Kriegsgeschäfte-Initiative: «Das grenzt an bewusste Täuschung»
SP-Sicherheitspolitikerin Priska Seiler Graf hält den GegnerInnen der Kriegsgeschäfte-Initiative vor, mögliche Konsequenzen für die heimische Rüstungsindustrie stark zu dramatisieren.
WOZ: Priska Seiler Graf, in zwei Wochen stimmen wir über die KGI, die Kriegsgeschäfte-Initiative, ab. Diese will den Pensionskassen und der Nationalbank verbieten, Geld in Firmen zu investieren, die Kriegsmaterial herstellen. Das Anliegen scheint die Öffentlichkeit und die Politik nicht annähernd so umzutreiben wie die Kampfjets vor zwei Monaten. Woran liegt das?
Priska Seiler Graf: Es ist tatsächlich ruhiger als bei den Kampfjets. Im damaligen Abstimmungskampf erhielt ich fast täglich Presseanfragen, während ich bis jetzt nur selten zur Kriegsgeschäfte-Initiative angefragt wurde. Ein Grund dürfte sein, dass diese Vorlage weniger konkret fassbar ist als der Kauf neuer Kampfjets. Dabei halte ich die friedenspolitische Wirkung der KGI für höher. Zurzeit investieren die Pensionskassen und die Schweizerische Nationalbank, die ja gewissermassen Volksvermögen verwalten, mehrere Milliarden Schweizer Franken in Konzerne, die Kriegsmaterial produzieren, und damit in die globale Aufrüstung. An diesem wirkungsvollen Hebel setzt die Initiative an.
Stichwort Volksvermögen: Das gegnerische Lager behauptet, die KGI beschränke die Anlagemöglichkeiten der Pensionskassen sowie der Nationalbank. Insofern sei sie eine Gefahr für unser Kapital.
Wir sollten uns stets die Relationen vor Augen halten. Die Rüstungsindustrie macht innerhalb des globalen Börsenvolumens nur einen minimalen Anteil im tiefen einstelligen Prozentbereich aus. Es ist keinesfalls so, dass plötzlich relevante Anlagemöglichkeiten wegbrechen würden. Hinzu kommt, dass von Verbraucherseite bereits ein gewisser Druck auf Finanzakteure besteht, in nachhaltige Fonds zu investieren. Und diese bringen ja nachweislich nicht weniger Rendite als Fonds, die Rüstungskonzerne umfassen. Es gibt eine wachsende Infrastruktur an nachhaltigen Fonds, man muss nicht bei null anfangen.
Das nicht, aber ein bürokratischer Mehraufwand wäre vorhanden, wie das gegnerische Lager ins Feld führt.
Ja, um Himmels willen, natürlich wäre er das. Die Pensionskassen und die Nationalbank müssten analysieren und kategorisieren, welche Konzerne mehr als fünf Prozent ihres Jahresumsatzes mit der Herstellung von Kriegsmaterial erzielen. Das ist ja die Grenze, die die Initiative setzt. Dass die Pensionskasse der Stadt Zürich schon länger nur noch in nachhaltige Anlagen investiert, zeigt, dass der Aufwand absolut machbar ist. Vor wenigen Tagen hat übrigens die Stadt Lausanne entschieden, mit ihrer Pensionskasse genauso vorzugehen. Und: Die Umstellung sei kein Problem gewesen.
Kommen wir zum Totschlagargument schlechthin: Die Initiative schade der Schweizer Wirtschaft, insbesondere den KMUs. So steht im offiziellen Abstimmungsbüchlein, dass rund «3000 Zulieferbetriebe» von der Initiative betroffen sein könnten. Wir können uns diese enorm hohe Zahl – aufgrund der erstmals zur Verfügung stehenden Daten zu den Kriegsmaterialproduzenten, die wir in unserem Rüstungsreport (siehe WOZ Nr. 29/2020
) publizierten – nicht erklären. Vielleicht können Sie das?
