Kommentar zur Zinspolitik: Das Eingeständnis

Nr. 44 –

Die Bankiervereinigung warnt vor Negativzinsen – die sie neuerdings unter anderem auf die zunehmende soziale Ungleichheit zurückführt.

Es ist eine schon fast unglaubliche Aussage, die die Bankiervereinigung in einer neuen Studie macht, in der sie vor dem Schaden der heutigen Tiefstzinsen etwa für KleinsparerInnen warnt: Der Grund, dass seit den achtziger Jahren die Zinsen weltweit gefallen seien, liege unter anderem in der weltweit zunehmenden sozialen Ungleichheit. Die Studie signiert Jörg Gasser höchstpersönlich, der CEO der Bankiervereinigung.

Bei der ideologisch nahen Denkfabrik Avenir Suisse stösst Gasser auf Unverständnis: Forschungsleiter Marco Salvi bezeichnete die Studie auf Twitter als «skurril».

Natürlich möchte die Bankiervereinigung vor allem deshalb höhere Zinsen, weil das ihren Interessen dient: Die tiefen Zinsen untergraben das Kerngeschäft der Banken, das darin besteht, Geld zu verleihen und dafür Zins zu kassieren – das Grundprinzip des Kapitalismus. Trotzdem hat die Bankenlobby recht: Das billige Geld jagt seit Jahren die Preise von Aktien und Immobilien nach oben und führt zu immer höheren Schulden. Irgendwann kommt der nächste Crash. Während Reiche mit Spekulation Milliarden verdienen, schmelzen gleichzeitig in den Pensionskassen die Renten der KleinsparerInnen langsam dahin.

Die Aussage der Bankiervereinigung, wonach die Tiefzinsen unter anderem auf Ungleichheit zurückzuführen sind, ist alles andere als skurril. Der Verband folgt einer Erklärung, die sich in der weltweiten ökonomischen Debatte zunehmend durchsetzt, und zitiert dafür eine Studie der britischen Zentralbank. Die Anhäufung von Vermögen bei Reichen erhöht das Angebot von Kapital, womit der Preis (Zins) dafür sinkt. Gleichzeitig sinkt auch die Nachfrage nach Kapital; unter anderem deshalb, weil wegen der Ungleichheit Staaten und ärmere Haushalte weniger ausgeben und Firmen so weniger investieren. Das zieht den Zins weiter nach unten.

Das viele Geld, das die Zentralbanken weltweit zusätzlich in die Wirtschaft pumpen, sei nur die «Spitze des Eisbergs», wie die Bankiervereinigung schreibt. Aus zwei Gründen können sie kaum anders. Erstens: Ein Grossteil der angehäuften Vermögen wurde an Staaten (die ihre Steuern für Reiche gesenkt haben) und an ärmere Privathaushalte verliehen. Würden die Zentralbanken ihre Zinsen erhöhen, würden einige unter ihrer Schuld kollabieren. Zweitens: Solange der Wohlstand nicht gerechter verteilt wird, bleibt es die Aufgabe der Zentralbanken, mit billigem Geld das Wachstum anzukurbeln – in der Hoffnung, dass etwas davon bei den Ärmeren hängen bleibt.

Solange die Zentralbanken weltweit ihre Zinsen tief halten, muss auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) mitziehen, die seit 2014 von Geschäftsbanken, die bei ihr Geld parkieren, einen Negativzins verlangt. Höbe sie die Zinsen, würde der Franken durch die Decke springen und damit der Exportwirtschaft schaden.

Die Studie der Bankiervereinigung ist erstaunlich, weil die etwa in der «Financial Times» ausgetragenen weltweiten Debatten über die Verwerfungen des Kapitalismus in der Schweiz bisher weitgehend ignoriert werden. Wie in Deutschland hält sich hierzulande der ideologiegetränkte Geist des Wiener Ökonomen Friedrich von Hayek, der für sämtliche Versagen des Kapitalismus den Staat schuldig sprach. So bleibt am Ende auch die neue Studie der Bankiervereinigung darin stecken: Statt bei der sozialen Ungleichheit anzusetzen, um den «Ausstieg aus dem Krisenmodus» zu finden, sieht sie die Verantwortung bei der SNB, die sie zur Abschaffung der Negativzinsen auffordert. Die Industrie werde es verkraften.

Kein Wunder: UBS und CS gehören zur globalen Vorhut des Finanzkapitalismus, die weltweit für deregulierte Finanzmärkte und einen schrankenlosen Steuerwettbewerb kämpft und damit die soziale Ungleichheit befeuert. Die neuen Superreichen in China, Brasilien oder Saudi-Arabien sind ihre KundInnen. Die eigene Verantwortung zu erkennen, ist offenbar ein noch zu grosser Schritt. Doch zumindest liegt nun ein erstes Eingeständnis vor.