Sri Lanka nach den anschlägen: Alte Wunden reissen auf
Die Bombenattentate vom Ostersonntag führen in Sri Lanka zu grosser Unsicherheit mit neuen Konfliktlinien. Die muslimische Minderheit lebt seither in Angst vor Racheakten. Profitieren dürften die nationalistischen Scharfmacher um den Expräsidenten.
Shreen Saroor versucht gar nicht erst, ihre Empörung zu verbergen. «Egal was passiert, es sind immer zuerst die Frauen, deren Rechte eingeschränkt werden», sagt die Aktivistin am Telefon. Am Wochenende hat der Präsident Sri Lankas, Maithripala Sirisena, nicht nur die radikalislamischen Organisationen National Thawheed Jammath (TNJ), die für die Bombenanschläge vom Ostersonntag verantwortlich sein soll, und Jamathai Millathu Ibraheem (JMI) für illegal erklärt: Sirisena hat gleich auch ein Verbot von Gesichtsverschleierungen erlassen – aus Sicherheitsgründen, wie es offiziell heisst.
Saroor findet das bezeichnend: Das Erstarken konservativer Strömungen innerhalb der muslimischen Minderheit Sri Lankas habe in den letzten Jahren vor allem für die Frauen eine Beschneidung von Freiheiten bedeutet. «Und jetzt wollen auch noch die Chauvinisten der Regierung den Musliminnen sagen, welche Kleider sie tragen dürfen und welche nicht.» Vor über zwanzig Jahren hat Saroor das Women’s Action Network gegründet, in dem singhalesische und tamilische, buddhistische, hinduistische, muslimische und christliche Frauen gemeinsam für ihre Rechte kämpfen. «Wenn sich die Männer gegenseitig bekriegen, leiden wir Frauen immer am meisten», sagt Saroor.
Aufgeheizte Stimmung
Fast genau zehn Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs, der zwischen 1983 und 2009 vor allem im Norden und Osten Sri Lankas über 100 000 Todesopfer gefordert hatte, brechen im Inselstaat alte Wunden auf. Und neue kommen hinzu. Verlief der letzte Konflikt hauptsächlich zwischen der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit und der tamilischen Minderheit, griffen am Ostersonntag islamistische TerroristInnen christliche Kirchen sowie Hotels mit ausländischen Feriengästen an. 253 Menschen wurden nach aktuellen Angaben getötet und über 500 verletzt. Dass die Anschläge der TNJ, mutmasslich unter Mithilfe des IS, eine bisher kaum bestehende Konfliktlinie zwischen sri-lankischen ChristInnen und MuslimInnen aufreissen sollen, vermag auf den ersten Blick zu überraschen. In der Logik des internationalen Terrorismus, die vor allem auf grösstmögliche Instabilität abzielt, ergibt dies aber durchaus Sinn: Nichts vermag so viel globale Aufmerksamkeit und giftige Reaktionen auszulösen wie Anschläge auf Kirchen und TouristInnen.
In weiten Teilen Sri Lankas ist die Unsicherheit seit den Osterattentaten riesig. Dazu trägt massgeblich bei, dass die Behörden reihenweise falsche und irreführende Informationen veröffentlichten und damit eine grosse Überforderung offenbarten. Und auch, dass der heftige Machtkampf, in dem sich die Regierungsspitze seit Monaten befindet, selbst im aktuellen Ausnahmezustand ungebrochen weitergeführt wird. Schon kurz nach den Attentaten war bekannt geworden, dass der aufgeblähte sri-lankische Geheimdienst aus dem Ausland über entsprechende Pläne informiert worden war, was Gerüchte befeuerte, dass das Blutbad bewusst in Kauf genommen worden sei. Aussagen einzelner Geheimdienstmitglieder lassen tatsächlich darauf schliessen, dass die unmittelbare Gefahrensituation bekannt war – während sich Präsident Maithripala Sirisena und Ministerpräsident Ranil Wickremesinghe, der im Herbst eigentlich abgesetzt und erst aufgrund eines Urteils des Obersten Gerichts wiedereingesetzt worden war, in gegenseitiger Schuldzuweisung üben. Derweil fahnden die Behörden noch immer nach islamistischen AttentäterInnen, die weitere Sprengstoffanschläge planen sollen.
