Pop: Der skurrile Zauber der Sparks
Gleich zwei aktuelle Filme nehmen sich einer der seltsamsten Bands der Welt an: The Sparks. Trotz prominenter Fans und einiger Hits ist das Duo faszinierend unbekannt.
Was man auch immer von den ablaufenden zwölf Monaten halten mag: Es war ein Jahr der Sparks.
Schon allein, dass die Brüder Ron und Russell Mael, das Duo hinter dem Bandnamen, in diesem Jahr den 50. Jahrestag ihres Debütalbums «Halfnelson» begehen konnten. Noch schöner jedoch, dass sich der 76-jährige Ron und der 73-jährige Russell über gleich zwei grosse Momente auf der Kinoleinwand freuen durften. Fast schüchtern, aber sichtlich stolz standen sie im Sommer neben Adam Driver, Marion Cotillard und Regisseur Leos Carax auf dem Premierenteppich von Cannes, wo Carax’ Musical «Annette» die Filmfestspiele eröffnete – nach ihrem Drehbuch und mit ihrer Musik.
Dabei haben sich vermutlich nicht nur jüngere Zuschauer:innen gefragt, was es mit den beiden älteren Herrschaften auf sich hat. Trotz ihrer langen Karriere und sogar sparsam in der Zeit verteilter Hits sind die Sparks kein geläufiger Name. Sowieso nicht in ihrer Heimat USA, die sie in den frühen Siebzigern verliessen, weil sie vermuteten, dass ihr Art-Pop bei den exzentrischen Brit:innen besser aufgehoben sei – aber auch nicht in Europa, wo sich ihre Vermutung immerhin gelegentlich bestätigte.
Purzelndes Material
Warum die Sparks dennoch von vielen Menschen und noch mehr Kolleg:innen verehrt werden, das erklärt der andere neue Film. Mit «The Sparks Brothers» hat der britische Regisseur Edgar Wright («Shaun of the Dead», «Last Night in Soho») eine atemlose, zweieinhalbstündige Dokumentation über die Maels gedreht, als im Film erklärter «Fanboy». Enorm unterhaltsam scheucht er uns darin durch das Leben der beiden, chronologisch von der Kindheit im poshen Teil von Los Angeles über die 25 Alben bis zur Arbeit an «Annette» – mit trocken lächelnder Distanz kommentiert von den Brüdern selbst und geboostert durch zahllose, knappe Statements von Sex Pistol Steve Jones zu Thurston Moore, von Björk zum aktuellen Produzentenstar Jack Antonoff. Wright sprengt die konventionelle Linie horizontal durch rasend purzelndes multimediales Material, durch animierte Zeichnungen, Collagen und Knetfiguren, zeitgenössische Zeitungs-, Magazin- und Filmausschnitte und nicht zuletzt die bizarren Performances, Plattencovers und Videos der Band selbst.
Wie dem Auftritt von 1974 im britischen TV, wo die Sparks mit «This Town Ain’t Big Enough for Both of Us» ihren ersten Hit vorstellten. John Lennon war so beeindruckt, dass er gleich seinen ehemaligen Mit-Beatle Ringo Starr anrief: «Sofort ‹Top of the Pops› anschalten!», sagte er am Telefon, «Marc Bolan spielt einen Song mit Adolf Hitler.» Die Anekdote wird im Film durch knorrige Knetfiguren erzählt; falls sie stimmt, sah Lennon damals einen sehr hübschen, spindlig androgynen Wuschelkopf, der zappelnd ein überdrehtes Falsettstakkato sang, während ein hagerer Buchhaltertyp mit, je nun, Chaplinschnäuzchen verklemmt aufs Keyboard hackte – heute gehört die optisch stabile Paarung längst zur Ikonografie der Popmusik.
Verändert hat sich indes die Musik. «This Town …» ist ein Glamrockklassiker, der die schrill-barocke Spätphase von Queen zur Zeit von «Bohemian Rhapsody» vorwegnimmt, die im Film auf einer Anzeige als Vorband der Sparks auftauchen. Der nächste Sparks-Hit jedoch, «Number One Song in Heaven», kommt schon als voll synthetische Eurodisco daher. Durch eine kleine Hochstapelei hatten sie Giorgio Moroder als Produzenten gewonnen und in seinem Münchner Studio gleichsam Donna Summers offensive Erotik durch Russells geschraubtes Falsett ersetzt – ein frühes Meisterwerk des Synthiepop, dessen Einfluss in Wrights Film britische Genregrössen von New Order zu Erasure bezeugen.
«Slightly horny»
Seither oszillieren die beiden zwischen den Polen, mal eher indierockig, mal noch theatralischer, mal orchestral aufgepumpt, stets fröhlich unberechenbar. Dies erklärt zum Teil den unberechenbaren Erfolg. Dass unter ihren über 300 Songs auch etliche nicht so gut oder nur anstrengend übertourig gelangen, half wohl auch nicht. Humor, Sarkasmus und lyrische Distanz sind schliesslich traditionell ein Hindernis auf dem Weg in die Charts.
