Nina Power: «Die Linke sieht heute aus wie eine Kriegerin für soziale Gerechtigkeit, die keine Witze versteht»

Nr. 45 –

Ist das noch Politik oder schon Lifestyle? Für die Philosophin Nina Power ist klar: Wo der Feminismus zum Konsumgut geworden ist, muss man ihn radikal neu politisieren. Im Interview spricht sie über falsche Gegensätze, gut gemeinte Hashtags und rechte Vorzeigefrauen.

Philosophin Nina Power: «Dieses System muss komplett abgerissen werden. Und ich glaube nicht, dass ein Hashtag allein das leisten wird.»

WOZ: Nina Power, warum bringt es nichts, ein T-Shirt mit dem Aufdruck «I’m a feminist» zu tragen?
Nina Power: Habe ich das gesagt?

Nein. Sie können natürlich auch sagen, es sei gar nicht nutzlos.
Wenn sie nicht mit struktureller Veränderung verknüpft ist, hat diese Art von oberflächlicher Politik nichts zu bedeuten. Schliesslich haben auch schon viele rechte Männer solche T-Shirts getragen. In meinem Buch «Die eindimensionale Frau» ging es mir darum zu zeigen, wie der Mainstreamfeminismus zu einer Marke und zu einem Konsumgut geworden ist. Es überrascht nicht, dass sich diese Tendenz seither noch verstärkt hat. Ein solches T-Shirt ist weder gut noch schlecht, es ist schlicht irrelevant.

Und was halten Sie vom Hashtag-Feminismus?
Das ist eine relativ komplexe Frage. Denn natürlich sind auch Kampagnen wie #metoo problematisch: Immer müssen die Frauen die Arbeit leisten und ihre Geschichte erzählen – nie sind es die Männer, die zugeben, Frauen schreckliche Dinge angetan zu haben. Manchmal habe ich das Gefühl, dieser ganze Hashtag-Feminismus leide an seiner eigenen Irrelevanz. Gleichzeitig bringen solche Kampagnen auch etwas zum Vorschein, was bisher nicht diskutiert wurde. Fragen von Geschlecht und «Race» sind in den letzten Jahren nicht zuletzt dank Twitter viel mehr in den Mainstream gerückt.

Kann so ein Hashtag auch konkrete politische Folgen haben?
Ja, sobald diese Kampagnen in den sozialen Medien mit Protesten auf der Strasse verschmelzen, wie beispielsweise den Frauenmärschen oder den «Ni una menos»-Kundgebungen in Lateinamerika. Ich bin sehr an Bildern interessiert, an der Frage, wer welche Bilder produziert. Warum etwa bestimmen rücksichtslose Männer, wie Weiblichkeit auszusehen hat? Gleichzeitig ist Repräsentation allein nie die Lösung – egal ob es um Bilder geht oder um parlamentarische Politik. Denn das eigentliche Problem ist das System selbst: die Verbindung von Misogynie, Patriarchat und Kapitalismus. Dieses System muss komplett abgerissen werden. Und ich glaube nicht, dass ein Hashtag allein das leisten wird.

Was hat sich verändert, seit «Die eindimensionale Frau» herauskam?
Als ich das Buch mit Mitte zwanzig schrieb, war ich verzweifelt, die Wirtschaftskrise hatten wir zu dieser Zeit noch vor uns. Seither ist einiges passiert. In Britannien etwa gab es riesige Studentenproteste und Strassenkämpfe, in anderen Ländern war das ähnlich. Deshalb würde ich sagen, dass die Verhältnisse heute besser und schlimmer zugleich sind: besser, weil klarer ist, was auf dem Spiel steht, und weil wieder mehr Leute auf die Strasse gehen. Aber für viele ist die Lage auch viel schlimmer geworden, vor allem für Frauen.

Woran machen Sie das fest?
Die Austeritätspolitik in Britannien war und ist brutal, gerade wenn es um das Armutsrisiko von Frauen geht oder um den Unterhalt für Kinder. Vor allem im öffentlichen Sektor wurden Jobs gestrichen – dort also, wo mehr Frauen als Männer arbeiten. Als sich die Wirtschaft etwas erholte, bekamen Männer die gut bezahlten Jobs, während vor allem junge Frauen prekäre Jobs annehmen mussten. Es fand also eine Feminisierung von Arbeit statt. Gleichzeitig überrascht es kaum, dass der CEO-Feminismus etwa einer Sheryl Sandberg weiterhin behauptet: «Frauen, ihr müsst euch nur noch mehr anstrengen, dann könnt ihr gewinnen. Kapitalismus, Juhu!» Doch es wird auch immer klarer, dass das nur in einem winzigen Teil der Welt der Fall ist.

