Konzernverantwortung: Ein Gegenvorschlag von Wirtschafts Gnaden?

Nr. 50 –

Kurz vor Weihnachten befindet der Ständerat zum wiederholten Mal über eine Alternative zur Konzernverantwortungsinitiative. Es scheint so zu kommen, wie es sich Ruedi Noser gewünscht hat. Ein Montagnachmittag in der politischen Mitte.

CVP-Ständerätin Marianne Maret ist überzeugt, dass ein Gegenvorschlag mit Haftung und Sorgfaltspflicht im Interesse der Wirtschaft sei – und steht damit in ihrer Fraktion alleine da.

«Die CVP ist wirtschaftsnah, und ich bin auch nah an der Wirtschaft», sagt die neu gewählte Walliser CVP-Ständerätin Marianne Maret der WOZ. «Darum bin ich ja für einen guten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative.»

Am kommenden Mittwoch geht im Ständerat das Ringen um einen Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) in die nächste Runde. Dass sich der zweite Rat auf einen indirekten Gegenvorschlag einlässt, ist nun wahrscheinlich. Offen ist, ob dieser auf den zahnlosen Vorschlägen des Bundesrats oder dem Nationalratsentwurf aufbaut. Während Bundesrätin Karin Keller-Sutter die Unternehmen einzig zur Berichterstattung verpflichten will, beschloss der Nationalrat eine Konzernhaftung, die kleine Unternehmen ausnimmt und die Schweizer Unternehmen nicht für ihre wirtschaftlich kontrollierten Zulieferer verantwortlich macht.

Kommt es zu diesem Gegenvorschlag, würden die InitiantInnen die Kovi zurückziehen, denn ein Gesetz zeigt schneller Wirkung als ein Verfassungstext. Ein Rückzug ist Antrieb für PolitikerInnen wie SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt, einen Gegenvorschlag zu unterstützen. «Es wird knapp», sagt Vogt, einer der Architekten des Nationalratsentwurfs, «aber am Ende wird wohl dieselbe Mehrheit, die vor den Wahlen für die Rückweisung gestimmt hat, dem Bundesrat folgen.» Also war Ruedi Nosers Manöver erfolgreich? «Wenn das sein Ziel war», sagt Vogt. Es war Nosers Ordnungsantrag, der «Keller-Sutters Winkelzug für die Grosskonzerne» (Tamedia) vervollkommnet hat: Noser wollte die Debatte in die Wintersession verschieben; der Ständerat stimmte zu.

Was heisst «Swissfinish»?

Diese Verzögerungstaktik führt auch dazu, dass nun ein neuer Ständerat über das Anliegen befindet. Darin sitzen nicht nur fünf Grüne, sondern auch die Christdemokratin Marianne Maret. Maret ist überzeugt, dass ein Gegenvorschlag mit Haftung und Sorgfaltspflicht im Interesse der Wirtschaft sei. Das sähen viele multinationalen Unternehmen gleich, sagt sie. Tatsächlich sprechen sich die IG Detailhandel mit Coop, Migros, Denner und Manor, der Verband Swiss Textiles und der Westschweizer Groupement des Entreprises Multinationales (GEM) für einen griffigen Gegenvorschlag aus. Andere sperren sich. Anfang August ging ein Schreiben an die Rechtskommission des Ständerats ein, das vor der Einführung von Haftungsklauseln warnt (siehe WOZ Nr. 34/2019 ). Es trägt die Unterschriften von zwanzig Unternehmenschefs – von Credit Suisse bis Syngenta. Die WOZ legt es Maret vor. «Jene, die international auf Arbeitsbedingungen achten, wollen nicht mehr mit schwarzen Schafen in denselben Topf geworfen werden», entgegnet sie. Es gibt also Handlungsbedarf? «Es gibt echten Handlungsbedarf, und ich kann mir vorstellen, dass das meine Fraktion gleich sieht.» Aber vielleicht sei sie da zu optimistisch.

Von ihrer Fraktion, der CVP, hängt es ab. Aber ausser Maret hat die WOZ keine CVP-StänderätInnen gefunden, die sich aus Überzeugung für einen Gegenvorschlag aussprechen. Für die Luzerner Neuständerätin Andrea Gmür ist das entscheidende Argument die Verhinderung eines Abstimmungskampfs. Der Nationalratsentwurf ist Gmür zu wirtschaftsfeindlich. «Damit wäre das Glas der Initianten zu drei Vierteln voll.» Am Ende solle das Glas bei Wirtschaft und InitiantInnen halb voll sein. «Ich unterstütze die Durchsetzung der Menschenrechte und von Umweltauflagen zu 200 Prozent, aber diese Initiative ist nicht zielführend. Es darf keinen Swissfinish geben», sagt Gmür. Was versteht sie darunter? Wenn die Schweiz weiter gehe als alle anderen Länder, antwortet sie. Im nationalrätlichen Gegenvorschlag gilt die Konzernhaftung für Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden; in Frankreich, wo es bereits eine Konzernhaftung gibt, ist sie auf zehnmal grössere Firmen beschränkt. Dafür sind dort Lieferantenfirmen explizit mit einbezogen. Von einer neuen Haftung will Gmür aber nichts wissen: Sie unterstützt den Gegenvorschlag, der auf dem Bundesratsmanöver aufbaut. Am Tag nach dem Interview besteht sie darauf, nachträglich folgendes Zitat einzufügen, ohne das sie namentlich nicht genannt sein will: «In der Schweiz kennen wir die Geschäftsherrenhaftung. Unternehmen können so bereits heute haftbar gemacht werden. Mehr braucht es nicht.»

«Was für eine doofe Frage!»

Andrea Gmürs eigentliches Ziel – die Verhinderung einer Volksabstimmung – würde so aber nicht erreicht. Setzt sich Karin Keller-Sutters Vorschlag durch, müssten sich die einsichtigen Wirtschaftsnahen wie Maret und die uneinsichtigen wie Gmür auf einen Abstimmungskampf einstellen, den grosse Teile der Wirtschaft verhindern wollten. Zuvor könnten sich die TaktiererInnen in National- und Ständerat die Entwürfe in der Frühlingssession ein letztes Mal hin- und herreichen.

Kurz vor 18 Uhr eilt Noser aus dem Ständerat. Was meint er zum Vorwurf der InitiantInnen, dass sein Ordnungsantrag Lobbytaktik gewesen sei, damit die verspäteten Bundesratsvorschläge zum Gegenvorschlag würden? «Was ist das für eine doofe Frage! Der Bundesrat ist jetzt Lobbyist?» Sagts und läuft davon. Die WOZ hätte gerne geantwortet: In dieser Frage anscheinend schon.