer ähnlichen Situation wie Manuela. Die 30-Jährige kam vor drei Jahren aus Bulgarien in die Schweiz, liess ihr Kind und eine Mutter ohne Arbeit in ihrer Heimat zurück. Seither arbeitet sie fast täglich auf dem Strassenstrich. Auch sie erzählt: «Viele Männer wollen Sex ohne Gummi. Aber das mache ich nicht, da können sie zu einer anderen.» Zu Hause in Bulgarien hat sie einen Job gefunden, für den Winter. Sie putzt Hotelzimmer. Eigentlich will Anna weg vom Strich. «Aber ich habe schon einige Male gesagt, dass ich nicht mehr zurückkomme, und stehe trotzdem immer wieder hier.»
Auch nach dem Vorfall, den sie vor ein paar Jahren mit einer Freundin erlebte, die ebenfalls auf dem Strich arbeitet: Drei Freier fuhren mit den Frauen «ins Nirgendwo hinaus», an einer Autobahnraststätte sei es zur Eskalation gekommen. «Die Männer waren sich nicht einig, wer uns bezahlt. Dann haben sie angefangen zu streiten, einer zückte ein Messer, wir bekamen Angst.» Einer der Männer habe die beiden Frauen mit dem Messer bedroht und geschrien: «Ich bringe euch Schlampen um!» Anna und ihre Freundin seien in einen nahe gelegenen Wald geflohen und hätten die Polizei gerufen. «Die kamen dann zwar, die Männer konnten aber vorher schon abhauen, und uns hat niemand geholfen. Die Beamten haben uns nicht einmal in die Stadt zurückgefahren.» Aufhören kommt auch für Manuela momentan nicht infrage, nicht bevor sie ihre Schulden abbezahlt hat. «Danach etwas anderes zu finden, wird aber sicher nicht einfach.»
Keine Lust auf ein Versteckspiel
Manuela sagt: «Freier sind keine Kriminellen. Ein solches Verbot befeuert bloss den Schwarzmarkt, das ist viel gefährlicher für die Frauen.» Sie habe Angst davor, dass Freier brutal würden und noch weniger bezahlen wollten, wenn sie kriminalisiert würden. Und für Anna steht fest: «Ich kann in der Schweiz keinen anderen Job machen als den auf dem Strich. Ich bin darauf angewiesen, dass ich dort einigermassen sicher bin.»
Für Marie ist ausserdem klar, dass Sexarbeit gesellschaftlich akzeptiert werden muss. Sie wünscht sich, eines Tages ihre Kinder von der Schule abholen und den anderen Müttern ganz einfach sagen zu können, was sie beruflich macht: «Viele Prostituierte macht das Doppelleben, das sie führen müssen, krank. Nicht die Arbeit selbst.» Zurück in der Zürcher Agglomeration, im Raum mit dem Queensize-Bett, stimmen dem auch Zuleika und Cassandra van Cane zu. «Ich fühle mich in meiner Eigenständigkeit bevormundet, wenn jemand meint, besser zu wissen, was gut für mich ist. Mit dieser Art von Feminismus kann ich nichts anfangen», sagt Zuleika. Und van Cane ergänzt: «Man sollte offen und transparent über Sexarbeit sprechen können, damit sich niemand erpressbar macht, weil man das hinter vorgehaltener Hand tun muss.»
* Namen der Redaktion bekannt.
Das Schwedenmodell
Mit der Kampagne «Stopp Prostitution» warb die Frauenzentrale Zürich letzten Sommer für ein Prostitutionsverbot. Prostitution sei sexuelle Gewalt und verstosse gegen die Menschenwürde, argumentierte die Non-Profit-Organisation. Sie forderte deshalb für die Schweiz eine Praxis wie in Schweden, wo Freier bei einem Verstoss gegen das geltende Prostitutionsverbot bestraft werden. Die Forderung stiess auf viel Kritik, etwa von anderen Frauenzentralen, Amnesty International oder der Aids-Hilfe. Die Fachorganisationen sind überzeugt, dass ein Verbot die Prostitution nicht zum Verschwinden brächte. Man dränge die Frauen vielmehr in die Illegalität und liefere sie damit der Schutzlosigkeit aus.