Selbst Hillary Clinton kann sich mit ihrem CEO-Feminismus noch so sehr anstrengen bei den Präsidentschaftswahlen – es gewinnt dann doch Donald Trump. Ist Trump, um es mit Antonio Gramsci zu sagen, bloss ein «morbides Symptom», ein Interregnum, oder steht er für einen Backlash?
Ich weiss es nicht. In ihrem Buch «Kill All Normies» untersucht die Feministin Angela Nagle, wie Männerrechtsaktivismus mit dem Anstieg von Misogynie und Ironie im Internet korreliert: diese stark männlich dominierte Meme-Kultur und wie sie zu Trumps Sieg beigetragen hat. Nagle sagt: Das, was wir für die Domäne der Linken hielten – Gegenkultur und Ironie –, wurde von der «Alt-Right» gekapert. Ich glaube, dass diese Theorie einen wahren Kern hat. Die Linke sieht heute aus wie eine Kriegerin für soziale Gerechtigkeit, die keine Witze versteht.

Wie kann man dieser ironischen Neuen Rechten begegnen?
Die schwierige Frage ist, wie Faschismus und Misogynie zusammenhängen. Denn Frauenfeindlichkeit ist immer das Herzstück einer jeden Form von Faschismus. Wenn wir über Politik nachdenken, sollten wir uns also stets fragen, welche Rolle Misogynie dabei spielt. Man kann das auch in vielen rechtsnationalen Kampagnen beobachten: Die AfD machte Wahlkampf mit einem Plakat, auf dem eine schwangere Frau abgebildet war. Darunter stand der Satz: «‹Neue Deutsche?› Machen wir selber!» Hier kommen Misogynie und Ethnonationalismus zusammen. Solche Sachen müssen wir analysieren, um dagegen kämpfen zu können.

Wurde Trump eigentlich trotz seiner Misogynie gewählt oder gerade deswegen?
Beides. Wir müssen wohl akzeptieren, dass viele Leute im Wissen darum für ihn gestimmt haben. Schliesslich haben ihn ja auch zahlreiche weisse Frauen gewählt, was in vielerlei Hinsicht sehr deprimierend ist. Für manche war das wohl eine Art Vergeltung: Wenn man sich zwischen einer Frau und einem frauenfeindlichen Mann entscheiden muss, nimmt man dennoch eher den Mann. Einfach, weil er nicht die Frau ist – auch wenn diese Leute sich selbst vermutlich gar nicht als Frauenfeinde sehen. Oder man wählt Trump wegen der wahnhaften Vorstellung, er würde Jobs in die USA zurückbringen. Den Hass auf Frauen kann man dabei ignorieren. Ich glaube, der Mechanismus funktioniert in beide Richtungen.

Auffällig ist auch, dass an der Spitze rechter Bewegungen wie der AfD oder dem Front National heute oft Frauen stehen. Wie erklären Sie sich diesen scheinbaren Widerspruch?
Die Feministin Zillah Eisenstein hat das Konzept des «decoy», des Lockvogels, eingeführt. Es bedeutet nicht nur, dass Vorzeigefrauen in Machtpositionen sitzen, sondern dass sie tatsächlich wie Lockvögel oder Attrappen funktionieren: Man denkt dann, eine Bewegung könne gar nicht so faschistisch sein, weil eine Frau an der Spitze ist. Ein «decoy» ist also eine Person, die eigentlich die Rolle gar nicht haben sollte, die sie innehat. Sie dient dazu, unsere politischen Instinkte zu untergraben. Im Sinne von: Man kann Marine Le Pen nicht angreifen, sie ist schliesslich eine Frau. Oder Condoleezza Rice, die ist sogar eine Woman of Color. Oder Barack Obama, weil er ein Man of Color ist.

Wo steht Angela Merkel, die «mächtigste Frau der Welt», in diesem Bedeutungsfeld?
Merkel ist eine ziemlich aufschlussreiche Persönlichkeit. Sie kommt aus der ehemaligen DDR, ist aber offensichtlich keine Kommunistin. Sie hat eine interessante, etwas altmodische Art. Natürlich ist ihre Politik problematisch – etwa, wie Deutschland Griechenland behandelt hat. In der Flüchtlingsfrage hat sie aber einige starke Entscheidungen getroffen, die hoffentlich das Leben vieler Leute irgendwie verbessert haben – auch wenn das natürlich nicht ausreicht. Ich frage mich, ob es in Zukunft noch Politikerinnen wie Merkel geben wird. Oder ob sich die Kultur bereits so verändert hat, dass es diese Art von politischer Bildung, die sie genossen hat, vielleicht gar nicht mehr gibt.

