Auf allen Kanälen: «Seien Sie kein Narr!»

Nr. 43 –

Manchmal muss man da hinschauen, wo es wehtut. Etwa auf Donald Trumps Tweets. Ein Servicetext für Abstinente.

Es soll ja Menschen geben, die Donald Trumps Auslassungen gänzlich ignorieren. Ihrem Seelenheil zuliebe. Dieser Artikel ist für sie, ein kurzes Update zur immer verrückter werdenden Parallelwelt der Trump-Tweets. Zugegeben: Es ist nicht ganz einfach, einem Mann verbale Eskalationen nachzuweisen, der sich selbst als «toll aussehend und schlau, ein echt stabiles Genie!» beschrieben und während einer Krise mit Nordkorea getwittert hat, sein «Roter Knopf» sei «viel grösser und mächtiger» als der Knopf von Kim Jong-un. Oder der zur Rettung der brennenden Notre-Dame «fliegende Wassertanker» einsetzen wollte.

Wer mehr als zehn Trump-Tweets gelesen hat, will ein Leben lang keine Superlative mehr verwenden. Stellen wir also einfach nüchtern fest: Seit der Androhung des Amtsenthebungsverfahrens geht es auf Trumps Twitter-Account sehr abgedreht zu und her. Was seine GegnerInnen ermutigen sollte: gibt es doch keinen besseren Seismografen für die Erschütterung des US-Präsidenten als seine Twitterei.

Putsch und Bürgerkrieg

Schlagzeilen, so dramatisch sie oft klingen, verraten jedenfalls nur die halbe Wahrheit über ihn. Die von Trump permanent attackierten JournalistInnen – seine Standardbeschimpfung lautet «verlogene Fake-Medien» – helfen nämlich sogar unfreiwillig mit bei der Beschönigung des ganz gewöhnlichen Wahnsinns, der täglich aus dem Weissen Haus dringt. Eine australische Journalistin, die kürzlich zum ersten Mal an einer von Trumps Pressekonferenzen teilnahm, schrieb schockiert im «Guardian»: Die Erfahrung habe ihr gezeigt, dass eine in logischen Sätzen formulierte Berichterstattung «das wahre Ausmass» von Trumps «besorgniserregender Inkohärenz verschleiern und normalisieren» könne.

Nehmen wir also eine Schlagzeile wie «Streit zwischen Trump und Pelosi eskaliert» und lesen dann Trumps Tweet zu seinem Clash mit der Sprecherin des Repräsentantenhauses: «Nancy Pelosi braucht rasch Hilfe! Entweder ist etwas kaputt in ihrem ‹Oberstübchen›, oder sie mag einfach unser Grossartiges Land nicht. Sie hatte einen totalen Nervenzusammenbruch heute im Weissen Haus. Es war sehr traurig anzusehen. Betet für sie, sie ist eine sehr kranke Person!» Zuvor hatte er überdies mehrfach behauptet, es handle sich beim rechtsstaatlichen Impeachment-Verfahren gegen ihn um einen «PUTSCH!», das Volk werde dabei um «seine Religion, seine Armee und seine Grenzmauer» gebracht. Einmal drohte Trump gar mit Bürgerkrieg, falls das Impeachment realisiert werde. GegenspielerInnen greift er wiederholt persönlich an («abscheulicher Mensch», «korrupte Hillary»), das demokratische BewerberInnenfeld für die Präsidentschaftswahlen 2020 verunglimpfte Trump nach der letzten Fernsehdebatte gleich in corpore: «Unsere Rekord-Wirtschaft würde CRASHEN, genau wie 1929, wenn einer dieser Clowns Präsident werden würde.»

Papier und Tinte

Womöglich auch, um vom Impeachment abzulenken, hat Trump Anfang Oktober die US-Truppen aus dem kurdischen Grenzgebiet in Syrien abgezogen. Und natürlich flankierte er auch dieses erratische Manöver, das die Region in eine humanitäre Katastrophe gestürzt hat, mit einem Tweet: «Wie ich bereits früher dringend festgehalten habe und nur zur Erinnerung: Sollte die Türkei etwas tun, was ich in meiner grossen und unerreichten Weisheit für verboten halte, werde ich die türkische Wirtschaft komplett zerstören und vernichten (Ich habe dies bereits einmal getan!).»

Und wer jetzt einwirft, das sei alles nur wegen Twitter, das Medium verwandle selbst vernünftige Menschen in hirnlose Dummschwätzer, der oder die lese den offiziellen Brief, den Trump ein paar Tage später – auf Papier und mit Tinte signiert – an Recep Tayyip Erdogan geschrieben hat: «Dear Mr. President: Lassen Sie uns einen guten Deal ausarbeiten! Sie wollen nicht verantwortlich sein für die Abschlachtung Tausender, und ich will nicht verantwortlich sein für die Zerstörung der türkischen Wirtschaft – und ich werde sie zerstören.» Der Brief schliesst mit den Worten: «Seien Sie kein Narr! Wir telefonieren.» Erdogan habe den Brief in den Papierkorb geworfen, berichtet die BBC. Und auch Sie dürfen sich nun wieder von diesem irren Spektakel abwenden. Falls Sie das noch können.