Theater Neumarkt: Nicht einfach nach Papi rufen

Nr. 37 –

Das Theater Neumarkt in Zürich ist das kleinste Stadttheater der Schweiz. Jetzt wird es von Tine Milz, Julia Reichert und Hayat Erdogan geleitet. Ändert sich mit dem Kollektiv auch die Kunst?

«Love play fight»: Hayat Erdogan, Tine Milz und Julia Reichert wollen über die Liebe zum besseren Streit finden.

WOZ: Warum leiten drei Leute das Theater Neumarkt?
Hayat Erdogan: Das hat erst einmal mit Freundschaften zu tun.

Tine Milz: Es klingt nach Strategie, war aber keine: Drei Frauen, im Kollektiv!

Ich habe «Leute» gesagt, nicht «Frauen».
Julia Reichert: Es ging klar darum, das als Team zu machen und nicht als persönliches Projekt der Selbstverwirklichung. Mit verschiedenen Qualitäten, als gemeinsames Spiel.

Welche Qualitäten? Wie sieht die Aufgabenteilung aus?
Reichert: Bei Hayat Erdogan hat das mit ihrer Arbeit an der Zürcher Hochschule der Künste zu tun, mit einer vertiefteren Auseinandersetzung und Denke, als ich es aus dem Theaterbetrieb kenne … Soll ich jetzt für alle sprechen?

Milz: Ich kenne beide auch von der ZHdK: Hayat als Theoriedozentin, Julia aus dem praktischen Bereich. Wir arbeiten alle drei als Dramaturginnen, alle drei mit anderen Themenschwerpunkten und Arbeitsweisen, das heisst auch, dass wir oft stark konzeptuell mitarbeiten oder an Texten mitschreiben. Die Frage der Autorschaft, das fliesst bei uns ineinander.

Erdogan: Natürlich gibt es eine Lust, kollaborativ zu arbeiten. Mit allen Widerständen, die sich abzeichnen. Wir bringen unterschiedliche Netzwerke mit, finden manchmal auch die gleichen Künstlerinnen und Künstler gut. Aber es ist nicht so, dass wir alles gleich geil finden. Es geht nicht um Konsens, sondern darum, Unterschiede auch produktiv zu machen.

Das Theater Neumarkt ist ein Stadttheater mit Werkstätten und einem kleinen Schauspielensemble. Wenn Sie von Netzwerken sprechen, klingt das nach Produktionshaus, wie die Gessnerallee in Zürich.
Reichert: Nein, wir sind kein Produktionshaus. Aber das heisst nicht, dass man sich mit dem Begriff des Stadttheaters identifizieren muss. Sicher, die Struktur bildet das Stadttheater en miniature ab. Aber ästhetisch ist das Haus von Anfang an nicht so gedacht, hier geht es auch um das Experiment. Wir sind so eine Art Hybrid.

Steht das «Experiment» noch immer im Leitbild, das die Stadt vorgibt?
Reichert: Ja. Und «institutionelle Selbstbefragung» steht da auch drin, ein grosses Geschenk.

Milz: Es gibt viele Künstlerinnen und Künstler im Programm, die mit der freien Produktionsweise vertraut sind. Und wir haben Ensemblemitglieder, die beispielsweise mit weniger Stellenprozenten bei uns angestellt sind, um weiterhin auch ihren eigenen Projekten nachgehen zu können, zum Beispiel der Choreograf und Tänzer Jeremy Nedd oder die Aktivistin und Sängerin Brandy Butler. Ein paar freie Produktionen zeigen wir ausserdem als Gastspiele.

Die Vielfalt der Veranstaltungen und Formen fällt auf, macht aber viel Arbeit. Sie erhalten nicht mehr Geld, sondern eher weniger. Mit drei Direktorinnen gibt es nicht mehr viel Platz in den Büros, die Hauptarbeit liegt bei Ihnen. Stressig, oder?
Milz: Auf jeden Fall. Das ist ein Balanceakt, selbst so viel in künstlerische Projekte involviert zu sein, gleichzeitig zu leiten und das Programm immer weiter zu entwerfen.

