Kunst: Keine Angst vor der Liebe
Das Zürcher Migros-Museum zeigt, wie Kunst auf HIV und Aids reagiert hat – und das bis heute tut. Viele Facetten und viel Information, aber zum Glück nicht pädagogisch.
Cookie auf der Toilette, Cookie im Bett mit Sharon, Cookie lachend: Vierzehn solche Aufnahmen mit Cookie Mueller hängen im Zürcher Migros-Museum. Es sind Fotografien von Nan Goldin, die ihre beste Freundin immer wieder porträtierte, auf Hunderten von Fotos, bis zu Muellers Tod 1989. «The Cookie Mueller Portfolio» heisst die Fotoserie, die Goldin daraus zusammengestellt hat. Mueller und ihr Mann Vittorio Scarpati starben beide an den Folgen von Aids, sie nur zwei Monate nach ihm. Das Portfolio zeigt die beiden bei ihrer Hochzeit, mit bestimmtem Blick – gleich danach erst Mueller an Scarpatis Sarg, dann Mueller in ihrem eigenen. Die letzte Fotografie: das gemeinsame Wohnzimmer, an Weihnachten desselben Jahres; ein leerer Raum.
Die Fotografin Nan Goldin ist eine der bekanntesten KünstlerInnen in der Ausstellung «United by Aids». Direkt gegenüber von ihrer Arbeit werden Zeichnungen von Vittorio Scarpati gezeigt: In bunten Farben zeichnet er etwa sich und Cookie Mueller im Spitalbett («The I Wanna Get out Club», 1989). Die Arbeiten in diesem ersten Abschnitt, der sich auf die Aidskrise im New York ab Ende der Achtziger konzentriert, spiegeln die Verzweiflung der Zeit. Der Ausbruch von HIV traf die Kunstszene, eng verbunden mit der queeren Szene, besonders stark – und liess die noch nicht lange erlangte sexuelle Leichtigkeit verpuffen. Verunsicherung machte sich breit: Wer ist krank? Und wie steckt man sich überhaupt an?
Gegen das Stigma
«Kissing doesn’t kill» (Küssen tötet nicht) hiess deshalb eine Kampagne von 1990, zu sehen im nächsten Raum zum Thema «Aids und Aktivismus». Gegen die gesellschaftliche Ächtung und die unterlassene Hilfeleistung der Behörden und Regierungen, die in vielen Ländern viel zu lange untätig blieben, entstand eine Vielzahl an Werken an der Schnittstelle von Kunst und Politik. Spannend hier ist der Hinweis auf die vielen Aktivistinnen, zum Beispiel bei Act Up, einer der grössten Organisationen, die sich dem Kampf gegen HIV und Aids verschrieben hatten. Dass HIV als Schwulenkrankheit wahrgenommen wurde, bedeutete einerseits ein Stigma für die homosexuelle Gemeinschaft. Andererseits aber machte es andere Betroffene, insbesondere Frauen, unsichtbar, in der Krankheit wie im Kampf dagegen.
Die Präsenz von Körpern in der Gesellschaft ist ebenfalls ein grosses Thema dieser Ausstellung: Wer erzeugt Aufmerksamkeit, und wer macht Angst? Wer darf da sein, wer wird versteckt, wer verschwindet? Die Choreografin Anna Halprin arbeitete in den Achtzigern mit Community Dance, zusammen mit HIV-positiven Menschen – das gemeinsame Tanzen und Einanderberühren als Mittel der Enttabuisierung.
Zum Verschwinden von Körpern kommt mit den Jahren das Vergessen: Die Krankheit verschwindet aus dem öffentlichen Bewusstsein. Vor allem in westlichen Ländern wird HIV heute kaum mehr als grosse Bedrohung gesehen. Durch immer bessere Therapien ist es zwar möglich geworden, mit der Krankheit zu leben – aber besiegt ist sie deswegen nicht. Und es stellt sich die Frage, wer sich die Therapien leisten kann: In den USA ist HIV heute vor allem in den ärmeren schwarzen Communitys im Süden verbreitet; zudem leben zwei Drittel aller weltweit mit HIV Infizierten in Subsahara-Afrika. Das wird in der Ausstellung zwar thematisiert, die afrikanische Perspektive fehlt aber weitgehend.
Aufklärung bei der Coiffeuse
Dafür ist die afroamerikanische Community stark vertreten, mit den Fotografien von Lyle Ashton Harris etwa, der seit den Achtzigern mit warmem Blick vor allem FreundInnen und Bekannte abbildet. Oder im schönen Kurzfilm «DiAna’s Hair Ego Remix» (2017) von Ellen Spiro und Cheryl Dunye. Erstere besuchte 1989 die Coiffeuse DiAna in South Carolina, die in ihrem Salon Aufklärungsarbeit über HIV und Aids anbot. Fast drei Jahrzehnte später steuert Cheryl Dunye für ihren «Remix» von Spiros damaligem Film ein Porträt von DiAna bei, die noch immer ihren Salon betreibt. Der Film ist ein Beispiel für einen auch humorvollen Umgang mit Aids, und er zeigt seine ProtagonistInnen als starke Individuen. Überhaupt zieht sich diese Haltung durch die meisten der gezeigten Werke: der Wille, sich nicht durch die Krankheit definieren zu lassen.
Im letzten Kapitel der Ausstellung geht es um die Erinnerung, aber der Blick wird auch auf die heutige Situation gerichtet – der Kampf gegen das Vergessen gilt auch für aktuelle Missstände, wie Plakate des HIV Criminalization Flash Collective von 2014 zeigen. In Kanada macht sich bis heute strafbar, wer HIV-positiv ist und das seinen SexualpartnerInnen verschweigt – dabei kann man mittlerweile medizinisch dafür sorgen, dass das Virus sich nicht überträgt.
Einen pragmatischen Blick wirft schliesslich Wolfgang Tillmans auf das Leben mit HIV. Ein Foto von 2014 zeigt eine Kartonkiste, gefüllt mit Pillendosen und -schachteln: «17 Years’ Supply», Medikamente für siebzehn Jahre. Nebst dem Schrecken ist auch das Realität: Selbst eine unheilbare Krankheit wird irgendwann zum Alltag.
«United by Aids», Migros-Museum Zürich, bis 10. November 2019.