GSoA: Frieden im Krieg

Nr. 47 –

Vor einem Vierteljahrhundert löste die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee mit ihrer Abschaffungsinitiative ein politisches Erdbeben aus. Wo steht die Friedensorganisation heute? Wo setzt sie Schwerpunkte?

«Eine Schweiz ohne Armee bleibt nach wie vor ein Hauptanliegen»: Die drei GSoAtInnen Nikolai Prawdzic, Nora Komposch und Stefan Dietiker auf dem Zürcher Helvetiaplatz.

Es gibt in der Schweiz kaum eine politische Organisation, die so häufig verloren hat wie die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA). Aber auch kaum eine hat so viel verändert. Der 26. November 1989 steht exemplarisch dafür. Damals stimmten rund 36 Prozent der Abstimmenden, mehr als eine Million Menschen, der Abschaffung der Schweizer Armee zu. Auf dem Papier eine klare Niederlage, in der Wirkung aber ein politisches Erdbeben: Der einst alles beherrschende gesellschaftliche und politische Einfluss der Institution Armee begann, unaufhaltsam zu bröckeln. Nicht zuletzt, weil die GSoA ihre Politik seither unbeirrt fortgesetzt hat. In diesem Frühjahr sogar erstmals mit einem Erfolg an den Urnen: Der Kauf der schwedischen Gripen-Kampfjets ist klar verhindert worden.

Nora Komposch, Nikolai Prawdzic und Stefan Dietiker waren 1989 noch nicht geboren oder steckten in den Windeln. Heute bilden sie die Herzkammer der wichtigsten Friedensorganisation der Schweiz. Sie arbeiten zusammen mit drei weiteren KollegInnen auf dem GSoA-Sekretariat (Seki) und halten die basisdemokratische Organisation mit ihren 25 000 Aktivistinnen und Sympathisanten, die ausschliesslich aus Spenden finanziert wird, am Laufen – und dies in der mittlerweile siebten Generation. Die erfolgreiche Kampagne gegen den Gripen-Kauf haben sie mitgetragen. «Das sind zehn Milliarden Franken, die nicht an einen Rüstungskonzern fallen», sagt Komposch stolz. Und Prawdzic erwähnt das Abstimmungsfest, bei dem eine ältere Friedensaktivistin erzählte, sie habe ihr friedenspolitisches Engagement mangels Erfolg schon aufgeben wollen; umso schöner sei nun dieser lang ersehnte Sieg.

Auf vielfältigen Wegen in die GSoA

Die Biografien von Komposch, Prawdzic und Dietiker sagen viel aus über den aktuellen Zustand der GSoA. Alle drei sind jung und leben in einem urbanen Milieu. In der Armee hat niemand von ihnen gedient, Prawdzic und Dietiker haben beide Zivildienst geleistet. Die insgesamt 165 Stellenprozente im sechsköpfigen Seki teilen sich drei Frauen und drei Männer. In den achtziger Jahren waren Frauen noch klar in der Minderheit. Die GSoA war damals viel stärker auf die Armee und somit auf die Innenpolitik ausgerichtet, während nach 1989 zunehmend die globale Friedenspolitik in den Fokus rückte. «Aber keine Sorge, eine Schweiz ohne Armee bleibt nach wie vor ein Hauptanliegen», sagt Nora Komposch. Konkret gehe es heute darum, die Frage nach den Aufgaben der Armee zu stellen: «Braucht es sie für den Katastrophenschutz? Nein, das kann auch eine zivile Organisation», sagt Nikolai Prawdzic.

Die Wege von Komposch, Prawdzic und Dietiker in die GSoA waren vielfältig. «Ich unterrichte Deutsch an der Autonomen Schule Bern. Viele Kursbesucher sind Kriegsflüchtlinge. Die Schweiz ist ein Land, das Waffen exportiert. Dieser Zusammenhang hat mich zur GSoA gebracht», sagt die 21-jährige Komposch. Prawdzic hat über sein Engagement im jüdischen Jugendbund Hashomer Hatzair zur GSoA gefunden: «Der Israel–Palästina-Konflikt ist eine einzige Spirale der Gewalt. Die Auseinandersetzung mit dem Thema führte unweigerlich zur Friedensfrage und dann zur GSoA», erzählt der 24-Jährige. Dietiker schliesslich wollte als Gymnasiast eine Initiative zur Dienstpflicht lancieren und kam so vor sechs Jahren in Kontakt mit der Friedensorganisation, die damals ihre Initiative zur Aufhebung der Wehrpflicht startete.

Die drei GSoA-Epochen

Wenn es eine Person gibt, die die GSoA seit ihrer Gründung 1982 mitprägt, ist es Josef Lang. Der Vizepräsident der Schweizer Grünen hat zwar «noch nie einen Rappen» von der Organisation erhalten, war aber an allen politischen Vorstössen, Initiativen und Abstimmungskämpfen in den letzten drei Jahrzehnten beteiligt. Als Vorstandsmitglied steht er auch mit dem aktuellen Seki-Team in regem Austausch.

