Misogynie: Ökonomie der Frauenverachtung

Nr. 25 –

Beim «Frauenhass» geht es nicht pauschal um das weibliche Geschlecht, sondern darum, einzelne Frauen von gesellschaftlichen Positionen auszuschliessen. So argumentiert die Philosophin Kate Manne in ihrem neuen Buch «Down Girl».

Aggression zwecks Disziplinierung: Schauspielerische Darstellung einer Frau, die von ihrem Mann in die Steinzeithöhle zurückgezerrt wird (Liverpool, 1930). Foto: Getty

Vor allem den Älteren dürften Familiensituationen wie diese gut vertraut sein: Ein Vater, emotional ganz von seiner Frau abhängig, muss im sozialen Alltag zwanghaft immer wieder zur Schau stellen, wie sehr er sie verachtet. Er macht sie lächerlich, lässt sie seine Aggression spüren, reduziert sie je nach Bedarf und Kontext auf die Rolle als Haushaltskraft, sexuelles oder asexuelles Wesen.

Die US-amerikanische Philosophieprofessorin Kate Manne untersucht in ihrem neuen Buch «Down Girl», welche Funktion solche Frauenverachtung erfüllt. Dabei geht sie von der These aus, dass eine psychologisierende Interpretation die real zu beobachtende Misogynie häufig nicht erklären kann. Wenn es beim «Frauenhass», wie der Begriff nahelegt, wirklich pauschal um Frauen ginge, dann müssten die misogynen Täter alle Frauen gleichermassen verachten. Aber das ist offenkundig nicht der Fall. Vielmehr richtet sich ihre Aggression selektiv gegen solche Frauen, die «als aufsässig, nachlässig oder aus der Reihe tanzend wahrgenommen werden». Ausgelöst werde diese Haltung durch das Gefühl, nicht über die Frauen verfügen zu können. Manne vergleicht das mit der «Verletzlichkeit eines hungrigen Restaurantgastes (…) auf eine ausbleibende Kellnerin».

Disziplinierende Funktion

Manne macht deutlich, dass man von einer «Ökonomie» der Frauenverachtung ausgehen muss. Denn wenn sich die Aggression von Männern nicht gegen Frauen als solche, sondern gegen deren Ausbruch aus zugewiesenen Rollen richtet, dann erfüllt sie offenbar eine disziplinierende Funktion. Anders ausgedrückt: Misogynie ist als Instrument zu sehen, mit dem Frauen «männlich kodierte Vergünstigungen und Privilegien» vorenthalten werden sollen. Denn da Führungspositionen, Einfluss, Geld, Status und Prestige in einer Gesellschaft nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, ist es für Männer rational, Frauen aus der Konkurrenz um diese Güter auszuschliessen.

Mit dieser Herleitung stellt Manne nicht infrage, dass Misogynie auch eine emotionale und psychische Dimension besitzt. Sie schreibt ausdrücklich, dass Scham oder verletzter Stolz der Täter oft Auslöser der Gewalt seien. Doch gleichzeitig müsse man die rationale Funktion solcher emotionaler Reaktionen zur Kenntnis nehmen. So definiert sie den Begriff aus der Perspektive der Betroffenen: Misogynie liege dann vor, wenn Frauen «Feindseligkeit in einer Art erfahren, die zur Kontrolle und Durchsetzung genderspezifischer Normen und Erwartungen dient».

Worin unterscheidet sich dieser Mechanismus aber von Sexismus? «Down Girl» schlägt hier folgende Differenzierung vor: Während Sexismus vor allem die Funktion besitze, patriarchalische Verhältnisse zu rechtfertigen und mit biologischen Verweisen zu naturalisieren, stelle Misogynie die Verhältnisse handfest her. Manne vergleicht das mit der Wirkungskraft von «zivilgesellschaftlicher Ordnung und staatlicher Exekutive». Sexismus wäre das diskursive System, Misogynie die Gewaltandrohung und -ausübung, mit der Regelverletzungen bestraft werden.

Mannes Grundthesen sind überzeugend. Dass das Buch als Ganzes trotzdem nicht funktioniert, liegt an der fehlenden Struktur. Die Autorin greift zwar wiederholt auf formallogische Argumentationsfiguren zurück, doch insgesamt folgt «Down Girl» keinem klaren Strang. Immer wieder werden dieselben Beobachtungen ins Feld geführt – zum Beispiel die misogyne Dimension des Wahlkampfs gegen Hillary Clinton 2016. Dadurch stellt sich das Gefühl ein, auf der Stelle zu treten.

Ein Fall von «Himpathy»?

Zum anderen sind die Beispiele, mit denen Manne ihre Aussagen zu untermauern versucht, oft zu eindimensional. So diskutiert die Autorin an einer Stelle ausführlich den misogynen Gehalt zweier erfolgreicher Filme: des US-Krimis «Gone Girl» und der ersten Staffel der TV-Serie «Fargo». Für Manne sind beide Produktionen Ausdruck von «Himpathy», also der im patriarchalen System verankerten Neigung, den männlichen Täter zulasten des weiblichen Opfers zu entschuldigen. Dass es das Phänomen gibt, steht ausser Frage, doch die beiden Filme taugen kaum als Beispiele dafür. «Gone Girl» etwa, in dem eine Frau ihr Verschwinden vortäuscht, um den Ehemann ins Gefängnis zu bringen, funktioniert als Krimi genau deshalb, weil hier zwei sich widersprechende «Glaubwürdigkeitsdefizite» in Stellung gebracht werden. Als ZuschauerIn verspürt man zunächst gar keine «Himpathy», sondern misstraut durchaus dem Mann, gewinnt dann aber zunehmend den Eindruck, dass es auch um Klassenverhältnisse geht. Die verschwundene Amy, die an Eliteuniversitäten studiert hat, verachtet ihren Mann Nick als Loser, und genau diese asymmetrische Überlagerung von Machtsystemen und Glaubwürdigkeiten lässt einen zweifeln.

Doch auch wenn die Lektüre von «Down Girl» bisweilen ermüdet und an anderen Stellen nicht überzeugt, sind die aufgeworfenen Fragen doch enorm wichtig: Gegen welche Frauen und welches Verhalten richtet sich misogyner Hass? Welche Funktion erfüllen scheinbar spontane männliche Verhaltensmuster? Die Bedeutung des Antifeminismus für den Aufstieg der extremen Rechten verweist darauf, wie wichtig es ist, diese Debatte zu führen.

Kate Manne: Down Girl. Suhrkamp Verlag. Berlin 2019. 500 Seiten. 35 Franken