GSoA: «Auch der Finanzplatz ist unser Gegner»
Dreissig Jahre nach der Armeeabschaffungsinitiative scheint eine kraftvolle friedenspolitische Vision zu fehlen. Im Gespräch mit der heute aktiven GSoA-Generation herrscht trotzdem Zuversicht – und Kampflust.
WOZ: Nadia Kuhn, Sie sind 22 und seit Anfang November Sekretärin der Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA). Doch die Friedenspolitik treibt heute niemanden mehr auf die Strasse – im Gegensatz zu Klima oder Feminismus. Wieso tun Sie sich diesen Job an?
Nadia Kuhn: Ich bin in der Klimastreikbewegung aktiv und war auch im Zürcher Frauenstreikkollektiv tätig. Das Klima und der Feminismus sind Themen, die mich umtreiben. Und beide Themenbereiche verweisen auch auf die Friedens- und Sicherheitspolitik, wo viele Kämpfe zusammenkommen: Durch die Verschärfung der Klimakrise und die damit einhergehende Ressourcenknappheit wird es zunehmend zu Konflikten kommen. Dieser Komplex weist eine starke Verschränkung mit der Klima- und der Sicherheitspolitik auf. Auf der anderen Seite ist die Armee nach wie vor eine gesellschaftlich prägende Institution, die patriarchal und reaktionär ist und ein entsprechendes Männer- und Frauenbild vorlebt. Mein Engagement bei der GSoA ist von daher natürlich auch feministisch geprägt.
Diese Verbindungen zur Friedenspolitik sind innerhalb der feministischen und der ökologischen Bewegung bisher eher untergegangen.
Kuhn: Das stimmt so nicht. Vor einem Monat haben beispielsweise Aktivistinnen und Aktivisten in Winterthur ein kilometerlanges Panzerdefilee blockiert. Es ging um ein Statement gegen die türkische Militärinvasion in Nordsyrien, wo in Rojava eine feministische und ökologische Alternative aufgebaut wurde. Angesichts dieser Invasion ist es zynisch und deplatziert, eine Militärparade zu veranstalten. Überhaupt zeigt der vielfältige und internationale Protest gegen die türkische Invasion in Rojava, dass viele Menschen nach wie vor friedenspolitisch bewegt sind. Aber letztlich sind soziale Bewegungen nie statisch. Die feministische Bewegung etwa war nach dem Frauenstreik von 1991 sehr stark, aber dann flachte sie gegen Ende des Jahrzehnts ab, obschon gleichstellungspolitische Anliegen nichts an Relevanz verloren hatten: Lohnungleichheit, Sexismus oder Queerphobie, das war ja alles noch immer gegenwärtig.
Lewin Lempert: Zurzeit findet noch kein regelmässiger Austausch zwischen uns und den beiden erwähnten Bewegungen statt. Das ist aber sicher etwas, woran wir arbeiten müssen. Es gibt vielfältige Verknüpfungspunkte, und es wird unsere Aufgabe sein, diese auch darzulegen.
Lewin Lempert, Sie sind 23 und haben die GSoA in den letzten fünf Jahren als Sekretär eng begleitet. Wo steht die Organisation heute? Geht es ihr gut – oder wandern Mitglieder zu anderen Gruppen und Bewegungen ab?
Lempert: Nein, die Zahlen sind stabil, zurzeit haben wir etwa 23 000 Mitglieder und Sympathisantinnen. Wir merken zwar, dass wir einen Teil unserer älteren Aktivistinnen und Aktivisten, die um die Armeeabschaffungsinitiative 1989 aktiv waren, verlieren, aber wir gewinnen auch wöchentlich neue Mitglieder. Ehrlicherweise muss man zugeben, dass die GSoA nicht mehr so stark ist wie 1989, als wirklich eine riesige soziale Bewegung entstanden war. Wir haben uns weiterentwickelt in Richtung einer friedenspolitischen NGO, die innenpolitisch aber durchaus Erfolg hat, beispielsweise mit unserem Referendum gegen den Kauf des Gripen-Kampfjets 2014.
