Chinesische Strukturpolitik: Kleines Land, grosser Schuldenberg

Nr. 19 –

Montenegro hat wegen eines Autobahnprojekts chinesische Kredite aufgenommen. Jetzt droht dem EU-Beitrittskandidaten die Schuldenfalle.

Schon viele ausländische HerrscherInnen bestimmten über die Hafenstadt Bar im Balkanstaat Montenegro. Darunter Venezianer, ungarische und serbische Könige, Osmanen und Österreicher. Seit dem Zerfall Jugoslawiens 1991 haben allein die MontenegrinerInnen hier das Sagen. Doch nun geht die Angst um, der Hafen in der Stadt an der adriatischen Küste könnte von China übernommen werden.

Denn Montenegro schuldet der chinesischen Exim-Bank rund eine Milliarde Euro für die Finanzierung einer Autobahn, die Bar mit Serbien verbinden soll. Das entspricht neunzig Prozent seines Bruttosozialprodukts und vierzig Prozent seiner Gesamtverschuldung. Die erste Rate in Höhe von sechzig Millionen Euro wird eigentlich im Juli fällig. Doch das Land, eines der ärmsten in Europa, hat grosse Liquiditätsprobleme – und sollte Montenegro seiner Zahlungsverpflichtung nicht nachkommen, könnte es ihm ergehen wie zuvor Sri Lanka und Dschibuti. Weil die Regierungen dieser Länder ihre Schulden bei Peking nicht zurückzahlen konnten, mussten sie Staatseigentum hergeben.

Um dies zu vermeiden, wandte sich die Regierung in Podgorica mit der Bitte um finanzielle Hilfe an die Europäische Union. Aber Brüssel weigerte sich, in dieser Notsituation auszuhelfen. Es seien sowieso alles nur Gerüchte, hiess es daraufhin aus dem Finanzministerium: «Montenegro ist in der Lage, all seinen finanziellen Verpflichtungen internationalen Partnern gegenüber nachzukommen», sagte ein Sprecher der Behörde. Auch auf der Website des Ministeriums wird darauf hingewiesen, dass die nationalen und internationalen Medienberichte über das Hilfegesuch falsch seien; Montenegro wolle lediglich eine Umschuldung.

Korruptionsvorwürfe

Von der Strasse, die in drei Abschnitten quer durch das Land gebaut werden soll, ist bislang nicht einmal der erste Teil beendet, den China mit seinem Kredit finanziert. Beaufsichtigt und ausgeführt wird das Ganze von der China Road and Bridge Corporation. Das chinesische Staatsunternehmen hat eigene ArbeiterInnen und Maschinen ins Land mitgebracht, beschäftigt aber auch lokale Subunternehmen aus der Baubranche.

Von Anfang an waren sowohl die Autobahn als auch die Kreditaufnahme politisch umstritten. Vorangetrieben hat das Projekt der heutige Präsident und damalige Ministerpräsident Milo Djukanovic, der als bestechlich gilt. Bereits beim Vergabeprozess klagte die Opposition über Korruption, Vetternwirtschaft und mangelnde Transparenz, weil die beteiligten Bauunternehmen der Regierung nahestehen. WirtschaftsexpertInnen stellten sogleich den Finanzplan zur Rückzahlung infrage, der nach ihrer Sicht ein unrealistisches Wirtschaftswachstum vorsah. Zudem blieben die Details des Vertrags unter Verschluss. Erst die im Jahr 2020 gewählte neue Regierung sorgte für Transparenz. Sie machte auch öffentlich, dass im Fall von Zahlungsunfähigkeit Montenegro Staatseigentum abgeben und jeder Konflikt vor einem chinesischen Gericht verhandelt werden muss.