Josef Lang teilt die Geschichte der GSoA in drei Epochen von je gut einem Jahrzehnt ein. Am Anfang stand das «bewegte Jahrzehnt». «In den achtziger Jahren war die Armee so etwas wie die Seele der Nation mit einem unglaublichen Gewicht als Institution», sagt der Sechzigjährige. Der Kampf gegen die Armee sei deshalb auch als geistige Befreiung von diesem militärisch-ideologischen Komplex angelegt gewesen. «Zudem war die Betroffenheit in der Bevölkerung weit grösser als heute: Es gab damals ja keinen Zivildienst, und Tausende junge Männer mussten wegen Dienstverweigerung in den Knast.» Die Armeefrage habe die Leute bewegt, entsprechend gross sei die Unterstützung beziehungsweise die Ablehnung gewesen.

«Trotzdem deutete 1988 noch nichts auf unseren grossen Erfolg hin. An einer Retraite auf der Rigi hatten wir gewettet, wie viele Prozent die Initiative erreichen würde», erzählt Lang. «Ich tippte auf 22,22 Prozent, die Jüngeren waren etwas optimistischer, aber kaum jemand setzte auf mehr als 30 Prozent.» Schliesslich kam ihnen der Lauf der Geschichte zu Hilfe: Zweieinhalb Wochen vor der Abstimmung fiel am 9. November 1989 die Mauer zwischen Ost und West. «Eine Epochenwende», sagt Lang, «und wir waren mit der Schlüsselfrage präsent: ‹Braucht es die Armee noch?» Drei Jahre später folgte der Bruch, als Ende 1992 die EWR-Abstimmung verloren wurde und in Jugoslawien verschiedene Kriege geführt wurden – zwei Ereignisse, «die den Pazifismus in eine Krise führten».

Für die GSoA begann ein «schwieriges Jahrzehnt». Die Lancierung einer zweiten Armeeabschaffungsinitiative 1998 spaltete die GSoA-Spitze ebenso, wie es die Haltung zum völkerrechtswidrigen Nato-Einsatz im Kosovo 1999 tat. Immerhin war die Gruppe in jenen Jahren eine treibende Kraft bei der Lancierung der letztlich erfolgreichen Abstimmung zum Uno-Beitritt. Der Tiefpunkt war am 2. Dezember 2001 erreicht, als nur gerade 22 Prozent der Abstimmenden der Armeeabschaffungsinitiative zustimmten. «Der Lauf der Geschichte war dieses Mal nicht auf unserer Seite», so Lang. Diese Abstimmung fand kurz nach den Anschlägen vom 11. September statt.

Mit dem Protest gegen die Kriege in Afghanistan und im Irak begann ab 2003 das «aktivste Jahrzehnt» der Friedensorganisation: Neben dem erfolgreichen Gripen-Referendum war die GSoA in dieser Zeit massgebend an den – allerdings gescheiterten – Initiativen für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten, für die Aufhebung der Wehrpflicht und für den Schutz vor Waffengewalt beteiligt. «Jene Kriege haben eine ganze Generation von jungen Leuten politisiert. An die damaligen Friedensdemos in Bern kamen bis zu 40 000 Menschen.» Und die GSoA habe über 60 000 Friedensfahnen verkauft. «Unser Büro in Zürich glich einem Ameisenhaufen.»

Wohin die GSoA in der nun angebrochenen vierten Epoche steuert, ist für Josef Lang noch nicht absehbar. Der altgediente Friedensaktivist erkennt aber Parallelen zur zweiten Epoche, denn auch heute «steht der Pazifismus angesichts der Ukrainekrise sowie der katastrophalen Lage im Nahen Osten vor schwierigen Fragen». Umso unerlässlicher bleibe eine aktive Friedenspolitik und eine klare Absage an Waffenlieferungen und -käufe.

Gedenken an Max Daetwyler

Nach den zuletzt anstrengenden Jahren mit vielen Abstimmungskämpfen ist bei der GSoA erst mal Luftholen angesagt. Gerade erarbeitet das Seki zusammen mit engagierten AktivistInnen eine strategische Auslegeordnung. Fünf Arbeitsgruppen widmen sich je einem inhaltlichen Schwerpunkt: Erster Weltkrieg, Rüstungsindustrie, Aufstandsbekämpfung, Luftwaffe und Zivilklausel, also die Selbstverpflichtung von Hochschulen, ausschliesslich für zivile Zwecke zu forschen – eine Klausel, die beispielsweise in Deutschland bereits an mehreren Unis gilt.

«Lasst uns auf den Helvetiaplatz gehen», schlägt Stefan Dietiker am Ende des Gesprächs vor, als der Fototermin mit der WOZ ansteht. Dort habe der Pazifist Max Daetwyler am 15. November 1917 eine Kundgebung zur Beendigung des Krieges organisiert und dazu aufgerufen, Munitionsfabriken stillzulegen. «Daetwyler ist ein Vorbild», sagt Dietiker, während Nikolai Prawdzic auf dem Weg zum Helvetiaplatz von seinem GSoA-Wunschprojekt spricht: «Eine Initiative, die es den Schweizer Banken und Pensionskassen verbietet, in Rüstungsgeschäfte zu investieren.»

Die GSoA feiert am kommenden Sonntag, 
23. November 2014, in Bern ein Fest unter dem Motto «Frieden im Krieg. Gestern. Heute. Morgen». 
Der Journalist und WOZ-Autor Andreas Zumach hält einen Vortrag zum Thema «Krieg und 
Frieden heute».

Bern, 5ème Etage, Mühlenplatz 11, 
So, 23. November 2014, 15–20 Uhr.