Kuhn: Wir gehen sehr wohl auch in die Offensive. Die GSoA ist Teil einer breiten Allianz, die mit der Korrekturinitiative verhindern will, dass Waffen in Bürgerkriegsländer exportiert werden. Der Bundesrat ist derzeit dabei, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten. Und wir haben gemeinsam mit den Jungen Grünen die Kriegsgeschäfteinitiative eingereicht, die der Nationalbank, Stiftungen und Pensionskassen künftig verbieten soll, in Rüstungsfirmen zu investieren.
Sind das Jahr 1989 und die damalige Initiative zur Abschaffung der Armee, die lange vor Ihrer beider Geburt stattfand, eigentlich innerhalb der GSoA noch ein Thema?
Lempert: Ja, das ist noch immer tief in unsere DNA eingeschrieben. Die damalige Forderung erinnert uns immer wieder an die Radikalität unserer Organisation und an die Hoffnung, die immer noch viele Menschen in uns setzen. Gerade letzte Woche fragte mich ein junger Rekrut am Telefon, wann es denn endlich so weit sei mit der Armeeabschaffung und wo er unterschreiben könne.
Kuhn: Meine zentrale Erkenntnis aus jener Abstimmung ist, dass nicht nur die Mehrheitsverhältnisse an der Urne entscheidend sind. Es ist genauso wichtig, den Diskurs zu verändern und neue Ideen in der Gesellschaft zu verankern. Nach der Ablehnung der Armeeabschaffungsinitiative hatte die Schweiz zwar immer noch eine Armee, aber seither verkleinerte sich ihr Bestand von 700 000 Armeeangehörigen auf aktuell 140 000 Soldaten und Soldatinnen im Effektivbestand.
Vor dreissig Jahren war die GSoA fähig, eine Grundsatzdebatte auszulösen. Heute erscheint eine Schweiz ohne Armee unrealistischer als 1989. Wofür braucht es die GSoA 2019 noch?
Lempert: Die Schweiz steht kurz davor, das grösste Rüstungsprojekt umzusetzen, das dieses Land je gesehen hat. Der Bund will in den kommenden Jahren fünfzehn Milliarden Franken für neue Waffensysteme ausgeben, darunter sechs Milliarden für neue Kampfjets. Vor diesem Hintergrund ist eine referendumsfähige Organisation zentral, um zu sagen: Nein, das nehmen wir nicht hin. Auch die geplanten Verschärfungen, wenn man von der Armee in den Zivildienst wechseln will, werden wir vehement bekämpfen.
Vor fünf Jahren konnte die GSoA den Kampfjetkauf verhindern. Die Ausgangslage war damals günstig: Das schwedische Gripen-Modell war auch armeeintern umstritten, und der damalige Verteidigungsminister Ueli Maurer war fürs linke Lager ein Feindbild. Nun sollen die Stimmberechtigten nur über den Kostenrahmen, nicht aber über das Modell abstimmen. Und die neue Verteidigungsministerin Viola Amherd ist bis weit ins linke Lager hinein beliebt.
Lempert: Grundsätzlich haben die Stimmberechtigten im Mai 2014 Nein zu neuen Kampfjets für drei Milliarden Franken gesagt. Beim aktuellen Geschäft geht es nach aktuellem Stand um sechs Milliarden Franken, also um das Doppelte. Das Finanzargument war in der damaligen Abstimmung entscheidend, wie die Analysen danach ergaben – nicht die Frage des Flugzeugmodells. Und dabei handelt es sich ja auch nicht um eine einmalige Investition: Der Unterhalt und die Nutzung der Kampfjets werden auf die ganze Lebensdauer von etwa vierzig Jahren zwischen zwölf und achtzehn Milliarden Franken zusätzlich kosten.