Nein. Auch ich kann mir diese Zahl nicht erklären. Sie stammt von Swissmem, dem Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. Solange keine saubere Beweisführung vorliegt, entbehrt diese Zahl jeglicher Grundlage. Ein Punkt ist nämlich ganz zentral bezüglich der KGI: Es geht ausschliesslich um Kriegsmaterial, also um Waffen, Waffensysteme oder Munition. Daneben gibt es zwei weitere Kategorien von Rüstungsgütern, die von der Initiative in keiner Weise betroffen sind. Einerseits die sogenannten Dual-Use-Güter, die sowohl militärisch wie auch zivil genutzt werden können – also die berühmte Schraube, die sowohl in einen Panzer wie auch in ein Auto eingebaut werden kann. Und dann gibt es andererseits die wirklich problematische Kategorie der besonderen militärischen Güter, der BMG, die zwar für militärische Zwecke konzipiert wurden, aber keine eigentlichen Waffen sind. Wirft man alle drei Kategorien – Kriegsmaterial, besondere militärische Güter und Dual-Use-Güter – in einen Topf, ist die Zahl von 3000 Firmen allenfalls realistisch, aber das ist in Bezug auf die Kriegsgeschäfte-Initiative schlicht nicht legitim. Das grenzt an bewusste Täuschung. Ich stelle jetzt mal die etwas kühne Behauptung auf, dass die Komplexität innerhalb des Rüstungsbereichs durchaus gewollt ist.
Was genau halten Sie denn für problematisch an der Kategorie der besonderen militärischen Güter?
Meiner Ansicht nach dürfte es diese Kategorie gar nicht geben. Denn auch wenn es sich bei den besonderen militärischen Gütern nicht um Explosivwaffen handelt, sind es doch eindeutig Güter, die explizit militärisch genutzt werden. Das heisst, auch sie müssten konsequenterweise dem Kriegsmaterialgesetz unterstellt sein. Exemplarisch dafür sind für mich die Trainingsflugzeuge der Stanser Firma Pilatus, die als BMG kategorisiert sind. In den letzten Jahren sind Dutzende solche Flugzeuge, die zum Training für Kampfpiloten eingesetzt werden, nach Saudi-Arabien exportiert worden. Wären sie dem Kriegsmaterialgesetz unterstellt, wäre das Geschäft angesichts der Beteiligung Saudi-Arabiens am Jemenkrieg mutmasslich nicht bewilligt worden, denn die aussenpolitischen Grundsätze der Schweiz müssten zwingend gewahrt und mitberücksichtigt werden. Ich arbeite diesbezüglich gerade einen politischen Vorstoss aus.
Kommen wir zum Schluss nochmals auf die Kampfjets zu sprechen: Haben Sie die unfassbar knappe Abstimmungsniederlage schon verdaut?
Die Kampfjetbefürworter stilisierten die Abstimmung ja zur Schicksalsfrage über die Zukunft der Armee hoch. Dass sich 49,9 Prozent der Stimmberechtigten gegen den Kauf neuer Kampfjets aussprachen – und damit letztlich auch gegen die Armee, wenn man der Interpretation der Befürworter folgt –, war eine heftige Blamage. Dabei ist es in der Schweiz üblich, gerade im Fall eines solchen Zufallsentscheids, nach der Abstimmung auf die Verlierer zuzugehen und zu fragen, wie man sie abholen könnte. Das ist in keiner Weise passiert. Im Gegenteil: Ihr habt verloren, jetzt haltet gefälligst den Mund, das war die Rückmeldung. Das ärgert mich sehr. Insbesondere von Verteidigungsministerin Viola Amherd hätte ich eine andere Reaktion erwartet. Es ist ein Verhalten, das uns in naher Zukunft nicht gross zur Kooperation animiert.
Die Initiative
Die Kriegsgeschäfte-Initiative wurde von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) und den Jungen Grünen lanciert. Sie verlangt, dass die Nationalbank, die Pensionskassen, die AHV sowie Stiftungen keine Firmen mehr finanzieren dürfen, die mehr als fünf Prozent ihres Umsatzes mit Kriegsmaterial machen. Der Bund soll sich zudem auf nationaler und internationaler Ebene dafür einsetzen, dass auch für Banken und Versicherungen entsprechende Bedingungen gelten. Für die Initiative sprechen sich SP, Grüne, EVP sowie die Gewerkschaften aus, dagegen sind SVP, FDP, CVP, GLP und BDP sowie die Wirtschaftsverbände.