Lobbying in der EU: Auf halbem Weg

Nr. 18 –

Ein aktueller Report über Lobbyismus in der EU zeigt: Konzerne haben in Brüssel zu viel Macht. Es gibt aber auch hoffnungsvolle Entwicklungen – ganz im Gegensatz zur Schweiz.

Günther Oettinger ist einer der mächtigsten Politiker der Europäischen Union. Als Haushaltskommissar ist der ehemalige CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg so etwas wie der inoffizielle Geschäftsführer der EU-Kommission. Oettinger legt den jährlichen Vorschlag für das EU-Budget des kommenden Jahres vor – er entscheidet also massgeblich, wohin innerhalb der Europäischen Union das Geld fliesst.

Vor drei Wochen hat der Haushaltskommissar zum traditionellen «Europa Forum Lech» in den Vorarlberger Alpen eingeladen. Zum zweitägigen Forum, das auch als «Mini-WEF» bezeichnet wird, lädt Oettinger handverlesene Gäste aus der Wirtschaft ein: dieses Jahr etwa hochrangige LobbyistInnen der Digital-, Finanz- oder Automobilindustrie. Zu diesen drei Branchen fanden jeweils auch «thematische Frühstücke» statt. VertreterInnen von NGOs und Universitäten oder gar Gewerkschaften waren krass untervertreten beziehungsweise ganz abwesend.

Hearings in der Blackbox

Diese Konstellation ist gemäss dem «EU-Lobbyreport 2019», den die deutsche NGO Lobbycontrol diese Woche veröffentlichte, exemplarisch für die Einflussnahme im Gesetzgebungsprozess der EU-Kommission: Wie eine Auswertung von Lobbytreffen der obersten BeamtInnen der EU aufzeigt, finden rund 72  Prozent davon mit UnternehmensvertreterInnen statt. Das sei sehr problematisch, schreibt die NGO: «Es zieht sich durch fast alle Kapitel dieses Reports, dass die Unternehmen mit ihrer quantitativen Überlegenheit, ihren ExpertInnen und finanziellen Ressourcen in jedem Kanal, über den externe Interessen eingebracht werden können, dominieren, wenn sie am jeweiligen Thema ein Regelungsinteresse haben.» Das sei eine Ursache dafür, dass sich deren Partikularinteressen häufig durchsetzten.

Als aktuelles Beispiel führt der Report die Verwässerung bei den angestrebten Auflagen und Grenzwerten für Autos zum Schutz von Umwelt und Gesundheit auf, die insbesondere auf gezieltes Lobbying der mächtigen deutschen Automobilbranche zurückzuführen ist.

Es lohnt sich gerade auch aus einer Schweizer Perspektive, den EU-Lobbyreport genau zu lesen. Neben den problematischen Aspekten verdeutlicht er nämlich auch, wie viel fortgeschrittener die EU im Vergleich zur Schweiz und auch der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten ist. So müssen etwa seit dieser Legislatur die obersten EU-BeamtInnen sämtliche ihrer Lobbytreffen ausweisen. «Von einem ähnlichen Mechanismus ist die Schweiz weit entfernt», sagt Otto Hostettler von der Schweizer Plattform Lobbywatch.ch. «Die Hearings in den parlamentarischen Kommissionen im Bundeshaus, wo wichtige gesetzgeberische Impulse erfolgen, sind eine Blackbox.» Für die Öffentlichkeit sei nicht nachvollziehbar, für wen diese ExpertInnen nebenbei tätig seien. Denn sie müssten ihre Interessenbindungen nicht deklarieren.

Grosse Lücken, kaum Kontrolle

Ein hilfreiches Instrument, um herauszufinden, welche LobbyistInnen im EU-Gesetzgebungsprozess mitmischen, ist das EU-Transparenzregister. Dort sind die AkteurInnen aufgefordert, ihre finanziellen Ausgaben für die jeweilige Lobbyarbeit anzugeben und sich einer bestimmten Kategorie zuzuordnen – etwa als Unternehmen, NGO, Lobbyagentur, Denkfabrik oder Universität.

So erfährt man über das Transparenzregister beispielsweise, dass der Basler Pharmakonzern Novartis fünfzehn LobbyistInnen in Brüssel angestellt hat und ein Lobbybudget von 2,25 bis 2,5 Millionen Euro einsetzt. Auch für die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse sind über ein Dutzend LobbyistInnen in Brüssel tätig mit einem Budget von deutlich über einer Million Franken pro Geldhaus. Eine gezielte Abfrage nach Schweizer AkteurInnen im Register zeigt zudem deutlich, wie sehr die Privatwirtschaft das Feld dominiert – insbesondere wenn die finanziellen Ressourcen als Referenz dienen.

Es gibt allerdings ein grosses Problem mit dem Transparenzregister: Die Eintragung ist rechtlich nicht verpflichtend. Es bestehen lediglich Anreize: Wer sich mit der Kommission und deren obersten BeamtInnen treffen oder wer einen Dauerzugangspass für das EU-Parlament erhalten will, muss sich ins Transparenzregister eintragen.

«Es bestehen leider grosse Lücken im Register», konstatiert Lobbycontrol. Noch immer weigerten sich etwa einflussreiche Anwaltskanzleien wegen ihrer Geheimhaltungspflicht, sich im Register einzutragen. Ausserdem fehlten dem zuständigen Registersekretariat finanzielle und personelle Ressourcen, um die Einträge systematisch zu prüfen. Insgesamt sei die Entwicklung jedoch positiv: «Es wird immer schwieriger, nicht im Transparenzregister zu sein», hält der Report fest.

«In diesem Bereich hinkt die Schweiz massiv hinterher», sagt Otto Hostettler von Lobbywatch.ch. «Unsere Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen in einem öffentlichen Register zwar eintragen, wem sie eine Zutrittskarte ins Bundeshaus ausstellen, nicht aber, in welcher Funktion.» Kontrolliert würden die Angaben jedoch ohnehin nicht.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Während die EU bezüglich Transparenzbemühungen also auf halbem Weg ist, steht die Schweiz noch ganz am Anfang.