Konzerne: Die Panikreaktion
Die Wirtschaftsdachverbände suchen verzweifelt nach Wegen, die Konzernverantwortungsinitiative auszubremsen. Dabei können sie auf prominente Hilfe zählen: den Bundesrat.
Letzte Woche beendete Justizministerin Karin Keller-Sutter die politische Sommerpause mit einem Paukenschlag: Sie brachte einen neuen und deutlich abgeschwächten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) ein – mitten in den weit fortgeschrittenen parlamentarischen Beratungsprozess. Es ist ein höchst unüblicher Akt, aus dem auch eine gewisse Verachtung für die Arbeit des Parlaments spricht. Vor allem aber ist es ein bundesrätlicher Kniefall vor den Konzernen.
Seit knapp zwei Jahren arbeitet das Parlament an einem Kompromiss zur 2015 von einer breiten zivilgesellschaftlichen Koalition lancierten Kovi. Die Initiative, die gemäss Umfragen grosse Sympathien in der Bevölkerung geniesst, fordert im Kern, dass in der Schweiz ansässige Unternehmen Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland respektieren. Fehlbare Konzerne sollen deshalb in Zukunft für Schäden, die sie oder ihre Tochterfirmen verursachen, haften. Weil die Kovi dem Parlament zu weit ging, erarbeitete die Rechtskommission des Nationalrats letztes Jahr einen indirekten Gegenvorschlag. Damit wären nur grosse Konzerne betroffen und die Haftung für Menschenrechtsverletzungen stark eingeschränkt. Die InitiantInnen sind trotzdem bereit, ihre Initiative bei einer Annahme des nationalrätlichen Gegenvorschlags zurückzuziehen.
In der kommenden Herbstsession steht nun die finale Entscheidung des Ständerats an, ob er den indirekten Gegenvorschlag annimmt – wie das der Nationalrat im Juni überraschend deutlich getan hat. Wieso nur versucht Karin Keller-Sutter, diesen Prozess zu torpedieren?
Stakeholderwahrheiten
Der Bundesrat hat sich von Anfang an gegen zusätzliche Haftung und rechtliche Verbindlichkeiten für Konzerne ausgesprochen. Er ist damit auf Linie mit dem Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und Swiss Holdings, dem Verband der multinationalen Konzerne in der Schweiz. Die Verbände wehren sich seit Beginn der parlamentarischen Beratung vehement gegen jegliche Haftungsregeln. Diese fehlen nun auch im bundesrätlichen Gegenvorschlag gänzlich. Stattdessen fordert er lediglich eine Berichterstattungspflicht für Konzerne, wobei diese «auf die Berichterstattung über einzelne Belange verzichten können, sofern sie erklären, warum dies der Fall ist», wie es in der Mitteilung des Bundesrats heisst. Es ist ein Vorschlag, der «selbstverständlich nicht zu einem Rückzug der Initiative führen wird», wie Kovi-Sprecher Tom Cassee sagt.
Das Zusammenspiel von Bundesrat und den beiden Wirtschaftsverbänden ist beileibe kein Zufall. Die Nähe zeigte sich etwa jüngst in einem Lobbyschreiben der beiden selbsternannten «führenden Wirtschaftsdachverbände» vom 8. August 2019 an die Rechtskommission des Ständerats, das der WOZ vorliegt. Gut eine Woche bevor der Bundesrat seinen konzernfreundlichen Gegenvorschlag verkündete, deuteten ihn die beiden Verbände in ihrem Schreiben bereits an. Sie wussten offensichtlich Bescheid über Keller-Sutters Vorgehen. In diesem Brief steht auch ein Satz, der verdeutlicht, worum es den Konzernen bei allen Beteuerungen zu «Nachhaltigkeitsprogrammen» und «Verantwortungsbewusstsein» wirklich geht: «Mehrwert für unsere Stakeholder zu schaffen und negative Auswirkungen auf diese zu verhindern.»
Gespaltene «Wirtschaft»
Letztlich ist das durchschaubare Manöver des Bundesrats und der beiden Wirtschaftsverbände eine Panikreaktion auf die Mitte Juni getroffene Entscheidung des bürgerlich dominierten Nationalrats, auf dem indirekten Gegenvorschlag zu beharren. In einem Brief hatten die Wirtschaftsverbände vergeblich an die NationalrätInnen appelliert: «Nur eine Beendigung des ‹Experimentes› Gegenvorschlag ermöglicht einen Ausweg aus der Sackgasse: Die Wirtschaft ist bereit, sich der Volksabstimmung zu stellen.»
