Schule: Stolpernd ins digitale Zeitalter

Nr. 44 –

Mit einem Open-Source-Projekt wollte sich die Stadt Bern in der Schulinformatik von grossen Anbietern wie Microsoft lossagen. Eine Reihe von Pannen zeigt nun, dass das gar nicht so einfach ist.

Die Stadt Bern schlägt sich gerade mit einem IT-Grossprojekt herum: «Base4Kids2» heisst es, und es soll die gesamte IT-Infrastruktur in den Stadtberner Schulen erneuern. Auf politischer Ebene ging man dabei einen progressiven Weg. So bewilligte das Stadtberner Parlament 2017 den Projektkredit nur unter der Bedingung, dass, wo immer möglich, Open-Source-Software eingesetzt werden soll. Open Source bedeutet, dass der Quelltext der Software öffentlich zugänglich ist. 2018 wurde das Projekt von der Stimmbevölkerung angenommen.

Das zuständige Schulamt entschied sich schliesslich für eine Lösung der St. Galler IT-Firma Abraxas, die iPads von Apple mit Open-Source-Software kombiniert – der «Bund» sprach bei der Vergabe vom wahrscheinlich grössten Open-Source-Auftrag der Schweiz. Base4Kids2 sieht Tablets für alle Lehrpersonen vor, ebenso leihweise für SchülerInnen ab der siebten Klasse; jüngere SchülerInnen teilen sich jeweils eines. Die Infrastruktur beinhaltet E-Learning, die gesamte innerschulische Kommunikation, Kursverwaltung und Datenablage. Insgesamt werden 7500 Tablets angeschafft, das Projekt soll gut zwölf Millionen Franken kosten. Also alles gut?

Von der Umsetzung enttäuscht

Nun ja: Der Start für Base4Kids2 in den Klassenzimmern war für nach den Sommerferien angesetzt, wurde aber aufgrund von Problemen auf nach den Herbstferien verlegt. Diese begannen bereits mit den ersten Weiterbildungen für die SpezialistInnen Medien und Informatik, jene LehrerInnen, die an den Schulen mit dem IT-Ämtli betraut sind. Laut einem Teilnehmer, der anonym bleiben möchte, «lief die Software bloss als Testversion, mehrere Funktionen waren noch gar nicht in Betrieb».

Und seit dem verzögerten Projektstart vor gut drei Wochen beschweren sich die LehrerInnen. Die WOZ hat mit drei von ihnen gesprochen; keine möchte ihren Namen in der Zeitung lesen – es ist ihnen im Moment zu heikel. Sie erzählen von Problemen bei der Datenübertragung aus dem alten System und von Geräten, die sich immer wieder von selber abmelden. Bei manchen funktioniert die Verbindung zu Drucker und Beamer nicht, andere konnten sich mit ihrer neuen Apple-ID nicht einloggen, teils liess sich das Mailprogramm nicht installieren. Probleme bereitet auch das Textverarbeitungsprogramm Collabora. Es überträgt die Formatierung anderswo verfasster Textdokumente nicht, es fehlen Funktionen wie das Setzen von Tabulatoren, und Tabellen können nur schlecht bearbeitet werden. Einige LehrerInnen haben mittlerweile auf den eigenen Laptop als Arbeitsgerät gewechselt, eine meint, sie verzichte im Moment vollständig auf technische Geräte: «Dann gebe ich halt wieder Schule wie vor zwanzig Jahren.» Ein Spezialist Medien und Informatik sagt, es seien nun mal viele LehrerInnen keine Technerds, die sich gerne stundenlang mit den verschiedenen Funktionen der neuen Umgebung auseinandersetzen und an Problemen herumtüfteln. Das verantwortliche Schulamt habe wenn überhaupt nur kurzfristig über Änderungen, Ausfälle und grössere Probleme informiert.

Letzten Donnerstag hat das Schulamt auf die Beschwerden mit einem Brief an alle Lehrpersonen reagiert. Darin wird das Projekt als riesige Herausforderung beschrieben sowie auf die Einarbeitungszeit verwiesen, «in der alles länger dauert und Ärger entstehen kann». Die Probleme sollen nun Schritt für Schritt angegangen werden. Die Firma Abraxas verweist auf Anfrage derweil für Auskünfte an die Stadt. Dort zeigt sich Jörg Moor, der stellvertretende Leiter des Schulamts, zuversichtlich: «Wir haben die Rückmeldungen ernst genommen und die Ressourcen darauf konzentriert. Ein Grossteil der Probleme konnte bereits behoben werden», ausserdem seien die SchülerInnen mit den Tablets sehr zufrieden.

Dies bestreiten auch die Lehrpersonen im Gespräch mit der WOZ nicht. Sie sind sich einig, dass die Tablets an sich eine Bereicherung für den Unterricht seien, mit denen sich viele neue Möglichkeiten des interaktiven Lernens auftun würden. Enttäuscht sind sie allerdings von der Umsetzung. Dass grosse IT-Projekte erst einmal nicht reibungslos laufen, ist im Grunde nichts Besonderes. Im vorliegenden Fall scheint es vor allem mit der Kommunikation zu hapern. Auf der technischen Seite zeigt sich aber auch die grössere Tragweite des Falls.

