Kommentar zur rechten Regierung in Italien: Traumland der europäischen Rechten
Nicht nur Marine Le Pen schwärmt für Italiens selbsternannte «Regierung des Wandels»: Einlösen wird diese vor allem rechte Wahlversprechen.
Der Mann hat Nerven. Bis zuletzt liess Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella die Tür offen für eine Lösung, die schon vom Tisch schien und dann doch noch Wirklichkeit wurde: eine Regierung unter dem parteilosen, dem Movimento Cinque Stelle nahestehenden Juristen Giuseppe Conte. Möglich wurde das, weil sich die beiden beteiligten Parteien letztlich zu einer realistischen Einschätzung des derzeit Machbaren aufrafften. Cinque Stelle – in Gestalt von Luigi Di Maio und dessen Führungsstab – leitete vor allem die Einsicht, dass eine so günstige Gelegenheit zum Regieren für sie so schnell nicht wiederkommen würde. Etwas weniger vorhersehbar agierte die Lega. Matteo Salvinis vorgeblich ultimative Forderung an Mattarella, den europafeindlichen Paolo Savona als Wirtschaftsminister zu akzeptieren, liess sich nicht durchsetzen. Nun wird Savona Minister für EU-Angelegenheiten.
Salvinis Einlenken hält seiner Partei für die Zukunft alle Optionen offen. Sollte es dereinst zu Neuwahlen kommen, könnte er das Rechtsbündnis neu beleben, das am 4. März auf 37 Prozent der Stimmen kam: eine Koalition mit Silvio Berlusconis Forza Italia und Giorgia Melonis extrem rechten Fratelli d’Italia. Anders als noch im März wäre Salvini beim nächsten Mal unumstrittener Anführer dieses Rechtsblocks.
In Umfragen hat die Lega zuletzt weiter zugelegt. Das ist kein Zufall. Salvini präsentierte sich als starker Mann, der ebenso starke Worte mit flexibler Realpolitik zu kombinieren verstand. Dabei schien die Rollenverteilung anfangs klar: Bei 32 Prozent für Cinque Stelle und 17 Prozent für die Lega konnte Salvini nur Di Maios Juniorpartner sein. Nun sind beide gleichberechtigte Vizepremiers unter Conte, der die Regierung eher moderieren als führen wird.
Di Maio steht zwar an der Spitze des «Superministeriums» für Arbeit, Soziales und Entwicklung, während Salvini «nur» das Innenressort leitet. Gerade die Fülle an Kompetenzen und die damit verbundenen Erwartungen dürften für Di Maio aber noch zur Belastung werden. Denn die versprochenen Sozialreformen in seinem Zuständigkeitsbereich würden sehr viel Geld kosten – zu viel Geld. Das gilt etwa für die Rücknahme der unter Mario Monti 2011 eingeführten Verschärfungen der Rentengesetzgebung. Auch die irreführend «Bürgereinkommen» genannte Unterstützung für Erwerbslose in Höhe von monatlich 780 Euro für maximal zwei Jahre wird teuer werden. Und dann ist da noch die Flat Tax mit nur noch zwei Einkommenssteuerklassen von 15 und 20 Prozent; der bisher geltende Spitzensteuersatz lag bei 43 Prozent. ExpertInnen haben errechnet, dass alle versprochenen Reformen zusammengenommen jährlich 130 Milliarden Euro zusätzlich kosten würden. Da dürfte manches, was sich die selbsternannte «Regierung des Wandels» vorgenommen hat, erst einmal auf dem Papier bleiben.
Für Salvinis Programm hingegen ist die Frage der Finanzierung weniger entscheidend. Die von ihm angekündigten Sofortmassnahmen sind unbedingt ernst zu nehmen: Er will etwa jegliche Landungen von Flüchtlingsbooten an den Küsten unterbinden, Fluchthilfeinitiativen weiter kriminalisieren und massenhaft Geflüchtete abschieben. Bislang geduldete Camps von Roma sollen ebenso geräumt werden wie besetzte Häuser in den Metropolen.
Der Movimento Cinque Stelle, der «nicht links und nicht rechts» sein will, trägt all das aktiv mit. Nachdem Di Maio die Hysterie über einen angeblich anstehenden weiteren Sommer der Migration mit Tiraden über «Meertaxis» der Hilfsorganisationen zusätzlich angeheizt hat, marschiert die Cinque-Stelle-Basis neuerdings unter den Farben der Trikolore und singt die Nationalhymne. Im Nationalismus findet sie mit der Lega zusammen. Nicht auszuschliessen, dass das Bündnis die gesamte fünfjährige Legislaturperiode überdauert. Ob sich damit das viel beschworene Schreckensszenario einer «Dritten Republik» etabliert, bleibt vorerst offen. Eindeutig markiert der Amtsantritt des neuen Kabinetts aber einen weiteren Schritt nach rechts. Das ist Wasser auf die Mühlen der Regierungen in Warschau, Budapest und Wien, auch Marine Le Pens Begeisterung kommt von Herzen.
Umso schlimmer, dass sich die Bedenken in den EU-Gremien fast ausschliesslich gegen eine weiter steigende italienische Verschuldung richten. Angesichts des Spardrucks vonseiten der EU werden nicht zuletzt auch die strategischen Überlegungen des sozialdemokratischen Partito Democratico, sich als demonstrativ proeuropäische Kraft wieder neu zu profilieren, ins Leere laufen. Dabei hätte die schwache Linke in Italien Unterstützung von aussen dringend nötig: Früher oder später wird es darum gehen, viele enttäuschte WählerInnen von Cinque Stelle zurückzugewinnen. Auch der Rechtsblock wird dann bereitstehen.