Zwar wird von JournalistInnen, Religionsführern und PolitikerInnen zu Ruhe und Besonnenheit aufgerufen, doch findet vor allem auf Social Media viel Hetze statt, die zunehmend auch auf die Printmedien übergreift. Und es gibt immer mehr Berichte zu gewaltsamen Übergriffen gegen MuslimInnen. So auch in Negombo, einer kleinen touristischen und grösstenteils katholischen Küstenstadt im Norden der Hauptstadt Colombo. Negombo hat den Ruf, ein Ort des friedlichen Zusammenlebens zu sein, an dem sich insbesondere die christliche und muslimische Gemeinschaft sehr nahestehen. Vielleicht nicht zuletzt deswegen wurde die Stadt Schauplatz des Terrors: 93 Menschen starben, als in der St.-Sebastians-Kirche eine Bombe detonierte. Seither sind auch hier die Spannungen gross, wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zu Beginn dieser Woche berichtete.
Von der lokalen muslimischen Bevölkerung haben viele die Stadt verlassen, um anderswo bei Familienangehörigen unterzukommen. Von tätlichen Übergriffen sind gemäss HRW deshalb vor allem Asylsuchende aus Pakistan, Afghanistan und anderen muslimischen Ländern betroffen, die keine Möglichkeit haben, die Stadt zu verlassen. Fast tausend Flüchtlinge hätten ihr Obdach verloren, weil HausbesitzerInnen sie unter dem Druck wütender Mobs auf die Strasse gestellt hätten, schreibt HRW. Viele suchten in Moscheen Zuflucht, die teils ebenfalls angegriffen wurden. Gegen 200 Asylsuchende sind derzeit in einem überfüllten Polizeiposten untergebracht. Das Gewaltpotenzial gehe weniger von der städtischen Bevölkerung aus, sagt der Schweizer Menschenrechtsaktivist Yves Bowie, der sich derzeit in Negombo aufhält. Vielmehr seien es Leute aus dem Umland, die sich zu Racheaktionen gegen MuslimInnen anstacheln liessen.
Extremistische Mönche
Auch Shreen Saroor setzt sich für die Asylsuchenden auf dem Polizeiposten von Negombo ein, für ihren Schutz vor Übergriffen und für die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Gebrauchswaren. Sie fühle sich nicht zuletzt aus biografischen Gründen zur Hilfe verpflichtet: Sie gehört mit ihrer Familie zu den 72 000 MuslimInnen, die 1990 von der tamilischen Kriegspartei LTTE aus dem Norden des Landes vertrieben wurden. «Ich weiss, was es heisst, keine Sicherheit und keinen Schutz zu haben», sagt Saroor. Seit einigen Jahren erlebe sie erneut, wie der Hass auf die muslimische Minderheit zunehme. «Die Stimmung ist schon vor längerem gekippt», so die Aktivistin.
Auch Yves Bowie stellte in Sri Lanka über die letzten Jahre hinweg eine wachsende Islamophobie fest, und zwar vor allem seit der Gründung von Bodu Bala Sena, einer extremen nationalistischen Organisation buddhistischer Mönche, im Jahr 2012. «In der aggressiven Rhetorik der singhalesischen Nationalisten wurden seither die Tamilen als Feindbild ein Stück weit durch die Muslime ersetzt», sagt Bowie.
Die NationalistInnen sind es denn auch, die von der aufgeheizten Stimmung derzeit als Einzige profitierten dürften. Vor allem unter dem ehemaligen Präsidenten Mahinda Rajapaksa, der 2015 überraschend abgewählt wurde und heute Oppositionsführer ist, bestanden enge Kontakte zwischen der Regierung und Bodu Bala Sena.
Am vergangenen Freitag, also bloss fünf Tage nach den Osteranschlägen, hat sein Bruder Gotabhaya Rajapaksa angekündigt, bei den Präsidentschaftswahlen anzutreten, die gegen Ende dieses Jahres stattfinden sollen. Er versprach, die Ausbreitung des radikalen Islam in Sri Lanka zu stoppen, indem er den Geheimdienst und dessen Überwachungsinfrastruktur stärken würde. Besonders jetzt, da sich viele einen starken Mann an der Spitze des Landes wünschen, stehen seine Chancen gut. Denn als solcher hat er sich bereits erwiesen, als er unter seinem Bruder Sekretär des Verteidigungsministers war – auch in der finalen, von Kriegsverbrechen durchzogenen Phase des Bürgerkriegs.