Feminismus: Nicht jede Schwangere ist eine Mutter

Nr. 41 –

Eine radikale Utopie: In ihrem neuen Buch fordert die Feministin Antje Schrupp «reproduktive Selbstbestimmung». Und obwohl sie biologisch argumentiert, endet sie nicht bei den klassischen Geschlechterbildern.

Das werdende Leben lässt sich nicht unabhängig von der Schwangeren sehen: 3-D-Film eines Embryos im Corpus-Museum nahe Amsterdam. Foto: Fred Ernst, Keystone

Lang, sehr lang scheint es her, dass Luce Irigarays «Speculum» auf den Literaturlisten für Seminare über Geschlechtertheorie nicht fehlen durfte. Ihre wilden Thesen über die Zweifaltigkeit der Frau, die schon rein biologisch «nicht eins ist», oder über Platons Höhle als ein Uterus klingen heute wie verschrobenes Zeug aus den Siebzigern und Achtzigern. Aber ist es das? Die deutsche Politikwissenschaftlerin und Publizistin Antje Schrupp holt dieses Zeug aus der Kiste und verbindet es mit dem gegenwärtigen «State of the art»-Gedanken der sozialen Konstruktion von Geschlecht. Das kann nur schiefgehen, denkt man. Aber schauen wir.

«Es gibt kein ungeborenes Kind»

Schrupp setzt bei einer Binsenweisheit an. Allen avancierten Überlegungen über die Vielgestaltigkeit von Geschlecht zum Trotz lässt sich ja nicht leugnen, dass es Personen gibt, die potenziell schwanger werden können (rund 97 Prozent der Frauen), und solche, die es nicht können. Diese «reproduktive Differenz» – Gebärmutter haben oder nicht – ist eine biologische Tatsache und eine klare Ungleichheit, bemerkt Schrupp. Der Reproduktionsmedizin ist es bisher zwar gelungen, den Uterus zu transplantieren, nicht aber, ihn zu ersetzen. Und obwohl ja viel Brimborium um die Vaterschaft gemacht wurde und wird, sei, nüchtern betrachtet, der Beitrag der Männer zur Schwangerschaft gering, so Schrupp.

Sie hat lange über ihr Thema nachgedacht, und lesenswert ist ihr Buch auch wegen all der Recherchedetails, die hier verarbeitet sind. En passant erfährt die Leserin etwa, dass es früher ein Zölibat für evangelische Pfarrerinnen gab und dass es möglich ist, von einer Schwangerschaft nichts zu bemerken (Gravitas suppressalis), was rund 270 Frauen in Deutschland jährlich passiert.

Im Zentrum aber steht eine philosophisch-politische Theorie der Schwangerschaft, die unter anderem auf einer Re-Lektüre der Schriften Irigarays fusst. Die Schwangere kann nicht einfach weggehen von diesem anderen Wesen in ihrem Körper, sie befinde sich in einem Zustand des «nicht eins und nicht zwei». Daraus folge einiges, zum Beispiel, dass das werdende Leben nicht – wie Abtreibungsgegner gern suggerieren – unabhängig von der Schwangeren zu sehen sei. «Es gibt kein ungeborenes Kind», schreibt Schrupp. Der durch biologische Notwendigkeit bestimmte pränatale Zustand des «nicht eins, nicht zwei» ende aber mit der Geburt des Kindes und gehe dann postnatal in eine soziale Bindung über. Schrupp ist eine wohltuend gefestigte Feministin, und der ganze Text ist durchtränkt von der politischen Forderung nach «reproduktiver Selbstbestimmung», was bedeutet, dass die Schwangere sich als freie Person für oder gegen die Schwangerschaft entscheiden, aber auch, dass sie das Kind nach der Geburt weggeben kann, wenn sie möchte. Aus Schwangerschaft folgt nicht notwendigerweise Mutterschaft. «Mutter eines Kindes ist die Person, die es geboren hat, oder ein von ihr bestimmter Ersatz.»

Interessant ist, dass Antje Schrupp, obwohl sie biologisch argumentiert, nicht bei den klassischen Geschlechterbildern endet. Dezidiert spricht sie nur von «Personen, die schwanger werden können», hat kein Problem mit Transmännern, die Kinder bekommen, oder Frauen mit verkümmerter Gebärmutter, die schwanger werden. All das geht ja. Wir hätten das Frausein «mutterifiziert», sagt sie, betont, dass die meisten Menschen schliesslich die meiste Zeit über nicht schwanger seien, und sie schlägt vor, die Erfahrung des schwangeren Körpers gar nicht als «Sonderfall einer speziellen Weiblichkeit» zu verstehen, sondern als «normales Menschsein, das alle betrifft, auch solche Menschen, die nicht schwanger sind».

So geschieht Sonderbares: Schrupp kann, gerade weil sie die reproduktive Differenz biologisch fasst, die Geschlechterdifferenz von der Biologie entlasten. Wie plausibel ist der Ansatz? Bei der Lektüre stellt sich die Frage, ob Schrupp mit der Verlagerung der Differenz ins Reproduktive nicht nur die Probleme verschiebt, ob sie die äusseren Geschlechtsmarker nicht einfach nur ins Körperinnere verlegt. Wichtig ist aber, dass sie die bislang exkommunizierten Körperargumente wieder in ihr Recht setzt, wobei sie sogar etwas weiter gehen könnte, als sie nur auf den Zustand des «nicht eins, nicht zwei» zu beziehen. So wie es aussieht, gelingt ihr aber tatsächlich die Quadratur des Kreises, nämlich eine dezidiert feministische Position – die Schwangerwerdenkönnen als Potenz hervorhebt – mit einer Vorstellung von der Auflösung der Geschlechter zu verbinden.

Der «Elefant im Raum»

Gemessen an ihrer Bedeutung, sei Schwangerschaft – oder besser: das Schwangerwerdenkönnen – als politisches Thema komplett unterrepräsentiert, konstatiert Schrupp. Es sei der «Elefant im Raum», den alle – Gesellschaftspolitik, Feminismus, Queer- und Genderstudies eingeschlossen – geflissentlich ignorierten. Schrupps Buch macht vor, was es bedeuten könnte, das Thema wirklich ernst zu nehmen und in «neue, freiheitlichere Narrative» einzubinden. Es geht darum, eine Gesellschaft zu denken, in der zwar notwendigerweise nur eine Hälfte der Menschheit schwanger wird, Schwangerschaft selbst aber nicht mehr nur als «Frauensache» abgetan werden kann.

Antje Schrupp: Schwangerwerdenkönnen. Essay über Körper, Geschlecht und Politik. Ulrike Helmer Verlag. Sulzbach 2019. 192 Seiten. 28 Franken