Kino-Film «Sorry We Missed You»: Arbeiter, beute dich doch selber aus!
Aus seiner sozialkritischen Agenda hat Ken Loach, jetzt stolze 82 Jahre jung, nie einen Hehl gemacht. Und immer wenn man dachte, dass sein proletarischer Realismus sich nun verbraucht hätte, überzeugte er doch wieder mit seinem präzisen Blick auf die Lage, wie zuletzt in «I, Daniel Blake», wo der Titelheld mit den Schikanen des Wohlfahrtsstaats ringt. In «Sorry We Missed You» nimmt sich Loach nun die «Gig Economy» vor, jene Art Ausbeutung, die dem Arbeiterhelden das Letzte nimmt, was er noch hatte: den Ausbeuterchef.
Das Schlüsselwort der Gig Economy heisst: Selbstständigkeit. Als der Familienvater Ricky (Kris Hitchen) bei einem Lieferdienst anheuert, ist er dort «Eigentümer-Fahrer». Das bedeutet, dass Ricky den Wagen selbst kaufen muss, mit dem er dann im Akkord, soll heissen selbstbestimmt, die Pakete ausfahren soll. Der wichtigste Tipp eines Kollegen hat die Form einer Milchflasche: Für Pinkelpausen wird an seinem Vierzehnstundentag keine Zeit bleiben.
Die Selbstausbeutung, die mangelnde Sicherheit und die Überwachung durch Digitalgeräte, die FahrerInnen laufend protokollieren: alles reale Missstände, die Loach hier auf den Punkt bringt. Aber die blosse Kritik an den Verhältnissen ist ihm nicht genug. Das Publikum soll richtig mitleiden mit dem Helden, weshalb ihn Loach mit weiteren Problemen förmlich überhäuft. Rickys Frau Abby (Debbie Honeywood) kämpft als mobile Pflegekraft ebenfalls mit zu vielen Aufträgen in zu kurzer Zeit für zu wenig Geld. Immerhin scheint sie ihren Beruf zu lieben, weshalb der Film ihre Probleme recht paternalistisch als Nebenwiderspruch abtut.
Damit nicht genug: Auch der Teenagersohn rebelliert, weil er nicht wie sein Vater enden will, und die elfjährige Tochter beginnt zu bettnässen, weil die Eltern so wenig Zeit für sie haben. Dabei hätte der Film die Spannung dieser dräuenden Konstellation gar nicht nötig, er überzeugt schon allein mit seinen treffenden Beobachtungen zum Alltag im Spätkapitalismus.
Sorry We Missed You. Regie: Ken Loach. Grossbritannien 2019