Auf allen Kanälen: Porno aufs Ohr
Braucht jedes Medienunternehmen heute einen Sexpodcast? Tamedia versuchts mit einer Datingkolumnistin, die Promis interviewt.
Ein paar wichtige Enthüllungen vorweg: Der Schauspieler Joel Basman kaut Fingernägel, darum sehen wir in den Filmen nie seine Hände. Anna Rosenwasser, Kopräsidentin der Lesbenorganisation Schweiz, findet an Rotwein alles gut ausser dem Alkohol. Und der Satiriker Viktor Giacobbo ging vor Jahren eine Scheinehe mit einer lesbischen Freundin ein, damit diese in der Schweiz bleiben konnte (aber das haben Sie vermutlich schon anderswo gehört oder gelesen).
Der neue Tamedia-Podcast «Wahrheit, Wein und Eisenring» will nichts weniger als das «ehrlichste Gesprächsformat der Schweiz» sein. Die Kolumnistin und Autorin eines Datingbuchs Yvonne Eisenring redet in einer Bar mit Schweizer Prominenten über angebliche Tabuthemen, die Interviewten ziehen Karten mit Stichworten: Geld, Gefühle oder natürlich, wenn es ganz ehrlich sein soll, Sex.
Rosenwasser findet sexuelle Fantasien und Fetische zwar ganz aufregend, aber es kommen ihr dann doch nur ein paar Plattitüden dazu in den Sinn. Fantasien seien nicht immer ein Hinweis darauf, dass man etwas tatsächlich tun wolle, aber manchmal eben doch. Und Basman mag es gar nicht, wenn man ihm beim Sex ins Gesicht pinkelt, aber das habe ihn auch noch nie jemand gefragt, weil er solche Dinge jeweils gleich klarstelle. Bei Giacobbo hat man kurz den Eindruck, hier könnte es um etwas gehen, als er sich beim Thema Geheimnisse verheddert. Aber er will dann doch nicht sagen, was für persönliche Passionen das sind, die er auch einer Partnerin nicht erzählen würde.
Geschlecht und Gefühl
Mittlerweile hat fast jede Publikation ihre eigene Sexkolumnistin oder ihren eigenen Sexpodcast. Da gibt es für alle das passende Angebot: Beim «Blick» steht die Psychologin Caroline Fux bei intimen Problemen beratend zur Seite, bei «Watson» nimmt Emma Amour ihren LeserInnen mit Peinlichkeiten und Banalitäten die Angst, bei «Zeit Online» läuft der Podcast «Ist das normal?» ganz sachlich im Ressort Wissen, und SRF behandelt die weibliche Sexualität mit dem Podcast «Untenrum» im Kulturprogramm. Trotzdem hält sich Sex als Thema in einer seltsamen Ambivalenz: Er verkauft sich und ist deshalb omnipräsent, bewahrt aber gleichzeitig wacker eine Aura des Tabus und der Wahrhaftigkeit.
Wie man bei «Wahrheit, Wein und Eisenring» gut hören kann, folgt aus Sex noch lange keine Intimität oder überhaupt eine Art von Erkenntnis. Was jemand als intim empfindet, ist ja schon mal sehr individuell – da kann Basman lange sagen, wie unangenehm ihm das mit seinen Fingernägeln sei. Die interessanteren Formate zeigen, dass die Kunst vor allem darin besteht, eine Sprache für Sex zu entwickeln. Während etwa die beiden Macherinnen des inzwischen trotz seines Erfolgs leider eingestellten Sexpodcasts «Besser als Sex» derb und ohne Umwege ins Detail gingen, reden Charlotte Roche und ihr Mann in ihrem Beziehungspodcast «Paardiologie» eher liebevoll und verspielt. Und wenn man etwas herausfinden will, kommt man sowieso irgendwann von den Geschlechtsteilen zu den: Gefühlen!
Gegenwelt zum Visuellen
Doch natürlich ist das Reden über Sex auch Porno. Neben dem Bedürfnis, die eigenen Ängste besser einzuordnen oder neue Sextechniken zu lernen, funktioniert die Beschreibung von Sex auch einfach zur Anregung von Vorstellungen. Und was eignet sich dazu besser als der Podcast, der ja an sich schon Intimität suggeriert, wenn man sich im Tram oder beim Gemüserüsten einer vertrauten Stimme hingibt.
Und vielleicht zeigt sich in der Popularität von Sexpodcasts auch das Bedürfnis nach einer Gegenwelt zur übermächtigen, von sexistischen Klischees dominierten visuellen Kultur. An den diesjährigen Porny Days, dem kunst- und queeraffinen Zürcher Pornofestival, gab es zum Beispiel auch einen Workshop, wo man eigene Audiopornos aufnehmen konnte. Mit wenigen Minuten Tonspur erreichten diese LaiInnen ungleich mehr Intimität als Eisenring und ihre spröden Promis in bisher 130 Minuten Podcast – Wahrheit hin oder her.