Auch Open Source kostet

Mit dem Lehrplan 21 ist der Bereich Medien und Informatik fest in den Lernzielen verankert. Das ist gut und wichtig, doch sind damit auch grundsätzliche Fragen verbunden: Welche Geräte werden gebraucht, und welche AnbieterInnen stellen die Software? Denn nicht nur technisches Verständnis, sondern auch ein kritischer Umgang mit der Infrastruktur sind Teil des Lehrplans. Für die grossen US-Techfirmen wie Microsoft, Google oder Apple sind Schulen ein lukrativer Markt: Die SchülerInnen gewöhnen sich an deren Geräte und deren Software – die Chancen stehen gut, dass sie später dieselben kaufen werden. Wer nicht von den Produkten der Techgiganten abhängig sein will, muss auf eigene Systeme und Open-Source-Lösungen setzen. Das ist herausfordernd.

Der eigentliche Knackpunkt bei vielen IT-Projekten ist die Datenablage: Laut der Konferenz der schweizerischen Datenschutzbeauftragten (Privatim) muss garantiert sein, dass sich die Server, wo Daten aus dem Schulbereich gespeichert werden, in Europa befinden; Microsoft ist der einzige Anbieter, der das garantiert, und wird deswegen von Privatim empfohlen. Viele Schweizer Schulen setzen darum auf die Officelösung von Microsoft. Auch die wird den Erfordernissen des Schulalltags nur bedingt gerecht, funktioniert aber immer noch besser als eine schlecht gebastelte Open-Source-Lösung.

«Damit wirklich auf Open Source gesetzt werden kann, muss relativ viel Geld für Entwicklung, Support und die Ausbildung der Lehrpersonen in die Hand genommen werden», sagt Hanspeter Siegfried, Lehrer für Informatik an der Kantonsschule Zürcher Oberland, der sich seit Jahren mit den IT-Entwicklungen an Schulen auseinandersetzt. «Um wirklich etwas ins Rollen zu bringen, bräuchte es eigentlich kantonale und nationale Anstrengungen.»

Das verwendete Open-Source-Officeprogramm Collabora ist ein gutes Beispiel für die bestehenden Herausforderungen. Collabora gab es bis anhin nicht als App für das Apple-Betriebssystem iOS, die nötig ist, um auf einem iPad offline arbeiten zu können. Für Base4Kids2 wurde die App also extra gebaut. Dass diese an Kinderkrankheiten leidet, ist nicht weiter erstaunlich, nur verunmöglicht das den Lehrpersonen, anständig arbeiten zu können. So stehen die Schulen vor einem Dilemma: Entweder sie setzen auf Komplettlösungen wie jene von Microsoft und können davon ausgehen, dass alles funktioniert – sind dafür aber mit ihrer gesamten IT-Infrastruktur von einer US-Techfirma abhängig. Oder sie setzen auf Open Source – nur wird da der Aufwand oft unterschätzt. Ein Grossprojekt der Stadt München, bei dem die gesamte IT-Umgebung der Stadtverwaltung auf Open Source umgestellt werden sollte, wurde nach einer längeren Pannenserie unterdessen erfolglos aufgegeben.

Bleibt zu hoffen, dass das Projekt in Bern nach der schwierigen Anfangsphase doch noch ins Rollen kommt: «Auch aus pädagogischer Sicht ist es sinnvoll, wenn sich Schülerinnen und Schüler mit den Machtfragen auseinandersetzen, die sich im IT-Bereich stellen», sagt Hanspeter Siegfried.

Nachtrag vom 21. November 2019 : Alles andere als erfolgreich

Eine «Erfolgsgeschichte für die Stadt Bern und ihre Schulen» hätte es werden sollen, schrieb Bildungsdirektorin Franziska Teuscher letzte Woche in einem Mail an alle Schulleitungen. Die Rede ist vom Projekt «Base4kids2», das die Schulinformatik in Berns Schulen umkrempeln will. Lehrpersonen und SchülerInnen wurden mit iPads ausgerüstet. E-Learning, Datenablage, Kursverwaltung und interne Kommunikation sollen über die neue Infrastruktur laufen, für das Gesamtprojekt stehen 24 Millionen Franken bereit.

Teuscher bilanziert nun, dass die Umsetzung «alles andere als erfolgreich» sei. Sie reagiert damit auf Beschwerden von LehrerInnen, die seit dem Projektstart nicht leiser werden. Das Schulamt, zuständig für das Projekt, hatte vor drei Wochen noch abgewiegelt: Man sei zuversichtlich, die meisten Probleme seien schon behoben. Lehrpersonen beschrieben es anders. Sie berichteten unter anderem von Tablets, die sich von selbst abmeldeten oder nicht mit Druckern verbinden liessen, und von Programmen, die nicht funktionierten. Rückendeckung bekommen sie nun durch Teuschers Mail. Darin werden der «grosse Mehraufwand» sowie «Ärger und Verunsicherung» bei den Lehrpersonen bedauert. Neue IT-Projekte verliefen zwar selten einwandfrei, «Base4kids2 sprengt aber den üblichen Rahmen», weshalb Teuscher zusätzliche Massnahmen für unabdingbar halte. Momentan führt das Schulamt eine Umfrage an den Schulen durch – erst danach könnten konkrete Lösungsvorschläge gemacht werden. Das Schulamt wird also weiterhin alle Hände voll zu tun haben. Da kommt es nicht gerade gelegen, dass der technische Leiter, David Grolimund, gekündigt hat: Er wandert nächstens nach Australien aus.

Alice Galizia