Sie sprachen von Bildern. Was für ein Frauenbild repräsentiert Merkel eigentlich? Die Deutschen nennen sie ja «Mutti».
Sie haben recht: Merkels Rolle ist paradox. Aber warum kann sie nicht einfach eine Frau sein, die als Politikerin arbeitet? Die bessere Frage wäre: Wessen Mutter ist sie, die von Deutschland? Das ist irgendwie eklig und auf nationalistische Weise hässlich. Es ist doch absurd, dass Frauen immer Mütter oder Partnerinnen von jemandem sein müssen.

Kommen wir zurück auf den Feminismus. Man hat den Eindruck, dass heutzutage alles Mögliche unter diesem Stichwort verkauft und verhandelt wird, ausser tatsächlicher Gleichheit. Die wiederum scheint fast etwas Anstössiges zu sein.
Gleichheit hat ja eine lange revolutionäre Geschichte – man denke nur an die Französische Revolution. Was ich etwa an Black Lives Matter mag, ist die radikal egalitäre universelle Ansage: Wenn alle Leben zählen, zählen eben auch die Leben der People of Color. Dasselbe gilt für die Anliegen der Frauen.

Was wäre denn wahre Gleichheit?
Um dorthin zu gelangen, muss man eine Geschichte demontieren, die ein solches Konzept überhaupt erst hervorgebracht hat. Wenn im Patriarchat die Frauen als Mitglieder einer Unterklasse behandelt werden, könnte man auch fragen, wie Gleichheit mit diesem Unterdrücker überhaupt aussähe – so lange, bis man die Hierarchie zerlegt hat. Gleichheit ist eine strategische Forderung. Der Umstand, dass sie Unbehagen auslöst, zeigt doch gerade ihre Wichtigkeit. Gleichzeitig kann es nicht die einzige Forderung sein: Du kannst nicht Gleichheit innerhalb eines Systems verlangen, das dir gegenüber nie fair sein wird. Solche Errungenschaften sind immer zeitlich begrenzt.

Würde das auch implizieren, dass die Klassenfrage stets zuerst geregelt werden muss?
Nein, ich weiss gar nicht, warum die Leute das immer als Gegensatz begreifen. Das ergibt alles gar keinen Sinn: Die meisten Arbeiter auf der Welt sind ja eh Frauen und People of Color. Die Vorstellung, man könnte von Klasse so reden, als seien damit nur weisse Männer gemeint, ist also falsch – historisch und global betrachtet. In den meisten Ländern, in denen es marxistische Revolutionen gegeben hat, wurden diese von Frauen und Men of Color gemacht. Dort sind Race, Class und Gender keine separaten Fragen.

Diese Gegenüberstellung von Klassen- und Identitätspolitik ist also falsch?
Sie ist beschränkt und wie gesagt auch historisch falsch. Im Internet werden diese Diskussionen polarisiert. Ich hoffe aber, dass wir unser Leben nicht nach diesen Massstäben leben, dass wir die Dinge nicht so aufteilen wie diejenigen, die von der Spaltung profitieren. Die Frage ist doch immer, wer diese Kategorien macht und aus welchem Grund er oder sie das tut.

Heute wird der Feminismus oft von seinen – rechten – Feinden instrumentalisiert: Man rechtfertigt etwa Bombardements auf Afghanistan mit dem Verweis auf Frauenrechte, obwohl man sich anderweitig null für Frauenanliegen interessiert.
Ja, mit dieser strategischen Aneignung von feministischen Argumenten durch Neocons will man sich gezielt an eine bestimmte Öffentlichkeit ranschmeissen: Man evoziert einen vermeintlichen gemeinsamen Feind, weigert sich aber gleichzeitig, Frauenanliegen im eigenen Land zu unterstützen – um so zu verhindern, dass die Frauen realisieren, dass sie vielleicht mehr mit Frauen in Saudi-Arabien gemeinsam haben, als sie denken. Man versucht, die Unterschiede hervorzuheben, betont auf übertriebene Weise, dass wir die Kämpfe der Frauen in anderen Ländern und Kulturen gar nicht begreifen können, weil wir privilegiert sind. Deswegen nützen diese strategisch eingesetzten Feminismusargumente vor allem denjenigen, die verhindern wollen, dass es eine globale, internationalistische Bewegung für Frauenrechte gibt. Dabei gibt es doch viel mehr Dinge, die uns verbinden, als solche, die uns spalten. Als ob die Leute so verschieden wären! Davon profitieren dann immer die Falschen: diejenigen, denen feministische Anliegen komplett egal sind.

