Montenegro: Pakt mit teuflischen Details

Nr. 43 –

Der kleine Balkanstaat baut eine Autobahn, um seine Wirtschaft anzukurbeln. Doch schon der Bau des ersten Abschnitts trieb die Staatsverschuldung auf über achtzig Prozent hoch. Geldgeberin ist die chinesische Staatsbank.

Vierzig Brücken, neunzig Tunnel, tausend Meter Höhenunterschied: Die neue Autobahn wird 25 Millionen Euro kosten – pro Kilometer.

Kojo Lakusic und seine Frau Ajda leben mit Fuchs und Wolf. So jedenfalls, sagt Lakusic, komme es ihm vor, seit der Grossteil der BewohnerInnen seines Dorfes Lijeva Rijeka fortgezogen ist. Nur die Alten seien geblieben. Die Häuser der ehemaligen NachbarInnen stehen leer, der Lebensmittelladen ist geschlossen, und krank werden, witzelt Lakusic, dürfe man nur noch montags, am einzigen Wochentag, an dem ein Arzt im Dorf vorbeischaut.

Lakusic und seine Frau leben von den 127 Euro Rente, die er aus der Zeit bezieht, als er Fabrikarbeiter in der Hauptstadt war, die damals noch Titograd hiess. Ohne die Kühe, zwei Schweine und einen Gemüsegarten würde das zum Sattwerden nicht reichen. Das Haus hat Lakusic selber aus Felssteinen und dem Holz der umliegenden Wälder gebaut. Die viele Arbeit hat die Hände des 67-Jährigen breit gemacht, die Haut in seinem Gesicht ist gefaltet wie eine Ziehharmonika.

Lijeva Rijeka ist ein Bergdorf in Montenegro, gelegen zwischen der Hauptstadt Podgorica und der Kleinstadt Kolasin. Von der Europastrasse 80, die von Podgorica aus in den Norden läuft, schlängelt sich die Landstrasse P 19 in scharfen Serpentinen bergan, verliert sich in Wäldern und durchläuft Dörfer, in denen Armut und Verlassenheit wie böse Geister hausen. Vom Tourismusboom, den Montenegro besonders an seiner Küste erlebt, ist hier nichts zu spüren. Und auch von keiner Wohltat der Entwicklung.

Planieren fürs Wirtschaftswachstum

Unweit der Kreuzung zwischen der E 80 und der P 19 ziehen sich Schneisen durch die Berge. Baumaschinen fahren hin und her. Bauschutt und Aushub lagern dort, wo der Wald kahl geschlagen wurde. Hier, bei der Stadt Smokovac, beginnt der erste, 43 Kilometer lange Bauabschnitt der insgesamt 163 Kilometer langen Bar-Boljare-Autobahn, die nach ihrer Fertigstellung den montenegrinischen Hafen Bar mit Serbien verbinden soll: zum Transport von Gütern, zur Ankurbelung des Tourismus, zur Belebung des wirtschaftlich schwachen Nordens des Landes. Denn Montenegro hat als einziges europäisches Land bislang keine Autobahn und nur «Schnellstrassen» durch die gebirgige Region oder entlang der Küste, auf denen ein zügiges Vorankommen kaum möglich ist. Die Autobahn ist, da ist man sich in Montenegro einig, dringend vonnöten.

Doch die Umstände und Folgen des Baus sind im kleinen Land heftig umstritten. Nie hätte Montenegro, das zu den ärmsten Staaten Europas gehört, ein solches Infrastrukturprojekt selber bewältigen können. Das Land ist mit nicht einmal 14 000 Quadratkilometern etwa ein Drittel so gross wie die Schweiz und hat 626 000 EinwohnerInnen. Die Autobahn war lange nur ein Traum. Bis 2014 die staatliche chinesische Exim-Bank einen Kredit in Höhe von 800 Millionen Euro offerierte, um einen Teilabschnitt zu bauen. Die Bedingungen: Das halbstaatliche chinesische Unternehmen CRBC übernimmt den Bau, und es werden 3000 Arbeiter sowie Maschinen ins Land gebracht, Letztere zollfrei.

Das Projekt ist Teil der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI), die in falscher Romantisierung auch «neue Seidenstrasse» genannt wird. Das 900 Milliarden Euro schwere Infrastrukturprojekt wurde 2013 von Chinas Präsidenten Xi Jinping ins Leben gerufen. Auf einem Netz aus Strassen, Schienen und dem Seeweg sollen chinesische Waren durch die ganze Welt und auch nach Westeuropa transportiert werden. Montenegro wie auch die Balkanstaaten Serbien, Nordmazedonien, Ungarn, Kroatien und Bosnien-Herzegowina sind das Tor zu den europäischen Märkten. Allein schon wenn man Projekte mit einem Volumen von über 100 Millionen Euro berücksichtigt, summieren sich die chinesischen Investitionen in Osteuropa auf über 29 Milliarden Euro, wie Berechnungen des US-Thinktanks AEI China Global Investment Tracker ergaben.

