Von oben herab: Supercar
Stefan Gärtner über Bugattis und einen alten Benz
Zwar werde ich täglich einen Tag älter (und wenn diese Kolumne erscheint, habe ich sogar Geburtstag, herzlichen Dank für die Glückwünsche!), aber doch hört die Welt nicht auf, mich zu faszinieren. Dass die Deofirma 8 x 4 neuerdings «personalized protection» anbietet, Personalisierung indes bedeutet, dass man sich mit einer Deonummer identifizieren soll («I’m Nº 7»), wie wunderbar! Dass scheints niemandem in Firma und Reklamebüro aufgefallen ist, welch schreiende, dabei nun wirklich allersimpelste Wahrheit über die kurrenten Individualitätswürgereien hier zum Ausdruck gelangt und dass sich die Kampagne ganz unverhohlen selbst dekonstruiert; dass die Möglichkeit, hier hätte sich Zynismus einen Spass gemacht, aber ausfällt, weil zeitgenössisch verstopfte Köpfe, gedanklich immer schon auf dem Weg ins Tattoostudio, hinter gerade diese Kulisse, die der sog. Individualität nämmli, garantiert nicht gucken: Nein, da verneige ich mich und applaudiere und möchte geradezu kapitulieren. Der Kapitalismus, er ist nun mal «all dor», wie es im Märchen vom Hasen und vom Igel heisst, und mein Textprogramm ist noch nicht einmal recht offen, da hat sich der Laden schon wieder etwas Neues ausgedacht. Und liegen selbst in der niedersächsischen Provinz die ersten E-Roller auf dem Bürgersteig herum.
Ein verlässliches Faszinosum ist auch die menschliche Gier. Selbst wenn man etwas Marx kennt und weiss, dass die «Plusmacherei» systemisch ist, bleibt der Mund vor Staunen offen, wenn man wieder von Tycoons, Showdamen oder Potentaten hört, die sich goldene Klosteine und der besseren Hälfte 10 000 Paar Schuhe kaufen, aus dem einfachen Grund: weil sie es können; oder erfährt, dass ein Genfer Gericht die Beschlagnahme von 61 sog. Supercars angeordnet hat, Bugattis, Ferraris, Lamborghinis, die dem Expräsidenten der Zürcher Falcon Private Bank gehören, einem gewissen Khadem al-Qubaisi, Staatsbürger der Vereinigten Arabischen Emirate, gegen den die Bundesanwaltschaft wegen Korruption und Geldwäsche ermittelt. Der Mann sitzt in Abu Dhabi bereits in Haft, weil er wohl diverse Staatsfonds geplündert hat. Von den 61 Autos sind erst 11 aufgetaucht, nach den 50 anderen wird noch gesucht.
Dass die Leute die Hälse nicht vollkriegen, ist das eine; dass sich das Sammeln von Schallplatten oder Bierdeckeln vom Autosammeln nur durchs Objekt unterscheidet, das andere. Der US-amerikanische Komiker Jerry Seinfeld etwa sammelt Fahrzeuge der Firma Porsche, und trotzdem gelingt es mir nicht, ihn für einen schlechten Menschen zu halten. Das mag damit zu tun haben, dass ich selbst die allergrössten Schwierigkeiten habe, endlich meinen alten Mercedes zu verkaufen, der hauptsächlich herumsteht und Kosten verursacht (nicht Umwelt- oder Klimakosten, er steht ja bloss, ich fahr ja Bahn!), mich aber seit über siebzehn Jahren begleitet, was ihn in meinen sentimentalen Augen zu gewissen Ansprüchen berechtigt. Dass ich dieses Auto überhaupt besitze, hat seinen Grund natürlich in dem bekannten Mix aus Materialismus und Individualitätsgewürge, wobei sich jener stets dadurch relativiert hat, dass über die Zeit immense Mittel gebunden worden sind, die ich, statt sie für anderen Quatsch auszugeben, an Karosseriefachbetriebe überwiesen habe, was, immerhin, meine Werkstattmappe so individuell hat werden lassen, wie es 8 x 4 Nº 7 niemals sein könnte.
Das Sammeln solcher Autos käme mir freilich nicht in den Sinn, ich weiss auch gar nicht, wie man Staatsfonds plündert und ob das Plündern eines einzelnen Staatsfonds ausreicht, um die nächsten MFK-Termine zu bewältigen. Falls nicht doch endlich «Schluss mit dem Quatsch» (Bernd Begemann) sein muss; denn von den 61 Gründen, diesen blöden, teuren, wunderhübsch petrolgrünen Haufen Altmetall zu behalten, taucht immer bloss einer auf. Nach den 60 anderen wird noch gesucht.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic». Wer immer schon mal einen 82er Mercedes fahren wollte, den ein «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit») besessen hat, darf sich melden.