Indien: Kampf um die Bäume Mumbais

Nr. 41 –

Seit Wochen wehren sich die Menschen in der grössten Stadt Indiens gegen die Abholzung des Stadtwalds Aarey. Nun haben die Rodungen begonnen.

Wildtiere weichen Metro: Immer öfter verlaufen sich Leoparden in die Aussenbezirke der Stadt (hier im Januar 2016). Foto: Nayan Khanolkar, Keystone

«Rettet Aarey, rettet Mumbai!», skandierten sie immer wieder. Die Rufe wanderten von einem Ende der Menschenkette zum anderen. Gross, klein, jung, alt kamen sie an den vergangenen Wochenenden zu Hunderten an den Rand der westindischen Millionenstadt Mumbai, um zu protestieren. Unter ihnen viele Studierende, SchülerInnen, Eltern sowie LehrerInnen. Nicht nur die AnwohnerInnen bangen um die «grüne Lunge» der Stadt. Mit der Abholzung des Stadtwalds Aarey würden neben sechzehn indigenen Familien auch zahlreiche Wildtiere ihren Lebensraum verlieren. Nach Plänen der Regierung soll hier ein neuer Betriebsbahnhof für die Metrolinie 3 entstehen.

Diese Aussicht sorgt in Mumbai seit Wochen für Empörung – und hat den Baumschutz ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Fast jeden Tag wird für die Erhaltung des Waldes gekämpft: auf öffentlichen Plätzen wie auch mit rechtlichen Mitteln. «Sie haben genügend Möglichkeiten, auf andere Flächen auszuweichen», sagte die Achtklässlerin Sanika Gujar, die mit ihrer Schwester an den Demonstrationen teilnahm. Auf Instagram tauscht sie sich regelmässig mit FreundInnen über den Umweltprotest aus.

Ende vergangener Woche entschied das örtliche Gericht jedoch in erster Instanz gegen die AktivistInnen. Die Proteste werden seitdem von der Polizei unterdrückt. Die Behörden haben mit der Rodung begonnen, das Gelände ist abgesperrt. Am Wochenende wurden knapp dreissig Protestierende, darunter viele Studierende, festgenommen. Über 2000 von 2600 Bäumen wurden gefällt.

«Es gibt hier so viel Grün. Wenn sie all die Bäume fällen, woher bekommen wir dann frische Luft?», fragte Sanika Gujar bei einer Protestaktion, die noch vor der Rodung stattfand. Die Schülerin wohnt mit ihrer Familie in der Nähe der ehemaligen Weidewiese, die nach der Kolonialzeit als Milchproduktionsstätte ausgedient hatte. In der Zwischenzeit ist dort ein wilder Dschungel herangewachsen, den die meisten Schulkinder als Ausflugsziel kennen. Schon auf dem Weg dorthin entdeckt man Vögel, Flusskrebse und blühende Pflanzen, die man in der Stadt selten sieht.

Wer traut schon der Regierung?

Auch die Studentin Manasi Jadhav nahm an den Protesten teil. «Den Leuten hier ist Aarey sehr wichtig», sagt sie. Auch an der Uni haben sie das Thema diskutiert. Sie nahm mit ihren KommilitonInnen am Protest teil, obwohl die Prüfungszeit schon begonnen hat. Sie ist wütend: «Hier geht es um die Lebensumstände der nächsten Generation. Wir werden unser Leben heute geniessen, aber was ist mit denen nach uns?» Dem Versprechen der Regierung, für jeden gefällten Baum zwei neue zu pflanzen, traut sie nicht. Schon jetzt kursieren einander widersprechende Zahlen und Fakten zu den Bebauungsplänen.

Harshad Tambe teilt Jadhavs Befürchtungen. Seit vier Jahren setzt sich der dreissigjährige Theaterstudent für den Wald ein. «Zuerst hat sich unsere Reichweite nur in den sozialen Medien erhöht, doch wir haben nun auch einen Wandel vor Ort erlebt», sagt Tambe. «Bis zu 3000 Menschen sind zu den Protesten gekommen.» Die AktivistInnen sind besorgt, weil ein neues Infrastrukturprojekt ohne Rücksicht auf die Umwelt umgesetzt wird – und neben der Metro noch eine Wohnsiedlung, ein Zoo und ein Einkaufszentrum hochgezogen werden. Tambe kritisiert zudem das rabiate Vorgehen bei der Räumung: «Selbst ein Mädchen, das ganz alleine dastand, haben sie festgenommen.»

Gerade in der Regenzeit könnte die Abholzung zum Sicherheitsrisiko werden, mahnt Tambe: Ohne die Bewaldung drohe der nahe gelegene Fluss bei Hochwasser den internationalen Flughafen zu überfluten. Aarey sei eine umweltsensible Zone, sagt auch der Anwalt Zoru Bhathena. Er warnt, dass der Wald in den vergangenen Jahren ohnehin bereits geschrumpft sei: «Jeden Monat verschwinden etwa tausend Bäume in Mumbai.» Das war Grund genug für ihn, vor Gericht zu ziehen. Dort setzten sich er und die anderen KlägerInnen mit ihren Argumenten aber nicht durch: Dem Aarey-Gelände wurde abgesprochen, ein Wald zu sein. Stunden nach diesem Urteil zückten Arbeiter die Motorsägen.

Die Propaganda der Behörden

Das wird nun auch Auswirkungen auf die Tiere haben. Immer öfter verlaufen sich Leoparden auf der Suche nach Nahrung in die Aussenbezirke Mumbais. Dennoch behauptet die Regierung, es gebe keine Wildtiere in Aarey. Verbreitet werden solche Falschinformationen durch Zeitungsannoncen. «Die Wahrheit, die ihr wissen sollt», war eine dieser Anzeigen betitelt, die offenkundig das Engagement untergraben sollen. Auch wenn ihre PR-Aktion im Netz viel Häme provozierte, verfolgen die Behörden unbeirrt ihren Plan.

Das Land der sogenannten Aarey-Milchkolonie wurde Ende der sechziger Jahre an die Forstabteilung der Stadt übertragen, aber nie als geschützter Wald ausgewiesen. Mit den Protesten haben die Behörden wohl kaum gerechnet; nun reagieren sie umso härter, um diese zu unterbinden. Kurz vor den Gemeindewahlen soll das Thema Aarey schnell vom Tisch. Das Oberste Gericht will zwar nun den Fall prüfen und hat die Rodung bis auf Weiteres gestoppt. Allzu viel ist von den Bäumen allerdings nicht mehr übrig.