Ausstellung: Ihr Bild immer dabei

Nr. 28 –

Diese Bilder erzählen auch von Unausweichlichkeit: vom Aufwachsen bei alkoholabhängigen Eltern im Grossbritannien der Thatcher-Ära bei Richard Billingham, der die Enge dieser Welt in Alltagsszenen ablichtet; von der Gewalt der Sekte, in die Alba Zari hineingeboren wurde, die nun aus Familienfotos, Recherchematerial und Flyern der Sekte Collagen erstellt. Die Werke sind Teil der Ausstellung «Wahlfamilie – Zusammen weniger allein» im Fotomuseum Winterthur, wo sich fünfzehn Künstler:innen mit der Familie auseinandersetzen.

Eindrücklich ist die ab 2017 bis jetzt laufende Arbeit «I Carry Her Photo with Me» des Südafrikaners Lindokuhle Sobekwa, der sich auf die nachträgliche Suche nach seiner Schwester macht. Sie verschwand als Kind und kehrte etwa zehn Jahre später, kurz vor ihrem Tod, zur Familie zurück. Ausgangspunkt ist ein Familienfoto, aus dem der Kopf der Schwester herausgeschnitten wurde – die Familie hätte sonst kein Bild für ihre Beerdigung gehabt. Er besucht ihre Freund:innen, Orte, an denen sie sich wohl aufgehalten hat, immer begleitet von der Tatsache, dass dieses unaufgeklärte Verschwinden auch mit Armut zu tun hat. Dass in einer Township jemand verschwindet, ist so tragisch wie normal – und den Behörden oft kaum einen Suchaufwand wert.

Der Titel impliziert es: Im Fotomuseum gibt es auch Platz für Erzählungen von Familien, die nicht durch «Blut» oder Stammbaum miteinander verbunden sind. Eine ähnliche Welt porträtieren Zyklen von Mark Morrisroe, Larry Clark und Nan Goldin – sie zeigen ihre Freund:innen, deren gemeinsame Leben von Lust und (queerem) Aussenseitertum, Drogen und Krankheit geprägt sind. Besonders behutsam geht Goldin mit ihrer Freundin Cookie Mueller um, in der Serie «Cookie Mueller Portfolio» (1976–1989). Mueller, schreibt Goldin, sei Schriftstellerin gewesen, Filmstar, ihre beste Freundin, ihr Idol, ihre Familie. Mittels Fotografien habe sie die Freundin festhalten wollen, nach ihrem Tod aber seien sie umso mehr Symbol für den Verlust geworden. So viel Bewunderung spricht aus diesen Bildern – und ein Gefühl von Intimität, das die Grenzen zwischen Freundschaft und Familie verschwimmen lässt.

«Wahlfamilie – Zusammen weniger allein» im Fotomuseum Winterthur, bis 16. Oktober 2022. www.fotomuseum.ch