Know-how aus Fernost

Neben Geld bringen die ChinesInnen noch etwas anderes ein: Expertise. Der grösste Teil der Fläche von Montenegro besteht aus Bergen. Wenn die Autobahn fertig ist, wird sie mehr als tausend Meter Höhenunterschied überwunden haben, über vierzig Brücken und durch neunzig Tunnel laufen und 25 Millionen Euro pro Kilometer gekostet haben. Gebaut wird in vier Teilabschnitten, drei davon auf montenegrinischer Seite. Doch bekanntlich erfüllen die Götter nur jenen Träume, die sie bestrafen wollen. Bereits der Kredit für den ersten Teilabschnitt hat die Verschuldung des wirtschaftsschwachen Montenegro auf über drei Milliarden Euro ansteigen lassen, so eine Studie der in London und Washington ansässigen Forschungsgruppe Center for Global Development.

Kojo Lakusic sitzt in der winzigen Stube seines Dreizimmerhauses, die zugleich die Küche und der einzige Raum mit einem Ofen ist, und raucht eine Zigarette, dazu gibt es selbstgebrannten Schnaps. Die Autobahn? Die sei dazu da, die Taschen der Regierung zu füllen, sagt er. Im Radio hat er den Ministerpräsidenten sagen hören, der Bau werde Wohlstand für das Land bringen. Lakusic hatten sie da gerade seine karge Rente um zehn Euro gekürzt, und seine Frau war krank geworden, aber einen Arzt konnten sie nun nicht mehr bezahlen.

In Podgorica begeht in jenen Tagen des Frühherbsts die chinesische Botschaft das siebzigjährige Bestehen der Volksrepublik im Hilton-Hotel mit einer Ausstellung über Chinas Entwicklung seit der Kulturrevolution, einem Buffet und vielen Gästen. Auch Premierminister Dusko Markovic ist dabei. Während man an Stehtischen plaudert und speist, läuft auf einer grossen Leinwand ein Imagefilm mit dramatischer Musik und dramatischen Landschaften. Die Botschaft ist unmissverständlich: China ist gross. China ist mächtig.

Botschafter Liu Jin skizziert in seiner Rede die immensen Fortschritte seines Landes in den vergangenen siebzig Jahren. Eine glorreiche und beschwerliche Reise sei es gewesen von den semifeudalen und semikolonialen Zeiten zur heutigen Position als zweitgrösste Wirtschaftsmacht der Welt. China trage seit vielen Jahren mit mehr als dreissig Prozent zum weltweiten Wirtschaftswachstum bei, vor allem durch die Belt and Road Initiative. Diese nütze der Welt, nütze dem Balkan, nütze Montenegro.

Was ist mit der Schuldenlast?

Doch das ist, wenn überhaupt, nur die halbe Wahrheit. Die BRI nützt vor allem China. Das Wachstum im Reich der Mitte wird seit 2008 durch Schulden finanziert, die inzwischen mehr als 100 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung und 135 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Die Wachstumsstrategie durch Verschuldung hat ihre Grenzen erreicht – was China jetzt noch bleibt, ist der Export von Kapital und Arbeitskraft. Die BRI sei Chinas zentrales Vehikel für die angestrebte Führungsrolle, heisst es in einer Studie der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik. «Die von Staatspräsident Xi Jinping energisch vorangetriebene Belt-and-Road-Initiative könnte (…) eine Strategie darstellen, um das bisherige chinesische Modell schuldenfinanzierten Wachstums zu exportieren. Allerdings werden die neuen Schulden nicht China, sondern den Empfängerländern aufgebürdet.»

Von der Last dieser Schulden fällt an jenem Abend in Podgorica kein Wort. Ministerpräsident und Botschafter heben ihre Gläser in trauter Eintracht auf die weitere Zusammenarbeit, auf der Leinwand tanzen wieder grazile Frauen, fliegen Adler über Bergkuppen, verweht der Wind den Sand der Taklamakanwüste. Nur dem stellvertretenden Vorsitzenden der Oppositionspartei URA, Milos Konatar, hat die Rede des Botschafters die Laune verhagelt. Grusslos verlässt er den Saal.