Reichert: Aufwendig auch deshalb, weil fast jedes Projekt seine Bedingungen neu erfinden muss. Weil wir nicht einfach den einen Theaterraum mit Inszenierungen füllen. Das frisst mehr Ressourcen, klar. Es kostet aber vor allem mehr Kommunikation.

Erdogan: Das ist auch spannender. Gleich bei der Eröffnungsproduktion hatte ich Lust, verschiedene Formate auszuprobieren – und das mit einer Person, die erst mal nicht vom klassischen Theater kommt. Bei der relativ freien Adaption des Romans «They Shoot Horses, Don’t They?» arbeiten wir mit dem Medienkünstler und Aktivisten Mike Bonanno zusammen, einem Mitglied der US-amerikanischen Gruppe The Yes Men. Alles ist ungewöhnlich, weil zum Beispiel Bonanno selbst mitspielt und das Spiel mit Fiktion und Realität ein zentrales Anliegen ist.

Irgendwann kommt die letzte Probenwoche. Dann brauchen die meisten Schauspielerinnen und Schauspieler klare Ansagen, zu viel Aufgabenverwischung verwirrt sie. Wie läuft das bei Ihnen?
Reichert: Was es bei uns nie geben wird: Der Intendant sitzt bei der Hauptprobe in der letzten Reihe im Dunkeln, und vorne werden alle nervös.

Milz: Wir können in die Proben voneinander gehen, ohne dass alle das Gefühl haben: Oh, die Intendanz kommt vorbei.

Erdogan: Die Rollen verschwimmen noch viel stärker. Die ersten Projekte sind alle schon vor langer Zeit gemeinsam mit den Künstlerinnen und Künstlern entwickelt worden, da gibt es nirgends eine klassische Regie. Das kann natürlich tricky werden.

Reichert: Genau. Das müssen wir alle noch üben. Wie regelt man Konflikte, kollaborativ, wenn man nicht einfach nach Papi rufen kann, um es etwas flapsig zu sagen? Es darf nicht zu Verantwortungsschwäche führen, dass plötzlich niemand zuständig ist.

Erdogan: Wenn ein Projekt im Prozess entsteht, macht es manche nervös, weil sie nicht wissen, wohin die Reise geht. Ich aber glaube an das Potenzial des Unbekannten.

Am Anfang habe ich nach drei Leuten gefragt, aber dass Sie drei Frauen sind, spielt in der Öffentlichkeit eine grosse Rolle. Zwei Männer würde niemand fragen, warum sie nicht mehr Männer ins Programm nehmen. Sie werden das aber gefragt. Müssen Frauen Frauenprogramme machen?
Reichert: Wenn man immer nur entlang von Identitätsmerkmalen diskutiert, wird man dem Thema der Ungleichheit, das sich darin verbirgt, halt nicht gerecht. Diese Labels berühren nur die Oberfläche.

Im Staatstheater Karlsruhe funktioniert das gut, wenn Anna Bergmann, die Leiterin der Schauspielsparte, nur noch Regisseurinnen anstellt.
Erdogan: Es ist auf jeden Fall sehr öffentlichkeitswirksam. Und es liegt in der Luft, dass Frauen mehr Bühnen, mehr Leitungspositionen zustehen. Institutionen reagieren darauf oft mit Reflexen: Solange man alle Kriterien, die gerade abgefragt werden, etwa Diversität oder Gendergerechtigkeit, erfüllt hat, scheint dann alles erledigt. Karlsruhe ist da vielleicht ein Beispiel: Das Label «nur Frauen» überlagert die einzelnen künstlerischen Positionen.

Die Pressemeldung zur neuen Leitung – drei junge Frauen – im Theaterhaus Gessnerallee ab nächstem Jahr hat nur über Gender und Herkunft Auskunft gegeben und wenig über Qualifikationen. Können Sie verstehen, dass das Leute verstört?
Alle: Ja, absolut.

Reichert: Das ist die Krux von, durchaus gewollter, Repräsentation – mehr Frauen, mehr Junge et cetera – , dass es ins Beleidigende kippen kann. Dabei ist das Problem grösser. Es gibt nach wie vor gute Gründe für Identitätspolitik. Gleichzeitig bringt sie Engführungen hervor. Dass die Berufung von uns drei Frauen für manche eine Symbolwirkung hatte, finde ich gut. Aber das ist ein «Kompliment», das wir zurückweisen müssen. Was hat unser Geschlecht damit zu tun, was wir vorhaben?