Spätestens nach dieser Abstimmung muss den beiden Wirtschaftsverbänden klar geworden sein, dass sie sich nicht auf ihr jahrzehntelang zuverlässiges Lobbying und ihr ebenso bewährtes Angstframing, dass die Vorlage dem Wirtschaftsstandort Schweiz schade, würden verlassen können.
Hinzu kommt, dass «die Wirtschaft» keineswegs geschlossen gegen die Kovi respektive den indirekten Gegenvorschlag ist. Namhafte Verbände wie die IG Detailhandel Schweiz (in der Unternehmen wie die Migros und Coop vertreten sind) oder der Westschweizer Verband Groupement des Entreprises Multinationales unterstützen den indirekten Gegenvorschlag. So sagt die IG Detailhandel auf Anfrage: «Die Anliegen der Initianten greifen ein wichtiges ethisches Thema auf und sind im Kern berechtigt. Die Initiative schiesst allerdings über das Ziel hinaus. Insbesondere die darin enthaltenen umfassenden Haftungsbestimmungen gehen zu weit.» Deshalb setze sich die IG für den indirekten Gegenvorschlag ein, der «missbräuchliche Klagen» ausschliesse und zum Rückzug der Initiative führe, der sie an der Urne höhere Chancen zurechne als die Economiesuisse und Swiss Holdings.
Unweigerlich stellt sich angesichts dieser Ausgangslage die Frage, weshalb die beiden Wirtschaftsverbände so kompromisslos an ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Haftungsregeln festhalten. Die Antwort fällt bei beiden Verbänden gleich aus: Die Kovi wie auch der indirekte Gegenvorschlag bedeuteten einen «gefährlichen Alleingang der Schweiz», da weltweit kein anderes Land Sorgfaltsprüfungspflichten für die ganze Wertschöpfungskette mit damit einhergehenden weitgehenden Haftungsregeln habe. Erich Herzog, Mitglied der Economiesuisse-Geschäftsleitung, sagt: «Wenn künftig Schweizer Unternehmen riskieren, für ihre Wertschöpfungskette – etwa Zulieferer oder Distributoren – haften zu müssen, wird das zur Folge haben, dass sich Unternehmen gezwungen sehen, sich zugunsten ausländischer Unternehmen aus Konfliktregionen und Ländern mit unsicherer Rechtslage zurückzuziehen.» Beide Verbände fordern entsprechend ein «international abgestimmtes Vorgehen und kein Vorpreschen».
Die Blaupause ist bereits da
Florian Wettstein ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen und Mitglied des Kovi-Komitees. Die Vereinbarkeit von Wirtschaft und Menschenrechten ist einer seiner Forschungsschwerpunkte. Wettstein sagt: «Mich stört, dass in der Debatte die Sorgfaltspflicht kaum thematisiert wird. Wenn ein Konzern diese nämlich ernst nimmt, ist sie ein sinnvolles und hilfreiches Instrument: Wer bei Klagen eine angemessene Sorgfalt beweisen kann, wird nicht haften.» Wettstein betont weiter, dass in der Debatte auch zu wenig beachtet werde, dass sich nur die Sorgfaltspflicht tatsächlich auf die gesamte Wertschöpfungskette beziehe. Die Haftungsregel beziehe sich hingegen nur auf Tochter- oder Zulieferfirmen, die ökonomisch vom Konzern kontrolliert werden.
Wettstein hat kein Verständnis für die Verweigerungshaltung der beiden Wirtschaftsverbände. «Der internationale Trend zeigt eindeutig, dass eine verbindliche Sorgfaltsprüfungspflicht und damit einhergehende Haftungsregeln zunehmend Standard werden dürften. Erst im April dieses Jahres etwa hat der oberste britische Gerichtshof entschieden, dass ein Bürger aus Sambia gegen das in London ansässige Bergbauunternehmen Vedanta wegen Umweltverschmutzung klagen darf.» Die Klage gelte schon vor dem Prozess als Blaupause bezüglich internationaler Haftungsbestimmungen, so Wettstein. Noch könne die Schweiz eigenständig rechtlich verbindliche Rahmenbedingungen schaffen.
Ob es so weit kommt, wird die Abstimmung im Ständerat über den nationalrätlichen Gegenvorschlag zur Kovi zeigen.