Fall «Carlos»: Die Mitschuld von «Blick» und SRF
Der Fall «Carlos». Man weiss sofort, wer gemeint ist. Der junge Mann, der ungehemmt zuschlägt. Die Wärter wagen sich nur in Schutzausrüstung in seine Nähe. Diese Woche muss er sich am Bezirksgericht Zürich unter anderem wegen schwerer Körperverletzung wieder vor Gericht verantworten. Es droht ihm die Verwahrung.
Am Anfang dieses öffentlichen Dramas standen zwei Journalisten und die Frage, wie viel ein schwieriger Jugendlicher kosten dürfe. Der eine Journalist heisst Hanspeter Bäni, der andere Andreas Kunz. Bäni hat 2013 für das Schweizer Fernsehen einen Dokfilm über «Carlos» gedreht, der eigentlich Brian K. heisst und in den Medien auch so genannt werden möchte.
Andreas Kunz sah den Film und machte daraus für den «Blick» die Skandalgeschichte des Jahres: «Sozial-Wahn! Zürcher Jugend-Anwalt zahlt Messerstecher (17) Privatlehrer, 4 1/2-Zimmer-Wohnung und Thaibox-Kurse. Kosten: 22 000 Fr. pro Monat.» Dieses Sondersetting hatte eigentlich gut funktioniert. Der aggressive junge Mann war daran, sein Leben in den Griff zu bekommen.
Doch nach der «Blick»-Story explodierte die mediale Empörung. Brian K. wurde – ohne juristischen Anlass – wieder inhaftiert. Danach begann eine Abwärtsspirale, die die NZZ vor einigen Monaten differenziert nachgezeichnet hat.
Es ist schwierig, Schuldige zu benennen. Sicher sind die Medien massiv mitverantwortlich. Angefangen beim Dokfilm, der seine problematischen Momente hat. Kunz, der Brian K. zum berühmtesten Jungkriminellen machte, ist heute stellvertretender Chefredaktor der «SonntagsZeitung». Mit der Geldfrage hat er Brian K. ans Kreuz genagelt. Derweil genau die Geldfrage nicht aufgeht.
Damals mag das Sondersetting pro Monat viel gekostet haben – allerdings für eine befristete Zeit. In der Verwahrung würde es viel teurer. Jeder Inhaftierte kostet pro Tag zwischen 300 und 750 Franken, also bis zu 23 000 Franken im Monat. Wenn Brian K. verwahrt wird, bleibt er viele Jahre drin. Das kostet schnell über fünf Millionen Franken. Deshalb ist ein Sondersetting relativ günstig, wenn ein junger Mensch danach ein deliktfreies Leben führen kann.
Nun ist Verwahrung keine Bestrafung – es ist präventives Wegsperren. Sie ist dazu da, die Öffentlichkeit vor einem gefährlichen Menschen zu schützen. Die Ironie: Die Delikte, die Brian K. jetzt angelastet werden, hat er im Gefängnis begangen. Kurz vor der angekündigten Freilassung war ihm offenbart worden, dass man ihn in Sicherheitshaft versetze, weil andere Häftlinge planten, ihn mit heissem Wasser zu übergiessen. Brian K. konnte das nicht nachvollziehen, flippte aus und soll einen Aufseher zu Boden geschlagen haben.
Sicherheitshaft bedeutet: Isolation – 23 Stunden lang ohne menschlichen Kontakt in einer Zelle sitzen. Keiner da, mit dem man reden kann. Nur der eigene Kopf, in dem sich die Gedanken drehen. Man kann einwenden, der Kerl müsste sich ja nicht so aggressiv benehmen. Sollte er nicht, keine Frage. Aber mit Isolation wird es nicht besser werden. Selbst Friedfertige hätten nach einigen Wochen Isolation ein Problem, sich vernünftig zu benehmen. Doch wer sich nicht vernünftig benimmt, droht im Verwahrungssystem – das sich harmlos Massnahmenrecht nennt – stecken zu bleiben. Aktuell sind rund 900 Personen in einer Massnahme, 143 in der normalen Verwahrung, die meisten anderen in der sogenannt kleinen Verwahrung, die mit einer Therapie einhergeht. Sie alle unterliegen einem Präventivregime, das sie erst wieder entlässt, wenn sie als «nicht gefährlich» gelten.
Oft befeuert sich das Präventivregime selbst, so wie bei Brian K.: Er wehrt sich gegen eine Inhaftierung, die er für ungerecht hält, das System nimmt den Widerstand als Bedrohung wahr, reagiert mit Repression, worauf Brian K. noch heftiger queruliert, womit bestätigt wird, das er gefährlich ist – eine selbsterfüllende Prophezeiung nimmt ihren Lauf. Mit Strafen hat es nichts zu tun. Brian K. bekäme für schwere Körperverletzung vielleicht zehn Jahre. Punkt. Wenn er jetzt aber verwahrt wird, bekommt er unbefristet. In einem Rechtsstaat dürfte es das eigentlich nicht geben.