Schon «This Town …» macht sich trotz des Machoanspruchs im Titel über die rockende Männlichkeit lustig – schwul, wie viele glauben, sind die beiden aber nicht. Im Film antworten die Sparks auf die Frage nach der Orientierung: «Slightly horny» (Leicht geil). In ähnlich seitflüchtiger Weise amüsieren sie sich in Text und Bild über soziale und künstlerische Konventionen und Rollen, über Institutionen wie Religion, Ehe und Sex – und über sich und ihre Karriere, in der jedem Höhenflug eine Bruchlandung folgte. Sie inszenieren sich als Muskelmänner, Entführungsopfer, Bauchrednerpärchen, Gaultier-Matrosen und Brautpaar, mit einem entzückend skeptischen Ron als Braut in Weiss. Zwischen Andy Warhol und Cindy Sherman sind die beiden so sehr Art-Pop wie Pop-Art.
Die starke Visualität stammt noch aus der Kindheit, als ihr filmverrückter Vater, ein Maler und Grafiker, sie regelmässig zu Kinomatinees mitnahm. Nach seinem frühen Tod fuhr die Mutter die beiden Teenager schon mal zu Beatles-Konzerten nach Las Vegas, und ab Mitte der Sechziger drehten sie im Theater- und Filmstudium kleine Nouvelle-Vague-Parodien.
Schon in den Siebzigern hätten sie beinah mit Jacques Tati gearbeitet, der verwandte Geister in ihnen sah – aber es scheiterte an Geld und Gesundheit. Zehn Jahre später nahmen die Sparks eine mehrjährige Auszeit, um mit Tim Burton eine Mangageschichte auf den Weg zu bringen. Bei der Erinnerung ans deprimierende Aus der Idee bröckelt für einmal die Oberfläche ihrer sonst konsequent unprivaten Kunstfiguren. 2009 beschäftigten sie sich fürs schwedische Radio in «The Seduction of Ingmar Bergman» mit europäischer und US-Filmkultur, und auf dem Album «Hippopotamus» (2017) singen sie darüber, wie es ist, «When You’re a French Director»: Man sei «auteur» und «obscure», die Damen sagten «Oui», und überhaupt: «It seems la vie est belle.»
Liebe, Verdauung, Kunst
Auf jenem Song dabei ist auch ihr Fan Leos Carax («Les Amants du Pont Neuf»), in dem sie schliesslich den vorschriftsmässigen Regisseur für «Annette» fanden. Das Musical erzählt von der südwärts stürzenden Amour fou zwischen einer aufs Sterben spezialisierten Operndiva (Marion Cotillard, sehr ätherisch zart) und einem Stand-up-Comedian, der nicht nur sich selbst, sondern auch sein Publikum quält (Adam Driver, nicht nur physisch eindrucksvoll). So richtig gut ist der Film trotz seines gestochen magischen Bildrealismus nicht, auch weil er uns die unbalancierte Liebe so gar nicht erklärt. Und als die beiden das titelgebende Kind bekommen, kommt es als Puppe zur Welt – und die Beziehung nimmt eine zunehmend toxische und leider sehr berechenbar trübe Wendung.
Dabei schimmert «Annette», ähnlich wie die Alben, in den paar wunderbaren Momenten im skurrilen Zauber der Sparks. Alle singen immer: das Filmteam, wenn es sich zu Beginn zum Dreh versammelt, Cotillard auf der Opernbühne wie auch auf dem Klo, das medizinische Personal während der Geburt im Kreisssaal, Driver sogar beim Cunnilingus, wo er immer mal wieder auftaucht, um «We love each other so much» in die Kamera zu schmachten – das Leitmotiv, das zwar nur aus dieser einen Titelzeile besteht, aber sich in seiner campy Süsslichkeit tief ins Ohr wurmt. Die auch musikalisch berührendsten Momente allerdings gehören der Puppe.
Es geht also um Liebe, Verdauung, Kunst, um Geburt und Tod und Künstlichkeit – um die grossen Themen halt, die den Sparks immer Anlass für ein paar abgründige Scherze und wegwerfende Gesten waren. Bestimmt degoutiert sie auch der Gedanke, es runde sich hier ihr Lebenswerk. Vielleicht jedoch können sie wenigstens das Jahr als ihres annehmen. Es war ja kein besonders gutes.
«Annette» kommt am 30. Dezember 2021 in die Kinos. «The Sparks Brothers» läuft in Bern im Kino Rex und in Zürich im Kino Riffraff.
Annette. Regie: Leos Carax. Frankreich / USA / Mexiko / Deutschland / Belgien 2021
The Sparks Brothers. Regie: Edgar Wright. UK / USA 2021