Von oben herab: Sie sagen Ja

Nr. 36 –

Stefan Gärtner zur Abschaffung der Trauzeugen

Die längste Zeit meines erwachsenen Lebens habe ich übers Heiraten nicht nachgedacht, was zuallererst daran lag, dass zum Heiraten zwei gehören; und als wir dann zu zweit waren, war es so, dass ich fand, die Heiratsskepsis unter Intellektuellen sei so lange üblich gewesen, dass die bürgerliche Ehe schon wieder was Frivoles hatte. Kollegen hatten es vorgemacht, und ich habe dann zwei Jahre im Wesentlichen von den Steuerrückzahlungen gelebt, weil meine Frau so wenig verdiente. Heute, wo sie längst viel mehr verdient als ich, sage ich immer noch gern «meine Frau», weniger wegen des Possessivpronomens, als weil ich mit Bernd Begemann finde, ausser ihr so furchtbar viel nicht erreicht zu haben.

Zwei Dinge deprimieren beim Heiraten: wenn die Ehe misslingt und wenn man vorm Hochzeitsfest mal ins Internet geht, um zu schauen, was so was eigentlich kostet. Und freilich sieht, dass die lockere Durchblickerhochzeit unter Leuten, die wissen, was ein Klischee ist (wie das vom «glücklichsten Tag im Leben»), selbstverständlich nicht als Regel gelten kann. In allerhand Foren teilt gerade die kleine Angestellte ihre Kleinmädchenträume: Kutsche, weisse Tauben, Einladungen und Tischkarten auf Büttenpapier, das alles für ein Halbjahresgehalt. Sind die Eheleute aus grossstädtisch-akademischem Milieu, verzichten sie zwar auf die Kutsche (wenn auch nicht auf die Kirche), feiern ihre Feste aber auf Burgen in der Toskana oder wenigstens in Landgasthöfen in irgendeinem bezaubernden Nirgendwo, denn wenn die Anreise nicht mindestens einen Tag dauert, wärs ja bloss irgendein Tag und nicht der aller-, allerglücklichste.

Gerade beim Heiraten schiessen zeitgenössische Regressionswut, alte Klassenschäden und der würgende Zwang zur Selbstdarstellung rauschend zusammen, und so ähnlich, wie der grosse Heinz Strunk am vergangenen Sonntag beim schrecklichen Kurt Krömer in dessen schrecklicher Berliner Fernsehshow sass, habe ich auf Hochzeiten gesessen als einer, der sich fragt, was er hier eigentlich macht; und nämlich sieht (und hört), was falsch ist, es aber nicht sagen kann. Die Verzweiflung, die der Gast Strunk, weil er Strunk ist, unverhohlen lassen konnte, war komisch, weil sie so nah war, als wesensmässig selbe: inmitten von frenetisch akzeptierter Kaputtheit mitlächeln sollen. Und es halt nicht immer oder nicht mehr können.

Der Staat, auf Familie und Eigentum gründend, ist durchaus für die Ehe, und wenn jetzt auch die Schweiz das Heiraten gewissermassen dereguliert, indem Trauzeugen nicht mehr verbindlich sind und die zehntägige Wartefrist wegfällt – was die «Aargauer Zeitung» in den schönen, kippfigürlichen Zwischentitel «Weniger bürokratische Ehen» packte –, dann ist das eine Handreichung für den modernen Biedermeiermenschen, ders gern gestrig hat, das aber unbedingt sofort.

Deshalb sind sie heute zwar alle liberal und locker, aber nehmen die Frauen in neun von zehn Fällen den Namen des Ehemanns an, und die Kinder heissen sowieso wie er. Zwei Drittel der deutschen Männer, las ich neulich, haben ein Problem damit, wenn ihre Partnerin das Geld (oder dessen Löwenanteil) nach Hause bringt, und wenn sie alle in Weiss heiraten und sich das Wohnzimmer mit Hochzeitsfotos dekorieren, dann will ich mich zwar nicht scheiden lassen, aber doch darauf bestehen, dass «bürgerlich» nicht das neue Cool ist. Noch überhaupt jemals war.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.