Noch am Morgen hat Konatar gegenüber der WOZ bekräftigt, auch die Opposition stehe hinter dem «grössten Projekt in der modernen Geschichte Montenegros», aber nicht hinter dem Deal mit China. Wegen fehlender Transparenz. «Wir kennen die groben Umrisse des Vertrags. Doch der Teufel steckt im Detail. Und die Details verheimlicht unsere Regierung. Der Vertrag gilt als Verschlusssache.» Öffentlich bekannt seien die Kreditsumme, die Verzinsung von zwei Prozent, die Laufzeit von zwanzig Jahren und eine Frist bis zur ersten Rate von sechs Jahren. Doch wie die Regierung ihre Kreditschulden ab 2020 zurückzahlen will, dazu fehlen genauere Angaben. «Zukunftsplanung ist nicht das, was unsere Regierung beherrscht», sagt der 36-jährige Ökonom. «Sie haben mit dem Bau begonnen, bevor es ein Gesamtkonzept für die ganze Autobahn gab. Die Regierung brauchte Geld, die Exim-Bank gab es ihnen, und sie nahmen es, um es für ihren eigenen Profit in regierungsnahe Subunternehmen zu pumpen.»

Die «teuflischen Details», über die OppositionspolitikerInnen, die Medien und BürgerInnen nur spekulieren können, sind solche, die die Exim-Bank auch in Verträge mit anderen Staaten schrieb, die Kredite erhielten: Für Diskrepanzen ist ein chinesisches Gericht zuständig, und im Fall einer Nichtbegleichung der Kreditschulden darf China Land konfiszieren. «Unsere Regierung leugnet das nicht, sie verweigert nur die Auskunft», sagt Konatar.

«Das sind doch alles Missverständnisse», sagt nach dem Empfang Botschafter Liu Jin. Die Chinesen seien in Montenegro um zu helfen, der Vertrag über den Autobahnbau entspreche internationalen Standards. Die weltweite Kritik an chinesischen Investments sei eine Art von Diskriminierung und speise sich aus einem Bild von dem Land, das aus der Ära des Kalten Kriegs stamme. «China ist nicht mehr das Land von damals. Wir möchten unser Wachstum und unser Wissen mit armen Ländern teilen. Wir wollen nicht mehr isoliert sein, das waren wir lange genug.» Und überhaupt, sagt Lin, sei das nicht die Autobahn der ChinesInnen, sondern die Montenegros. «Wir gefährden diesen Staat nicht, und wir wollen ihm auch kein Land wegnehmen.» Kritische Fragen sollten doch bitte an die montenegrinische Regierung gerichtet werden.

Was nicht so einfach ist: Erst werden Gespräche zugesagt, dann wieder abgesagt. Schliesslich erklärt sich Ana Nikolic zur Auskunft bereit, Abgeordnete der regierenden Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) und Mitglied etlicher Ausschüsse, die mit Finanzen, Kontrolle, Umwelt und Tourismus zu tun haben. Nikolic ist eine elegante Erscheinung und strahlt eine staatstragende Kühle aus. Die Details des Vertrags mit der Exim-Bank? «Ich habe die Vereinbarung nicht gesehen. Aber ich vertraue unserem Premierminister, denn er ist ein verantwortungsbewusster Mann.» Was sie über Landkonfiszierungen im Fall der Zahlungsunfähigkeit wisse? «Ich kann mir einen solchen Paragrafen nicht vorstellen.»

Alles nur Missverständnisse?

Anders als die Oppositionsparteien, die Thinktanks, investigativen Medien und ÖkonomInnen des Landes ist Nikolic sicher, ihre Regierung werde die Schulden begleichen können. «Wir haben ein Austeritätsprogramm, ein Wirtschaftswachstum von 3,9 Prozent, und schon jetzt generiert der Bau neue Investitionen in vielen Bereichen.» Die Millionenbeträge, die als Zahlung aus dem Staatsbudget an Subunternehmen gingen, hören sich allerdings eher nach Peanuts an: 120 Millionen Euro in zwei Jahren.

Im September 2020 soll der erste Abschnitt fertiggestellt sein. Damit die teure Autobahn nicht im Nirgendwo endet, weil der Staat Montenegro keinen weiteren Kilometer bezahlen kann, will die Regierung den zweiten Teil mithilfe von Privatinvestoren realisieren. Das Interesse daran hält sich in Grenzen. Der bislang einzige öffentlich bekannte Interessent: die Exim-Bank. «Willkommen im Teufelskreis der Verschuldung», spottet Konatar. «Wie immer bezahlen wir einen Kredit mit dem nächsten. Und wenn das System nicht mehr funktioniert, wird schon irgendjemand einspringen: die internationale Gemeinschaft und internationale Kreditinstitute.» Ob er dennoch glaubt, die Autobahn werde eines Tages fertiggestellt sein? «Ja. In zwanzig oder dreissig Jahren wohl schon.»

Diese Recherche wurde mit einem Stipendium von «real21 – die Welt verstehen» unterstützt.