Aktivistische Filme: Grüne Wiese statt rote Faust

Nr. 20 –

Radikaler Kapitalismus verlangt radikale Antworten. Aber braucht es dafür auch radikale Filme? Auf dem ersten Treffen des Radical Film Network in Berlin winkten viele TeilnehmerInnen ab.

Wie lässt sich politische Kraft freisetzen? Szene aus dem Kurzfilm «Dawn of the Red» des Kunstduos A. S. S. Collective. Foto: Bruno Siegrist

Ernst-Thälmann-Park, Prenzlauer Berg: Auf einer Plane liegen Schlafsäcke, darauf Bücher wie «Das kommunistische Manifest» auf Türkisch oder ein Grundlagenwerk über «Protest Camps». Dazwischen Kaffeekocher, Wasserflaschen, ein Kamerastativ.

Das Kunstduo A. S. S. Collective lagert mit befreundeten AktivistInnen vor dem ramponierten Denkmal des Kommunistenführers, der dem Park hier seinen Namen gab, und hofft auf einen «Blitz des Erwachens». In seinem Kurzfilm «Dawn of the Red» (2018) steht das Monument beispielhaft für den stiefmütterlichen Umgang der Stadt mit den Überbleibseln ihrer realsozialistischen Vergangenheit: Nach der Wende mussten die Schrifttafeln weg, die Flutlichter blieben aus. Das Denkmal symbolisiert aber auch die politische Kraft, die in solchen Monumenten steckt. Nur, wie lässt sich diese Kraft freisetzen? Wie kann eine tonnenschwere Bronzebüste, die inmitten von Scherben und Kippen mit geballter Faust auf einem beschmierten Sockel thront, von ihrem Kontext und ihrer Geschichte isoliert werden? Mit Taschenlampen? Einer mobilen Flutlichtanlage? Oder reicht die Analyse bei einer Flasche Bier?

In Erwartung eines Blitzes

Das A. S. S. Collective war die grosse Entdeckung auf dem Radical Film Network Meeting in Berlin. Die Fragen, die es aufwarf, zielten ins Herz der Veranstaltung, ja, man könnte sogar sagen, sein Film spiegelte die Idee der Konferenz: Auch das Netzwerk tagte an einem historischen Ort im Grünen (dem «silent green Kulturquartier», einem ehemaligen Krematorium im ehemals «roten» Wedding). Und auch hier tauschte man Beobachtungen über ein kulturelles Relikt der Linken aus: Wie das A. S. S. Collective vor dem Thälmann-Denkmal lagerten wir vor dem Begriff des radikalen Films – neugierig, ratlos, in Erwartung eines Blitzes des Erwachens. Wofür denn «A. S. S.» stehe, fragte jemand nach der Vorführung aus dem Publikum. «Das haben wir noch nicht festgelegt», antwortete das Kollektiv.

Festlegen will sich auch das Radical Film Network nicht. Es wurde vor sechs Jahren von einer Gruppe von Aktivisten, Akademikerinnen, Filmschaffenden und Programmverantwortlichen in Grossbritannien gegründet. Mittlerweile umfasst es 133 Einrichtungen aus 24 Ländern. Einen offiziellen Vorstand gibt es nicht, die Meetings und Festivals finden dort statt, wo sich OrganisatorInnen finden. Der Sinn des Netzwerks ist das Netzwerk: «Es geht ganz einfach um Austausch, gegenseitige Unterstützung, öffentliche Aufmerksamkeit zur Förderung aktivistischer und experimenteller Filmkultur», erklärt Julia Lazarus, Mitorganisatorin der Veranstaltung in Berlin.

Was das konkret bedeutet, liess sich in einem Programmblock zum Berliner MieterInnenkampf beobachten. Die Dokumentarfilmerin Julia Dittmann zeigte einen Ausschnitt aus der Rohfassung ihrer Langzeitdokumentation «Frei atmen» über die Folgen von Privatisierung, Spekulation und Mietpreiserhöhungen im Prenzlauer Berg, an der sie seit zehn Jahren arbeitet. Als sie anschliessend von den Anwesenden wissen wollte, wovon sie gern mehr, wovon lieber weniger hätten, konnte man sich nur auf einen Punkt einigen: «Mehr Information.»

«Kollektive Arbeit kostet zu viel Zeit», meinte Matthias Coers passenderweise etwas später im selben Raum. Der Filmaktivist aus der MieterInnenbewegung sprach eine Reihe von Empfehlungen aus, die es zu beachten gelte, wenn man unabhängig bleiben und trotzdem von der Filmarbeit leben wolle. Gruppendiskussionen gehörten ganz offensichtlich nicht dazu.

Coers setzt auf Programmkinos, nicht aufs Kollektiv. Wer es schaffe, genügend Spielstellen von der Dringlichkeit eines Films zu überzeugen, könne auf einen Schneeballeffekt hoffen: Der Film läuft in mehreren Kinos gleichzeitig an, die Medien berichten darüber, immer mehr Menschen wollen ihn sehen. So geschehen mit seinem Dokumentarfilm «Mietrebellen» (2014), der in zehn Sprachen übersetzt in dreissig Ländern lief und demnächst sogar in Teheran gezeigt wird. Ganz ohne Selbstausbeutung sei so eine Erfolgsstory natürlich nicht zu haben, räumte Coers ein, aber der Aufwand lohne sich, schliesslich gehe es um den «Widerstand gegen den Ausverkauf unserer Städte».

Es bleibt das brotlose Internet

Doch was ist, wenn man in Gegenden arbeitet, wo es nicht genügend mutige Programmkinos gibt? Dann bleibt das brotlose Internet. Oder die Kunst! Oliver Ressler realisiert seit über 25 Jahren politische Videoinstallationen, die er in den Dienst sozialer Bewegungen stellt. In Berlin präsentierte er seinen fortlaufenden Filmzyklus über die Klimaschutzbewegung, «Everything’s Coming Together While Everything’s Falling Apart»: vier Filme über je einen Schlüsselmoment der Bewegung, die die These stützen, dass der Kampf gegen die Klimaerwärmung nicht ohne den Kampf gegen den Kapitalismus zu gewinnen ist. Ressler fand dafür eindrückliche Bilder, Momente und Stimmen, die er so verknüpfte, dass sie zum Mitdenken und Mitfühlen einladen.

«Radikal» sei das aber nicht, bemerkte der Videokünstler aus Wien und erntete dafür einiges Kopfnicken. Doch warum eigentlich nicht? Die Haltung ist klar, die Form offen, der Ton sanft und bestimmt. Ist nicht genau das die «Gegenöffentlichkeit», die wir heute brauchen?

www.radicalfilmnetwork.com