Kuhn: Die Milliarden Franken für Kampfjets und weitere Waffensysteme werden andernorts fehlen, etwa bei der Bekämpfung der Klimakrise oder in der Bildung und bei der Gesundheit. Ein weiterer wichtiger Punkt ist übrigens, dass Kampfjets äusserst unökologisch sind. Für eine einzige Stunde in der Luft verbraucht ein Kampfjet 5000 Liter Kerosin, das entspricht umgerechnet jener Menge Treibstoff, mit der ein Auto zweieinhalbmal um die Erde fahren kann. Es gibt hier also eine konkrete inhaltliche Verbindung zur Klimabewegung.
Die befürwortende Seite wird argumentieren, dass die Schweiz ohne neue Kampfjets bald keine Luftwaffe mehr haben wird und damit auch ihren luftpolizeilichen Aufgaben nicht nachkommen kann.
Kuhn: Das ist ein Totschlagargument. Für den Luftpolizeidienst braucht es keine hochgerüsteten Kampfjets, dafür reichen viel leichtere und weniger umweltschädliche Flugzeuge. Und für ohnehin fragwürdige Einsätze, wie den Schutz des Weltwirtschaftsforums in Davos, stehen immer noch unsere erst kürzlich nachgerüsteten F/A-18-Jets bereit. Bereits nächsten Monat kommt das Geschäft in den Nationalrat. Vermutlich bleibt es beim Kostenrahmen von sechs Milliarden Franken. Dann werden wir umgehend das Referendum ergreifen.
Das neu gewählte Parlament ist grüner und weiblicher geworden. Könnte sich dadurch in der Sicherheitspolitik nicht etwas ändern?
Kuhn: Die Entwicklung weist in eine positive Richtung, aber trotzdem haben SVP, FDP und CVP im Parlament noch immer eine komfortable Mehrheit. Gerade bei sicherheitspolitischen Fragen agieren diese Parteien, die ich als rüstungsfanatisch bezeichnen würde, als Einheit. Hinzu kommt, dass derzeit Viola Amherd das Verteidigungsdepartement führt, da wird sich die CVP-Fraktion kaum gegen die eigene Bundesrätin stellen. Ich denke, dass Rüstungsgeschäfte im Parlament weiterhin leichtes Spiel haben werden.
Letztes Jahr haben Sie die bereits erwähnte Kriegsgeschäfteinitiative eingereicht, die es den Schweizer Pensionskassen verbietet, künftig in Rüstungsgeschäfte zu investieren. Ist schon klar, wann sie zur Abstimmung kommt?
Kuhn: Die Initiative muss zunächst in der Sicherheitspolitischen Kommission beraten werden und kommt dann vors Parlament. Von daher wird sie frühstens Ende 2020, aber wohl eher 2021 zur Abstimmung kommen. Das wird nicht einfach: Unser Gegner ist der Schweizer Finanzplatz, und das Argument wird – wie so oft – sein, dass die Initiative der Wirtschaft schade. Unser Ziel ist aber auch, ein Problembewusstsein zu schaffen. Wollen die Menschen wirklich, dass die eigene Pensionskasse ihr Geld mit der Herstellung von Waffen verdient? Wissen die Leute, dass der Schweizer Finanzplatz als Ganzes neun Milliarden Franken in Firmen investiert hat, die in die Herstellung von Atomwaffen involviert sind?
Lempert: Interessanterweise erhebt die Klimabewegung eine sehr ähnliche Forderung wie wir bei den Kriegsgeschäften: Der Schweizer Finanzplatz soll raus aus Firmen, die in fossile Energien investieren. Um ökologisch und friedenspolitisch einen Schritt vorwärtszukommen, ist es zentral, beim Kapital anzusetzen. Diese wichtige Debatte nimmt auf jeden Fall Fahrt auf.
Am kommenden Dienstag, 26. November 2019, jährt sich zum 30. Mal die Abstimmung über die Armeeabschaffungsinitiative. Das Jubiläum feiert die GSoA im «Provisorium46» in der Muesmattstrasse 46 in Bern. Der Anlass beginnt um 18.30 Uhr, es reden die Historikerin Elisabeth Joris, GSoA-Sekretärin Magdalena Küng und das damalige Initiativkomiteemitglied Jo Lang. Der Anlass wird von einer Ausstellung umrahmt.