Krise in Ecuador: Die ungebrochene Macht der Indígenas

Nr. 42 –

Ursache für den Aufstand in Ecuador ist auch die Politik des Internationalen Währungsfonds (IWF), der aus seinen Fehlern nichts gelernt hat – obwohl er das Gegenteil behauptet.

Die Erklärung des Notstands für zwei Monate, eine Ausgangssperre in der Hauptstadt Quito, blutige Repression durch Polizei und Armee – und alles hat nichts genützt. Nach elf Tagen der Proteste, sieben Toten, über tausend Verletzten und mehreren Hundert Festgenommenen brach Ecuadors Präsident Lenín Moreno nach vier Stunden Verhandlung mit VertreterInnen der Konföderation indigener Nationen (Conaie) in der Nacht zum Montag ein. Er nahm das Dekret 883 zurück, mit dem er die Abschaffung der seit vierzig Jahren bestehenden Subventionen für Benzin und Diesel verordnet hatte. 1,3 Milliarden US-Dollar hätte der Staat damit pro Jahr gespart. Es war eine der Bedingungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) für einen 4,2-Milliarden-Dollar-Kredit, den Moreno dringend brauchte.

Ecuador geht es schlecht, seit der Ölpreis 2013 eingebrochen ist. Erdöl macht gut die Hälfte der Exporte des Landes und rund ein Viertel der Staatseinnahmen aus. Dazu kam der zuletzt immer stärker werdende Dollar. Weil Ecuador im Jahr 2000 die Währung der USA übernommen hat, wurden dadurch alle anderen Exporte des Landes teurer und damit weniger konkurrenzfähig. Schon Rafael Correa, der Vorgänger und Ziehvater des seit 2017 regierenden Moreno, hatte deshalb nach Jahren linker Sozialpolitik zuletzt neoliberal gegengesteuert und immer mehr Erdölfelder im Regenwald versteigert. Das hatte schon damals den Zorn der dort lebenden Indígenas angestachelt. Auch die zunehmende Staatsverschuldung begann schon unter Correa.

Im Würgegriff der Schulden

Moreno hat diesen Politikwechsel verschärft. Die 4,2 Milliarden US-Dollar, die er dringend vom IWF brauchte, sind nur ein kleiner Teil der Schuldenlast. Allein bei China steht Ecuador mit 19 Milliarden Dollar in der Kreide. Die fernöstliche Macht hat viel in die Infrastruktur des Landes investiert, hat Fernstrassen finanziert, Brücken und Schulen und dazu noch ein halbes Dutzend Staudämme. Das meiste davon wurde auch von China gebaut. Eines dieser Projekte war der Staudamm Coca Codo Sinclair am Fuss des sehr aktiven Vulkans Reventador im Norden des Landes, mitten in einem von Indígenas bewohnten Gebiet. Ihr Einspruch nützte genauso wenig wie Bedenken von Umweltschützerinnen und Geologen. Schon 2018, zwei Jahre nach der Fertigstellung, fiel das Kraftwerk aus und löste damit einen landesweiten Stromausfall aus. Bezahlt werden muss es trotzdem, und China lässt sich seine Kredite mit Erdöl erstatten. Das macht derzeit achtzig Prozent der nationalen Fördermenge aus. Der finanzielle Spielraum der Regierung Moreno ist auf ein Minimum beschränkt.

Es war also nicht nur die Abschaffung der Subventionen für Benzin und Diesel, die die jetzigen Proteste ausgelöst hat. Die Preiserhöhungen treffen zwar vor allem die Ärmsten, deren Ärger aber hatte sich über Jahre angestaut. Massendemonstrationen und die Besetzung der Hauptstadt waren längst geplant. Die Indígenas – gut ein Drittel der Bevölkerung – brauchen lange, bis sie zur Tat schreiten. Sie entscheiden nach dem Konsensprinzip, und das erfordert endlose Diskussionen im Dorf, in regionalen und schliesslich in nationalen Delegiertentreffen. Es ist ein stiller Prozess, der ausserhalb ihrer Kreise kaum jemandem auffällt. Wenn sie sich aber entschieden haben, dann sind sie sich einig und haben einen langen Atem. Die unter dem Dach der Conaie zusammengefassten Indígenas haben schon etliche Präsidenten gestürzt: 1997 Abdalá Bucaram, 2000 Jamil Mahuad und 2005 Lucio Gutiérrez. Dann kam unter Correa eine relativ ruhige Zeit, und manche glaubten schon, die Indígenas hätten an Kraft verloren.

Die immer gleichen IWF-Programme

Sie haben es nicht, und Moreno hat das gerade noch rechtzeitig erkannt. Seine Zurücknahme des Dekrets 883 ist ein Affront gegen den IWF. Der hatte zuletzt versucht, sich ein freundlicheres Gesicht zu geben, hatte Fehler im Zusammenhang mit der Griechenlandkrise eingestanden und sogar zugegeben, dass seine Kreditbedingungen manche Länder noch weiter ins Schuldenchaos getrieben haben. In Lateinamerika hat er aus diesen Erkenntnissen nichts gelernt. Hier gilt weiterhin die Politik der Strukturanpassung, was vor allem Privatisierungen und die damit verbundene Korruption und Kürzungen von Sozialprogrammen bedeutet. Schon in den achtziger Jahren hat es dagegen immer wieder Volksaufstände gegeben. Auch bei den Unruhen, die seit Monaten Haiti lahmlegen, spielten vom IWF im Sommer vergangenen Jahres verlangte Benzinpreiserhöhungen eine zentrale Rolle. Sie wurden zwar schnell wieder zurückgenommen, aber sie waren der Auslöser der bis heute andauernden Proteste. Inzwischen kamen Korruptionsvorwürfe gegen Präsident Jovenel Moïse dazu. Die erzürnte Bevölkerung will erst Ruhe geben, wenn er zurückgetreten ist.

In Ecuador will Präsident Moreno nun zusammen mit Indígena-VertreterInnen ein alternatives Sanierungsprogramm für die Finanzkrise des Staates erarbeiten – eines, das den Armen keine weiteren Lasten aufbürden soll. Ob das dann den IWF befriedigt, sei dahingestellt. Die Indígenas jedenfalls werden wachsam sein.