Der Clash der Identitäten steht bereits in Ihrem Motto: «Love Play Fight». Das sind alles Tätigkeiten, die zu Verletzungen führen können. Identitätspolitik handelt aber primär davon, Verletzungen zu vermeiden.
Erdogan: Ich würde es eher Verletzlichkeit nennen. Das hat damit zu tun, sich zu öffnen, auch wenn das Theater keinen Safe Space darstellt. Unser Schlachtruf oder Glaubensbekenntnis «Love Play Fight» ist ein Label gegen das Labelling. Wir wollten uns eben gerade nicht definieren als das queere, dekoloniale, intersektionelle und ökofeministische Theater im Niederdorf oder so (alle lachen).

Das wäre dann das QDINTEF-Theater gewesen?
Milz: Aber mit Sternchen und Pluszeichen!

Erdogan: «Vielheit» ist ein zentrales Stichwort. Wir führen auch Reihen weiter, die es hier schon länger gibt, etwa die Hottinger Literaturgespräche mit Charles Linsmayer, was uns bereits den Vorwurf eingebracht hat, wir würden alte weisse Männer protegieren (alle lachen). «Love Play Fight» beschreibt unser Verhältnis zum Publikum und zur Stadt. «Love» ist die Grundbedingung, um zu spielen, das Prinzip der Augenhöhe. Das heisst aber auch, dass man anders miteinander streitet. Das fehlt uns, eine gute Streitkultur. Das ist uns wichtiger als ein beliebiges Spielzeitthema, das normalerweise so etwas wie «Macht!» lautet.

Reichert: Freiheit!

Milz: Mut zur Freiheit!

Im Programm spielen soziale Verwerfungen eine grosse Rolle, zum Beispiel bei der genannten Eröffnungsproduktion «They Shoot Horses, Don’t They?». Der Roman erschien während der Great Depression in den 1930er Jahren, der Film 1969, als Versprechen der 1960er Jahre beerdigt wurden.
Erdogan: Es geht gar nicht so sehr um Arbeitslosigkeit, das spielt in der Schweiz keine so grosse Rolle. Uns interessiert die Krisensituation als Bodensatz für Rassismen und Faschismen. Die historischen Tanzmarathons waren sehr typisiert. Man fragte: Was braucht die Show? Welche Hautfarbe können wir nicht gebrauchen? Da wurden ständig Leute auf ihre Identität reduziert und auch ausgeschlossen. Das muss uns bekannt vorkommen: Soziale Medien reproduzieren Vorurteile oder teilen die Welt gleich in Verlierer und Gewinner ein.

Beim Zürcher Theater-Spektakel haben Sie ein Casting für die Show gemacht, einen Tanzmarathon reproduziert und damit auch die Situation des Romans, nicht wahr?
Milz: Es ging uns nicht darum, jemanden blosszustellen. Aber natürlich hatten die Leute auch Lust, zuzuschauen und angeschaut zu werden.

Es gibt also ein ambivalentes Verhältnis zur ausgestellten Erschöpfung?
Reichert: Unbedingt! Es wäre zu einfach zu sagen: Die Welt ist scheisse, aber wir stehen an einem gesicherten Punkt und wissen, warum alles falsch läuft. Wir sind ja Teil dieser Welt, bringen solche Verhältnisse mit hervor, wir müssen auch casten. Vielleicht casten wir zwar anders, aber am Ende hat die eine einen Vertrag und eine andere nicht.

Die Menschheitsgeschichte hat eine Antwort darauf, warum wir Spass am Marathon haben: weil wir als einziges Säugetier so lange rennen können, ohne zu sterben. Weil wir schwitzen …
Reichert: Laut Yuval Harari besteht unser evolutionärer Vorteil darin, dass wir Geschichten erzählen können. Der Homo sapiens konnte über den Nachbarstamm lästern oder von dem einen Gott erzählen und so grössere Gemeinschaften über Geschichten organisieren. Das spricht wieder fürs Theater!