Gibt es in Britannien eigentlich auch diese medial und politisch überhitzte Debatte über Kopftuch und Nikab?
Die Diskussion verläuft bei uns etwas anders. Wir haben nicht dieselbe republikanische Politik, diesen säkularisierten Laizismus. Bei der Kopftuchfrage geht es offensichtlich darum, die Muslime zu attackieren, und überhaupt nicht um Feminismus. Wollte man tatsächlich den Frauen helfen, aus schwierigen gewaltsamen familiären Strukturen zu entkommen, würde man Gruppen gründen, die sich darum kümmern. Man würde diesen Frauen sicher nicht sagen, sie müssten das Kopftuch ausziehen. Das hilft niemandem, sondern führt einzig dazu, dass diese Frauen noch mehr geächtet und ausgegrenzt werden. Es entfremdet sie bloss noch mehr – von ihren Familien und von der Gesellschaft als Ganzes. Sie würden etwa gezwungen, noch mehr im Haus zu bleiben und nicht am öffentlichen Leben teilzunehmen. Überhaupt entsteht so die Idee, dass die Frauen schuld sind oder dass sie etwas Schreckliches repräsentieren. Es ist ein Stück Stoff! Ich will keineswegs behaupten, dass es keine Probleme gibt mit dem Islam. Aber alle grossen Religionen verursachen Probleme, weil sie patriarchalisch strukturiert sind.

Wie erklären Sie sich, dass viele der älteren Feministinnen wie Alice Schwarzer auch auf diesen rassistischen Zug aufgesprungen sind?
Nun, nicht alle Feministinnen dieser Generation sind so. Manche kritisieren rassistische und homophobe Argumente auch. Ich weiss nicht so ganz, was hier abgeht. Vielleicht ist hier ein Punkt erreicht, wo ein bestimmter Feminismus an seine Grenzen kommt. Wenn dein Hauptanliegen das Auseinandernehmen des Patriarchats ist und du streng dogmatisch davon ausgehst, dass der Feminismus eine säkulare, republikanische Bewegung zu sein hat, wirst du dich weigern, so etwas wie einen muslimischen Feminismus überhaupt in Betracht zu ziehen. Dann siehst du Musliminnen immer bloss als Frauen, die gerettet werden müssen. Es gibt so eine bestimmte Sorte französischen Chauvinismus, eine Bigotterie, die einem radikal säkularistischen Selbstbild entspringt. Das ist auch verwandt mit einem alten kulturalistischen Imperialismus, der davon ausgeht, dass die Afrikaner uns halt unterlegen sind.

Auch alte Marxisten wie Slavoj Zizek sagen, wir müssten jetzt endlich aufhören mit Political Correctness und Gender Studies und endlich wieder zu echter Politik zurück.
Nun, was Zizek über Gender sagt, ergibt sowieso keinen Sinn. Er ist ein «contrarian»: ein Querschläger und selbsternannter Nonkonformist, der halt einfach irgendetwas sagt. Er scheint mir in diesem Zusammenhang völlig irrelevant.

Hierzulande bietet man ihm in konservativen Zeitungen eine Plattform, wo er dann als Vorzeigelinker in regelmässigen Abständen Anti-Gender- und Anti-PC-Texte schreiben darf …
Erstaunlich, dass sie bei diesem Thema ausgerechnet auf ihn setzen. Ich habe zum Beispiel seinen Text zu Transgender-Toiletten gelesen. Sein Argument war überhaupt nicht schlüssig. Jedenfalls konnte ich darin keine stringente Position erkennen.

Wie kann man überhaupt Widerstand leisten, wenn jede subversive Position gleich vom Kapitalismus gekapert und schliesslich neutralisiert wird?
Alle wissen das und bekommen das auch zu spüren. Man kann gar nicht mehr wirklich subversiv sein. Die gegenkulturellen Taktiken aus den Sechzigern und Siebzigern, die ja nur zum Teil feministisch waren, sind heute zum Spielzeug der Rechten geworden. Man ist subversiv, um subversiv zu sein, es geht nicht mehr um konkrete Inhalte. Diese ganzen Nazis, die sich für ironische Supernihilisten halten, grenzüberschreitend oder subversiv zu sein meinen, obwohl sie einfach den Status quo in einer gewalttätigeren Form reproduzieren.