Die Autobahn von der Mittelmeerküste in den Nordosten Montenegros ist ein lang gehegter Traum im geografisch und wirtschaftlich isolierten Land. Doch die EU und die Weltbank winkten ab, als die Regierung um Hilfe bei der Finanzierung bat. Zu teuer, zu unrentabel sei das Projekt. Gerade mal 622 000 EinwohnerInnen hat Montenegro, 14 000 Quadratkilometer ist es gross. Wie es angesichts dieser Zahlen ein Milliardenprojekt durch Strassengebühren finanzieren soll, das erschloss sich weder der EU noch der Weltbank. Weil es keine Unterstützung aus dem Westen gab, nahm die Regierung 2014 das Angebot aus China an und ignorierte die Kritik der Opposition.

Mit seiner Belt-and-Road-Initiative erschliesst Peking Wasserwege, Häfen, Strassen und Eisenbahnstrecken, um seine Waren bis ins Herz Europas transportieren zu können und sich den Zugang zu Rohstoffen zu sichern. Umgerechnet rund 900 Milliarden Euro hat China bereits in dieses Infrastrukturprojekt investiert. Es vergibt günstige Kredite mit zwanzigjähriger Laufzeit und einer Verzinsung von zwei Prozent bevorzugt in Entwicklungs- und Schwellenländer, die solche Projekte nicht aus eigenen Mitteln finanzieren können. Eine strukturpolitische Strategie, die, so warnen KritikerInnen, Länder in die Schuldenfalle und in Abhängigkeit treibt.

Gekürzte Renten

Schon lange vor dem nun anstehenden Zahlungstermin hatten diese Schulden Auswirkungen auf die MontenegrinerInnen. Die frühere Regierung kürzte Renten und Sozialleistungen, vor allem solche für alleinerziehende Mütter. Die ursprünglichen Kostenberechnungen mussten korrigiert werden, weil eine Abfahrt, Zufahrtsstrassen und Wechselkursschwankungen nicht mit in die Kalkulation aufgenommen worden waren. Fehlende Umweltgutachten und die Dokumentation der Verschmutzung des Flusses Tara durch die Bauarbeiten erzeugten weiteren Unmut. «Der Vertrag war nie im Interesse Montenegros, und die Chinesen haben die Möglichkeit erhalten, zu machen, was sie wollen», sagt Milka Tadic Mijovic, Begründerin des Zentrums für investigativen Journalismus.

Auch Dejan Milovac, Direktor der montenegrinischen nichtstaatlichen Organisation Mans, die gegen Korruption arbeitet, befürchtet, dass die montenegrinische Regierung von Peking verklagt werden könnte. Zwar sei es richtig, dass die Regierung die erste Kreditrate zahlen könne, doch das bedeute kein Aufatmen. «Montenegro ist wirtschaftlich vom Tourismus abhängig. Aber in der Pandemie kommen keine Touristen, und wir wissen nicht, wie es im nächsten Jahr aussieht», sagt Milovac.

Die EU ist nun in einer schwierigen Situation. Einerseits ist Montenegro Nato-Mitglied und EU-Beitrittskandidat. Ein wachsender Einfluss von China auf dem Balkan liegt nicht im westlichen Interesse. Denn der wirtschaftlichen Abhängigkeit von China ist längst auch die politische gefolgt, Chinas Fussabdruck auf dem Balkan wird mit jedem Infrastrukturprojekt grösser. Andererseits hat die EU deutlich gemacht, keine Kredite Dritter direkt zurückzuzahlen. Immerhin: Ana Pisonero, Sprecherin der EU-Kommission, stellt in Aussicht, Montenegro könne im Rahmen des im Herbst 2020 beschlossenen Wirtschafts- und Investitionsplans für den Westbalkan geholfen werden. Bis 2027 sollen Entwicklungsprojekte in der Region mit neun Milliarden Euro unterstützt und zwanzig Milliarden als Garantie für Investitionen zugesichert werden.

Bleibt die Frage, ob die Autobahn nun endgültig eine Strasse ins Nirgendwo wird. Denn Interesse daran, einen Kredit zur Finanzierung des zweiten und dritten Bauabschnitts zu vergeben, zeigte bislang nur die Exim-Bank.