Ruag: Löschen statt anzünden
Der bundeseigene Rüstungskonzern Ruag soll aufgespalten und teilweise privatisiert werden. Ein heikler Prozess: Die Öffentlichkeit verliert damit die Kontrolle bei Waffengeschäften. Hinzu kommen finanzielle Risiken für den Bund.
Der milliardenschwere bundeseigene Rüstungskonzern Ruag ist zum Zombie mutiert. Er lebt zwar noch, ist aber eigentlich tot, seit der Bundesrat im Sommer 2018 entschieden hat, den Konzern in zwei unabhängige Teile aufzuspalten: in einen Aerospace-Technologiekonzern (Ruag International), der schrittweise vollständig privatisiert werden soll, und in ein Materialkompetenzzentrum für die Schweizer Armee, das im Besitz des Bundes bleiben wird. Am 1. Januar 2020 wird die Ruag in ihrer heutigen Form offiziell begraben.
Für einen kurzen Moment fand am vergangenen Montagmorgen ein Wiederbelebungsversuch statt. Kurz vor 9 Uhr ploppte in den Mailaccounts der hiesigen Redaktionen folgende Meldung auf: «Aus Ruag wird Ruag Green» – ein Unternehmen, das fortan auf grüne Technologien setze: Löschflugzeuge statt Waffen und Munition. Weitere Infos würden an einer «kurzfristigen Medienkonferenz» in einem Konferenzsaal im Zürcher Hauptbahnhof folgen. Dort erwartete die JournalistInnen ein Schokoladenkuchen in Maschinengewehrform und eine Pressekonferenz mit schönen Sätzen wie diesem hier: «Auf einem brennenden Planeten ergibt es für die Ruag keinen Sinn, tödliche Waffen und Munition zu produzieren.»
Tödliches Geschäftsfeld
Die grüne Transformation entpuppte sich letztlich als Aktion des Theaters Neumarkt sowie des aktivistischen KünstlerInnenkollektivs The Yes Men (vgl. «‹Schlechtes Schauspiel›» im Anschluss an diesen Text). Ruag Green kam zwar im Gewand eines Witzes daher, im Kern der Aktion stecken aber relevante Fragen: Was sind die Folgen der geplanten Teilprivatisierung der Ruag? Was bedeutet der staatliche Kontrollverlust? Und was kostet der ganze Prozess?
Es lohnt sich, die vom Bund vorangetriebene Privatisierungsstrategie einmal genauer anzuschauen: Die ab Januar 2020 neu bestehende Ruag International soll in naher Zukunft nur noch in den beiden Kernbereichen Luft- und Raumfahrt tätig sein – und damit in einem mehrheitlich zivilen Markt. Der immer wieder in der Kritik stehende Munitionsbereich (Ruag Ammotec) hingegen soll verkauft werden, ebenso der Bereich Cybersecurity. Kurzum: Ruag International wird wesentlicher schlanker als der heute bestehende Konzern sein und den Rüstungsmarkt weitgehend aufgeben.
Das scheint auf den ersten Blick eine gute Entwicklung zu sein, ja fast schon ein Schritt in Richtung Ruag Green. Doch insbesondere der geplante Verkauf des Munitionsbereichs ist durchaus problematisch, wie Lewin Lempert von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) deutlich macht: «Für uns ist klar, dass sich der Bundesrat damit vor der Verantwortung drückt.» Die letzte Möglichkeit für direkte parlamentarische Einflussnahme beim Export von Kleinkalibermunition, Handgranaten oder Grosskaliber-Trainingssystemen falle mit dem geplanten Verkauf von Ruag Ammotec weg, so Lempert. «Munitionsgeschäfte sind extrem heikel. Darum ist der Verlust von staatlicher Kontrolle in diesem Bereich problematisch.»
Exemplarisch dafür steht der Fall Brasilien. Dort wollte die Ruag unbedingt eine eigene Munitionsfabrik aufbauen. Jahrelang lobbyierte der Konzern vor Ort für die Auflösung des staatlichen Monopols im Munitionsmarkt – einem der weltweit grössten. Und tödlichsten. Das verdeutlichte an der Ruag-Green-Pressekonferenz eindrücklich der brasilianische Menschenrechtsaktivist Anderson França. Er musste seine Heimat vor einigen Monaten wegen anhaltender Morddrohungen verlassen. In Zürich berichtete França letzten Montag nun über die in paramilitärischen Einheiten organisierte brasilianische Polizei, die Angst und Terror verbreite. Und darüber, dass Brasilien eine der weltweit höchsten Mordraten aufweise. Vor diesem Hintergrund stoppte der Bundesrat letztes Jahr folgerichtig das weit fortgeschrittene Ruag-Projekt in Brasilien – aus Reputationsgründen.
