Flüchtlingspolitik: Die Menschen hinter Rackete

Nr. 27 –

Am Schluss war aus Lampedusa doch noch Erfreuliches zu vernehmen. Am Ende, nach einer riesigen Solidaritätswelle, nach europaweiten Demos, tausendfach geteilten Aufrufen und Geldsammlungen prominenter Köpfe, kam Carola Rackete frei. Die Kapitänin der «Sea-Watch 3» war zuvor vor laufender Kamera abgeführt, ihr Schiff beschlagnahmt worden: weil sie trotz Verbot nach wochenlanger Odyssee und mit vierzig traumatisierten Menschen an Bord Lampedusa ansteuerte. Der italienische Innenminister tobte. Die Richterin aber begründete die Freilassung mit einem einfachen, klaren Satz: «Sie handelte, um die Geflüchteten in Sicherheit zu bringen.»

Der Einfahrt der «Sea-Watch 3» war ein langwieriges Tauziehen vorausgegangen – dabei ging es bloss um die Verteilung weniger Menschen auf einem Kontinent mit über 500 Millionen. Das Trauerspiel ist stets das gleiche, seit Italien und Malta ihre Häfen geschlossen haben: Den Rettungsschiffen bleibt das Einlaufen so lange verwehrt, bis die Situation an Bord untragbar wird und ein paar Länder nachgeben. Krisenmodus in Dauerschleife.

Ob Racketes Freilassung daran etwas ändert – zumal sie noch einmal vor Gericht muss –, ist offen. Einmal mehr sind die SeenotretterInnen aber zum Symbol geworden: für das Versagen eines ganzen Kontinents. Mit ihrem Handeln halten sie Europas Untätigkeit den Spiegel vor. Sie stören, weil sie eingreifen.

Die Rettung von Menschen in Not, ihre sichere Unterbringung, die Garantie auf ein faires Asylverfahren: Sie sind, das haben verschiedene ExpertInnen in den letzten Tagen belegt, eine völkerrechtliche Verpflichtung, nicht bloss eine Frage der Moral und schon gar nicht eine Meinung. Die Kriminalisierung der SeenotretterInnen ist nichts anderes als eine Pervertierung des Rechtsstaats. Carola Rackete ist dabei kein Einzelfall. Auch gegen zehn Crewmitglieder der «Iuventa» wird in Italien zurzeit ermittelt.

Es ist heute kaum mehr vorstellbar, doch noch vor wenigen Jahren retteten italienische Marineschiffe die Flüchtenden. Eingestellt wurde «Mare Nostrum» gerade auf Druck jener Länder, die von den Aussengrenzen weit entfernt sind. Sie sind es auch, die in Brüssel Reformen für eine gerechtere Verteilung der Asylsuchenden blockieren – und dies schon seit Monaten. Auch wenn Italiens Innenminister ein unerträglicher Hetzer ist, greift die Kritik an ihm allein doch zu kurz: Das Drama auf dem Mittelmeer ist ein europäisches.

Statt staatlicher RetterInnen operieren dort heute Milizen, die von der EU und der Schweiz finanziert werden – und die Flüchtende nach Libyen zurückbringen: in ein Land, das sich im Bürgerkrieg befindet, in dem misshandelt und gefoltert wird, Menschenrechte nur wenig zählen. Diese Woche fielen Bomben auf ein Flüchtlingslager, über vierzig Menschen haben ihr Leben verloren.

Vor Jahren schon hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Rückschaffungen nach Libyen verboten, die Situation vor Ort ist seither nur schlimmer geworden. Das weiss man auch in Bern und Brüssel – und trägt dennoch eine weisse Weste: Man nennt die libyschen Milizen «Küstenwache», lässt sie für sich die Drecksarbeit erledigen.

So positiv die Freilassung von Rackete auch ist: Dass die Solidarität vor allem den SeenotretterInnen gilt, zeigt noch einmal die gewaltige Aufrüstung des Grenzregimes der letzten Jahre. Die Kriminalisierung der Helfenden macht die Flüchtenden erst recht vergessen: all jene, die auf den griechischen Inseln festsitzen, durch die Sahara fliehen oder im libyschen Tripolis ablegen. Im grossen europäischen Machtspiel sind sie bloss StatistInnen.

Ihre Rettung muss wieder Aufgabe der Staaten werden. Statt auf einen europäischen Konsens zu warten, der nicht kommen wird, könnten willige Länder die Geflüchteten unter sich verteilen. Als Dauerlösung statt als Hauruckübung. Auch aus der Schweiz – die gern so tut, als habe die prekäre Lage auf dem Meer nichts mit ihr tun, sich lieber als Europameisterin der Ausschaffungen hervortut und zuletzt auffällig still geblieben ist – bräuchte es ein entsprechendes Signal. Am besten eine Flagge am Mast eines Rettungsschiffs.