Durch den Monat mit Anna Rosenwasser (1): Aber die Leute aus Wittnau sind schon auch willkommen?

Nr. 36 –

Wenige Tage nach ihrem Stellenantritt als Geschäftsleiterin der Lesbenorganisation Schweiz ist Anna Rosenwasser schon voll mit Medienarbeit beschäftigt: Kommendes Wochenende findet im aargauischen Wittnau das erste Queer Youth Festival der Schweiz statt.

Anna Rosenwasser: «Es ist ein queerer Anlass, und darum gehört da Zootierchenneugier definitiv nicht hin.»

WOZ: Anna Rosenwasser, Sie sind bisher vor allem in der Milchjugend aktiv gewesen, der Bewegung, die lesbische, schwule, bi-, trans- und asexuelle Jugendliche, also LGBTs vereint. Werden Sie als bisexuelle Geschäftsleiterin bei der Lesbenorganisation Los nicht gegen Mauern anrennen?
Anna Rosenwasser: Ich vermute, dass ich ein bisschen anecken werde. An der ersten Retraite habe ich aber erlebt, dass die Los wahnsinnig offen ist. Dass sie eine 27-Jährige in diese Position bringt, beweist sowieso eine gewisse Offenheit.

Ihnen ist also vermittelt worden, dass Sie die Los verjüngen sollen?
Der Altersdurchschnitt unserer 900 Mitglieder ist tatsächlich recht hoch. Ich habe den Eindruck, dass die Los mit ihrem bisherigen Konzept von «Lesbe» nicht viele junge Frauen erreicht. Ein verdientes Mitglied sagte mir kürzlich, es sei umstritten, ob eine Transfrau lesbisch sein könne. Natürlich wird man als Transfrau anders sozialisiert als eine Cis-Frau, die ihre Identität über das Geschlecht definiert, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. Aber trotzdem sind Transfrauen Frauen.

Das tönt, als erwarte Sie nur schon intern viel Überzeugungs- und Vermittlungsarbeit.
In der offiziellen Haltung ist die Los weiter: «Die LOS engagiert sich für die Sichtbarkeit und Rechte der homo- und bisexuellen Frauen*.» Zugesagt habe ich, weil solche Diskussionen geführt werden müssen und ich ehrlichen Diskussionswillen erlebe.

Gehören interne Debatten zum Kerngeschäft der Geschäftsleitung?
Nein, ich erwarte, dass meine Tage von Medienarbeit geprägt sein werden. Mit meiner journalistischen Erfahrung kann ich mich vor allem bei der Medienerziehung voll einbringen. Es erscheinen ja noch immer Artikel zu Homothemen, die konsequent von «den Schwulen» sprechen. Es geht also auch um die Sichtbarkeit von Frauen – ein klassisches Feminismusthema. Ausserdem erwartet man in der Los, dass ich die Beziehungen zu Pink Cross und dem Transgender Network Switzerland TGNS vitalisiere. Das wird relativ einfach sein: Beide Organisationen haben neue Geschäftsleitungen, und der neue stellvertretende Geschäftsführer bei Pink Cross kommt aus dem Milchjugend-Vorstand.

Sie sind seit drei Jahren aktiv in der Milchjugend. Werden Sie sich jetzt aus dieser Bewegung zurückziehen?
Zwei Tage Studium, drei Tage Geschäftsleitung, Freizeit: Ja. Bei der Milchjugend werde ich langsam kürzertreten. Keine Jugendbewegung soll von einer Balddreissigjährigen dominiert werden. Aber vorerst bin ich noch mitten in der Medienarbeit für das Lila, das erste queere Festival der Schweiz. Das macht mir Spass – aber es nervt mich, dass ich mich auch um die Werbung kümmern muss. Das Prinzip von Werbung stört mich an sich. Ich brauche nichts, das mir neue Bedürfnisse verschafft. Noch viel stärker missfällt mir, selber Werbung zu machen. Davor bin ich als Journalistin gefeit, als Aktivistin nicht.

Das Festival findet im aargauischen Wittnau statt, das nicht für eine LGBT-Community bekannt ist.
Wittnau ist einfach der Ort, an dem wir das Feld bekommen haben.

Trotzdem gab es kürzlich einen Begegnungsapéro. Haben Sie die Erwartung, dass das Festival auch einen Austausch mit den Leuten aus dem Dorf ermöglicht?
Wenn man an einem Ort lebt, wo Queers nicht präsent sind und plötzlich ein Queer Youth Festival stattfindet, will man wissen, wer das ist. Dafür gab es den Apéro, da war das Zootierchensein für einmal legitim.

Konsensuelles Zootierchensein?
Ja, aber anders als in neunzig Prozent der Situationen, in denen LGBTs zu Zootierchen gemacht werden. Wenn ich mit meiner Freundin knutsche und uns alle anstarren – im vollen Bewusstsein, dass wir ihr Starren bemerken –, ist das erniedrigend. Mit dem Apéro wollten wir Neugierde stillen und Vorurteile abbauen. Damit die Wittnauerinnen und Wittnauer zumindest erleben konnten, dass LGBTs real sind. Allein das wäre ausreichend. Die Leute müssen mich nicht nett finden. Ich muss nicht um ihre Toleranz betteln. Ich fordere ihre Akzeptanz.

Aber die Bevölkerung ist am Lila schon auch willkommen?
Natürlich darf sie uns besuchen. Aber es ist ein queerer Anlass, darum gehört da Zootierchenneugier definitiv nicht hin. Auf die queere Haltung als Grundkonsens freu ich mich noch mehr als auf Rapperin Sookee. Die nach aussen getragene und nach innen gelebte Queerness prägt jeden LGBT-Anlass – sogar die kommerzialisierte Pride. Jeder queere Anlass ist durch seine schiere Existenz ein politisches Statement.

Und die Werbung, die Sie nervt, vergrössert die Reichweite des Statements.
Auf alle Fälle. Solange wir als Abweichung wahrgenommen werden, muss unser Dasein auch eine politische Dimension haben. Wenn ich knutsche, ist es politisch, ob ich will oder nicht. Ich warte drauf, dass es eines Tages nicht mehr politisch sein muss.

Anna Rosenwasser (27) studiert Politikwissenschaft in Zürich und schrieb bis vor kurzem für die «Schaffhauser Nachrichten».

Lila, Queer Youth Festival, in Wittnau AG. Fr–So, 8.–10. September 2017. www.milchjugend.ch/lila