Milz: Wir brauchen den erzählenden Marathontänzer!

Ihr Programm hat drei Schienen: Playground als Ort des Ausprobierens, Akademie als Theorieplattform und das gute alte Theater. Zu gleichen Teilen jeweils?
Milz: Schon zu gleichen Teilen, aber das variiert von Monat zu Monat. Und manches ist mehreres gleichzeitig, Theater und Akademie zum Beispiel.

Warum eine Akademie in einer Stadt, die voll ist mit Hochschulen?
Reichert: Vielleicht täuscht der Begriff. Nicht, dass wir nicht auch mal Vorträge im Programm hätten, wie bei Boris Nikitins Schweizer Propagandakonferenz, aber wir denken das stärker von der Kunst aus. Da bietet sich Theater an, weil man hier die Skills hat, andere Formate zu entwickeln. Das Neumarkt war immer mehr als «nur» Theater. Wenn man es von der Architektur her denkt, ist es sogar gar kein Theater, sondern ein Versammlungsort.

Milz: Und die Dinge sollen wirklich zusammenkommen, wie bei der ersten Folge unserer monatlichen Reihe «Akademie zur Verarbeitung von Enttäuschungen der Vernunft». Am ersten Abend trifft der Philosoph Robert Pfaller auf die Rapperinnen und Aktivistinnen von Klitclique, beide aus Wien.

Queere Musikerinnen und Pfaller als Kritiker von Identitätspolitik, das klingt wirklich nach «Fight»!
Erdogan: Ja, vielleicht geht der Fight da eher von Klitclique aus. Pfaller hat sich schon mit ihren Videos vertraut gemacht. Er muss gegen Vorwürfe kämpfen, er würde mit seiner Kritik an genderkonformem Denken den Rechten in die Hände spielen. Doch die meisten machen sich gar nicht die Mühe, seine Bücher zu lesen. Er hat eine sehr charmante Art, öffentlich nachzudenken. Das wird sicher spannend in der Konfrontation mit Klitclique. Ich glaube, dass man auf einer Bühne weiter kommt als in sozialen Netzwerken, wo es nur heisst: Oh, das ist doch der, der gegen das Gendern ist.

Die Theaterwelt schaut wegen der neuen Leitungsmodelle auf Zürich und, ja, wohl auch wegen des Frauenanteils. Ist das befreiend, oder baut es Druck auf?
Erdogan: Bei mir führt das zu keinem Druck. Zudem haben wir kollektive Leitungsmodelle auch nicht erfunden. Man möge sich einmal das 20. Jahrhundert anschauen. Mal sehen, wohin es in unserem Jahrhundert führt – vielleicht haben kollektive Modelle ja dieses Mal länger Bestand.

Reichert: Es ist ja nicht so, als gäbe es nirgends kollektive Leitungen. Warum redet niemand mit der Roten Fabrik in Zürich darüber? Die machen das seit Jahrzehnten.

Die Direktorinnen

Hayat Erdogan, Tine Milz und Julia Reichert sind alle im Süden Deutschlands geboren, zwischen den frühen und den späten achtziger Jahren, und alle arbeiten schon eine Weile auch in der Schweiz. Erdogan unterrichtete Theorie an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), arbeitete wissenschaftlich und kuratierte Ausstellungen, etwa im Cabaret Voltaire um die Ecke des Theaters Neumarkt, wo sie nun eine von drei künstlerischen Direktorinnen ist.

Tine Milz studierte Dramaturgie an der ZHdK, unter anderem bei Erdogan. Sie hat an grossen, aber ästhetisch offenen Theatern wie den Münchner Kammerspielen Theatererfahrung gesammelt, aber auch in freien Gruppen.

Julia Reichert kennt den Theaterapparat am besten. Sie war schon einmal Dramaturgin im Neumarkt, danach arbeitete sie bei Barbara Mundel im Theater Freiburg, einem Haus, das stets den Kontakt auch mit theaterfernen Schichten suchte. Ab 2016 war Reichert als Dramaturgin am Luzerner Theater tätig, zuletzt in leitender Funktion.