Doch was ist nach dem Verkauf von Ruag Ammotec? Bleibt die attraktive Lizenz für den Bau einer Munitionsfabrik in Brasilien in der Firma? Weder die Ruag noch das VBS äussern sich konkret zur Lizenz. Bis zum Verkauf der Munitionssparte werde keine Fabrik in Brasilien gebaut, versichern beide. Aber was nach dem Verkauf passiere, müsse dann der neue Inhaber beurteilen – ganz ohne staatliche Kontrolle.
Für die GSoA ist deshalb die konsequente Schliessung der Munitionssparte eine echte Alternative zum Verkauf – «natürlich mit staatlichen Unterstützungsmassnahmen für die betroffenen ArbeiterInnen».
Der Bund ist gefordert
Die geplante Privatisierung von Ruag International ist eine radikale Abkehr von der Strategie, die der Rüstungskonzern und der Bund bisher verfolgten. Denn seit ihrer Gründung 1998 ist die Ruag mit Bundesgeldern und -aufträgen im Rücken stets gewachsen und in immer neue Bereiche vorgedrungen.
Diese Strategie ist aber gründlich gescheitert. Das zeigt der Bereich Cybersicherheit exemplarisch: Wie der «Tages-Anzeiger» Ende März nachzeichnete, investierte die Ruag in den letzten Jahren gegen hundert Millionen Franken in eine «Cyberoffensive». Diese mündete in zwei komplett gescheiterte interne Projekte sowie in den 62 Millionen Franken teuren Kauf der britischen Firma Clearswift, die IT-Security-Software anbietet. Die Firma soll nun schnellstmöglich wieder abgestossen werden. «Clearswift ist ein gut positioniertes Unternehmen mit guten Zukunftsaussichten», schreibt die Ruag. Im aktuellen Geschäftsbericht des Konzerns steht jedoch auch, dass Clearswift 2017 einen Verlust von 1,7 Millionen Franken einfuhr.
Für Negativschlagzeilen sorgte zuletzt auch die Ruag Aerospace Services GmbH im bayerischen Oberpfaffenhofen. Gemäss der «Handelszeitung» kumulierten sich dort seit 2008 «Jahresfehlbeträge von 72 Millionen Euro». Nun will die Ruag das Werk offenbar für 25 Millionen Franken verkaufen. Ob das gelingt, ist angesichts der mangelnden Profitabilität durchaus fraglich.
Trotzdem vermitteln Ruag und Bund im Vorfeld der Privatisierung Zuversicht. «Ich denke, dass es in ein paar Jahren in der Bundeskasse noch attraktiv klingeln wird», malt sich Ruag-Verwaltungsratspräsident Remo Lütolf in der NZZ die «Entflechtung» der Ruag aus. Diese Zuversicht ist erstaunlich. Denn offensichtlich sind die beiden Divisionen zurzeit für den geplanten Börsengang nicht fit genug, wie ein Blick in den aktuellen Ruag-Geschäftsbericht zeigt: «Um die heutigen Divisionen Space und Aerostructures erfolgreich weiterzuentwickeln, sind erhebliche Investitionen notwendig», steht dort.
Der Bund, der sich in der Vergangenheit weitgehend darum foutierte, was für Geschäfte die Ruag aufgleiste (siehe WOZ Nr. 25/2018 ), tut jedenfalls gut daran, die Privatisierungsschritte eng zu begleiten – und notfalls auch gewisse Bereiche zu schliessen.
«Schlechtes Schauspiel»
Die vorgespielte Transformation des Rüstungskonzerns Ruag in ein nachhaltiges Technologieunternehmen vom letzten Montag kam bei vielen Medien schlecht an.
Die Aktion des Zürcher Theaters Neumarkt und des aktivistischen KünstlerInnenkollektivs The Yes Men, das international dafür berüchtigt ist, Namen und Websites von Firmen zu kapern, wurde als «schlechtes Schauspiel» und «Fake-News-Veranstaltung» beschrieben. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Aktion und dem Theater als (politischem) Möglichkeitsraum fand jedoch kaum statt.
Die Medienperformance wird übrigens ein wichtiger Bestandteil des Bühnenstücks «They Shoot Horses, Don’t They?» sein, das am Mittwoch, 18. September, im Theater Neumarkt Premiere feiert.