Trotzdem die Frage: Was tun?
Oh Gott, alle stellen immer diese grossen Fragen. Wenn ich die Strategiefrage heute beantworten muss, sage ich: Es gibt keine individuelle Antwort auf kollektive Fragen. Es kann also niemand sagen, was wir tun oder nicht tun sollen. Die Lösung entsteht immer im Kollektiv, in einer kollektiven Reaktion. Wenn die #metoo-Kampagne etwas verändert, wenn im Fahrwasser des Missbrauchsskandals um Harvey Weinstein alle geoutet werden, die sich ähnlich verhalten haben, wird es vielleicht das Verhalten der Männer verändern. Vielleicht werden Jungs anders erzogen, sodass sie nicht mehr das Gefühl haben, der weibliche Körper gehöre ihnen. Das wäre ein langsamer sozialer Wandel, eine langsame Revolution. Sie würde die Welt für Mädchen und Frauen etwas sicherer machen.

Und sonst?
Eine weitere Strategie wäre, Arbeit zu reduzieren oder gleich ganz zu eliminieren. Im Moment denke ich aber in eine andere Richtung: Im Zuge der Automatisierung werden viele Jobs zerstört. Das Einzige, was nicht zerstört werden kann, ist die traditionell weibliche Care-Arbeit, die zudem oft von Migrantinnen ausgeübt wird, schlecht bezahlt und schlecht angesehen ist. Die Gelegenheit wäre also günstig, ebendiese Arbeit neu mit Bedeutung und Wertigkeit aufzuladen. Man könnte sagen: Eigentlich ist es die wichtigste Arbeit überhaupt, immerhin geht es um die Aufrechterhaltung und Reproduktion von Leben. Was würde es bedeuten, diese Arbeit in Zukunft besser zu entgelten und ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen? Das wäre doch ein riesiges politisches Projekt für die Zukunft. Ein menschlicher Ausweg!

Kürzlich haben Sie in einem Aufsatz die These aufgestellt, Frauen seien viel besser für das Maschinenzeitalter gewappnet, weil Frauen eine historische Affinität zu Maschinen hätten.
Ja, auch die Philosophin Sadie Plant argumentiert so, wenn sie in ihrem Buch «Zeros and Ones» das Verhältnis von Frauen und Maschinen historisch beschreibt: anhand der ersten, mit Lochkarten betriebenen, automatisierten Webstühle. Heute bin ich etwas weniger enthusiastisch. Es ist ja nicht das Matriarchat, das die Umsetzung der Automatisierung kontrollieren wird. Ein sehr interessantes – und kontroverses – Feld gibt es allerdings: die Entwicklung von Sexrobotern. Wäre es nicht ein Fortschritt, wenn sie die Arbeit der Sexarbeiterinnen übernehmen könnten? Natürlich kann man auch dagegen argumentieren. Jedenfalls wäre es eine interessante Debatte um diese intimen Fragen der Lust und die Rolle der Technologie. Aber letztlich interessiert es mich schlicht zu wenig, wie Männer zu ihrem Orgasmus kommen (lacht). Bitte nehmen Sie das nicht als Schlusssatz!

Gut. Noch eine Frage also: Gibt es irgendwo da draussen eine Hoffnungsfigur für die Zukunft?
Eine einzelne Person? Lieber wäre mir ein Kollektiv, alle Gruppen etwa, die sich für Frauenrechte einsetzen. Das ist die offensichtliche Antwort. Die komplexere Antwort lautet: Die Struktur, die vorgibt, dass wir HeldInnen wollen oder brauchen, ist bereits Teil des Problems.

Die Radikale

Das Buch ist acht Jahre alt, doch Nina Powers Analyse ist bis heute treffend: In «Die eindimensionale Frau» (Merve-Verlag, Berlin 2011) zerlegt die britische Philosophin auf polemische Weise den herrschenden Lifestylefeminismus und seinen Hang zum Konsumdenken: «Plötzlich ist alles ‹feministisch› – Shopping, Pole-Dancing, sogar Schokoladeessen.» Dagegen helfe nur eine radikale Repolitisierung aller Fragen, ohne dabei zu vergessen, dass mittlerweile sogar der letzte private Winkel durchökonomisiert sei.

Doch Power kritisiert nicht nur gewisse feministische Auswüchse, sondern findet auch Schwachstellen bei zeitgenössischen Männerbünden, die sich selbst durchaus als fortschrittlich begreifen: vom situationistischen Autorenkollektiv Tiqqun bis zu den Akzelerationisten. In ihrem neusten Buch, «Das kollektive politische Subjekt» (Laika Theorie, Hamburg 2015), bringt sie ein neues Kollektivsubjekt als «Antidot zur Nabelschau in der Philosophie» in Stellung. Die 39-Jährige lebt in London und lehrt dort an der University of Roehampton.