Lust am Kollektiv: Zürich spielt Avantgarde

Die Schweiz leidet mitunter an einer bipolaren Störung, die im Kunstsystem aber interessant sein kann. Auch im Theater pendelt die Stimmung zwischen Minderwertigkeitskomplexen (die Deutschweiz gegen Deutschland und Österreich!) und Gefühlen der Grandiosität (wir machen hier, was wir wollen, und wir können uns das auch leisten!). Das viele Geld und der liberale Geist halten zusammen viel aus, was den deutschen Betrieb immer wieder erstaunt. Die Direktion von Christoph Marthaler und Stefanie Carp am Zürcher Schauspielhaus vor bald zwanzig Jahren und der junge Stefan Bachmann als Schauspielchef am Theater Basel waren einst solche Coups, die allerdings zu Konflikten führten.

Was nun in Zürich gleich an mehreren Häusern beginnt, lässt wieder auf heftige Gegenwartskräfte schliessen: Es gibt keine einsamen Leitungsspitzen mehr, die Lust am Kollektiv wird genauso Gesetz wie das Augenmerk auf Diversität.

Im Theater Neumarkt starten Hayat Erdogan, Julia Reichert und Tine Milz als Dreierdirektorium. Man könnte denken: Alles erfüllt – drei Frauen, eine davon mit Migrationshintergrund (oder gar drei, wenn Deutschland als Hintergrund zählt). Auch im Theaterhaus Gessnerallee ziehen nächstes Jahr drei im Schnitt noch jüngere Frauen ein, mit dabei auch eine nichtweisse. Michelle Akanji, Rabea Grand und Juliane Hahn haben deutlich erfahrenere Bewerber ausgestochen. Das legt nahe, es gebe zurzeit ein kulturpolitisches Begehren, Diversität und Gender höher zu werten als andere Kriterien. Kulturpolitik und Auswahlgremien sind nicht frei von Reflexen, allein: Die Kritik ist es auch nicht.

Denn als wichtiger für die Kunst als Herkunft und Geschlecht dürfte sich herausstellen, ob mit den Kollektiven denn auch neue Modelle ausprobiert werden. Das deutschsprachige Theater leidet an einer ausgesprochenen Monokultur der Produktionsweisen, die zu allzu vergleichbaren Resultaten führt. Diversität sollte auch künstlerisch zu verstehen sein. Die drei neuen Direktorinnen des Theaters Neumarkt argumentieren stark in diese Richtung. In der Gessnerallee ist es noch zu früh für eine Beurteilung.

Ist eine künstlerische Doppelspitze bereits ein Kollektiv? Die Herren Nicolas Stemann und Sebastian von Blomberg starten ihr Direktorium im Schauspielhaus zeitgleich mit den Damen im Neumarkt. Die Antwort: Nein, Doppelspitzen gibt es immer wieder in Zürich, wenn auch nicht im grossen und reichen Schauspielhaus. Doch der Gedanke des Kollektivs weitet sich bei Stemann und von Blomberg über die Direktion hinaus. Dass die acht RegisseurInnen alle in die Zürcher Wohnpflicht genommen werden und pro Spielzeit zwei bis drei Arbeiten am Haus zeigen müssen, klingt wie eine verwalterische Massnahme – ändert aber fast alles im Vergleich zum Standard: Der übliche Jetset, der für eine Inszenierung kommt und gleich nach der Premiere wieder abfliegt, mindert das Verantwortungsgefühl der RegisseurInnen. Wer im Haus bleibt, muss auch mal die Küche machen, heisst: künstlerisch nachbessern und die Scherben wegräumen.

Letztlich bringen kollektive Strukturen einfach mehr Vielfalt ins Haus – künstlerisch und was das Personal angeht. In den Ensembles im Neumarkt und im Schauspielhaus spielen auch Leute, die nicht den klassischen Weg durch die Schauspielschulen gegangen sind, manche sprechen kein oder wenig Deutsch. Auch Zürich hat sich verändert. Und spielt jetzt Avantgarde für Theaterstädte wie Berlin, die in dieser Hinsicht hinterherhinken.  

Tobi Müller