Erwachet!: Ab in den Norden!

Nr. 42 –

Michelle Steinbeck hat Integrationsschwierigkeiten

Das Semester hat begonnen. Und weil eine Pensionskasse bekanntlich mein Zuhause zusammengeschlagen hat, überwintere ich nun, quasi um mich aufzuheitern, an einer Uni im hohen Norden. Ich wäre ja eher in den Süden, aber seit der Annahme der sogenannten Masseneinwanderungsinitiative ist das Austauschprogramm für Schweizer Studis empfindlich beschnitten worden.

Hat es mich also nach Hamburg verschlagen – die Mutter des schlechten Wetters und der Recht-auf-Stadt-Bewegung. Dort gibt es immerhin einen Studiengang Kriminologie. Der soll mich dazu inspirieren, ein paar Bestsellerkrimis zu schreiben, damit ich mir zur Abwechslung mal eine nette Wohnung leisten kann, vor der nicht schon die Abrissbirne baumelt. Ist ja auch aufregend. Mich erwartet schliesslich «the time of my life»: Zahlreiche Studien belegen, dass ein Erasmus-Semester mit Abstand der Höhepunkt des Studiums, wenn nicht gar des ganzen Lebens sei. Studierende, die aus dem Erasmus zurückkehren, versinken denn auch zwangsläufig in eine Depression – wer will schon mit Anfang zwanzig das Beste bereits hinter sich wissen? Ich mache mir diesbezüglich wenig Sorgen: Meine Zwanziger neigen sich dem Ende zu, und dazu lese ich jeden Tag, dass die Welt, wie wir sie kennen, eh bald in die Pfanne gehauen wird – bis dahin: Her mit den Highlights!

Fahre ich also des Morgens energisch in die Pedale tretend Richtung Bunker – das Unigebäude, in dem die «Welcome Week» stattfindet. Wie immer bin ich spät dran, und der Regen sprüht mir so sanft und gleichmässig ins Gesicht wie ein Pflanzenbestäuber. Im Bunker sind sie schon mittendrin im Teambuilding. Die Übung heisst «Breaking the Ice»: Renne im Raum, und versuche, so viele «high fives» wie möglich zu sammeln. Hysterisches Gelächter. Ich kaue Gummi und sehe dem Uhrzeiger zu.

Ich habe wirklich Mühe, mich zu integrieren. Beim Gruppenquiz hängt es mir komplett aus. Ich kann nämlich schlecht verlieren. Und wir, die Gruppe Snickers, gehen erbärmlich unter gegen Mars und Bounty. Alles die Schuld von unserem «Buzzer». Dessen Aufgabe wäre es, laut «kikeriki» zu schreien, wenn wir ihn hauen, weil wir eine Antwort wissen. Leider ist unser Buzzer ein Pariser Babyface im Stimmbruch. Er wagt kaum zu sprechen. Dabei hätte ich alle Antworten gewusst. «Aus welchem Land stammt der Kriegsverbrecher, bei dessen Begräbnis der heurige Nobelpreisträger eine feurige Rede hielt?» Buzzer, Buzzer! «Aus welchem Land stammen die Waffen, mit denen Erdogans Armee gerade Rojava zerstört?» Buzzer! «Zut alors!» Ich fange an, unerlaubt reinzuheepen. Hysterisches Gelächter. Entschuldigung, ich kann mich nicht konzentrieren, wie lautete die Frage? «Which country eats the most chocolate?»

Die Unibuchhandlung suche ich auf wie eine Apotheke: Beruhigungsmittel, bitte. Ich kaufe einen Stapel und frage freundlichst, ob es hier wohl auch Studierendenrabatt gebe. Der Buchhändler fährt mich an, dass Leute, die studieren, später im Leben fett Kohle machen würden, und dass Rabatte für sie deshalb überhaupt keinen Sinn ergäben. Wenn es nach ihm ginge, würde er solche Scheissrabatte überhaupt ganz verbieten.

Erwischt, denke ich, er hat mich durchschaut. Aber warte nur, meinen Bestsellerkrimi werd ich dann jedenfalls nicht in deinem Laden taufen.

Michelle Steinbeck ist Autorin und zurzeit Erasmus-Studentin der Soziologie in Hamburg.