Russische Geopolitik: Das Geisterbataillon

Nr. 4 –

Erst in der Ostukraine und in Syrien – nun mischen russische Söldner der «Gruppe Wagner» auch in Libyen mit. Was ist über die private Sicherheitsfirma und ihre Verbindungen zum Kreml bekannt?

Seit wann sich russische Söldner in Libyen befinden, lässt sich nicht genau sagen. Erste Gerüchte über die Präsenz der ominösen privaten Sicherheitsfirma «Gruppe Wagner» mit engen Kontakten zum Kreml tauchten schon 2018 auf. Mit der Zeit aber häuften sich die Indizien.

Gemäss britischen Medien sollen im März 2019 rund 300 Wagner-Kämpfer General Chalifa Haftar bei seinem «Marsch auf Tripolis» unterstützt haben. Und im September präsentierte die russische Recherchegruppe Conflict Intelligence Team, die seit Jahren Informationen zu den Aktivitäten der Söldner sammelt, Bilder von der Ankunft von 100 Personen auf einer Militärbasis. Später enthüllte das russische Nachrichtenportal «Meduza» die Namen mehrerer Söldner, die in Nordafrika umgekommen sind.

Inzwischen bestehen kaum Zweifel: Die Gruppe Wagner mischt in Libyen aufseiten von Haftar mit – angeblich mit Geld aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wie viele Söldner vor Ort sind, weiss niemand so genau. Und sie sind bei weitem nicht die einzigen. Im libyschen Bürgerkrieg, der längst zum Stellvertreterkrieg geworden ist, sollen unter anderem Legionäre aus Syrien, dem Sudan und dem Tschad kämpfen.

Tödliche Recherchen

Die Gruppe Wagner ist auf Diskretion angewiesen, zumal ihre Existenz in Russland illegal ist. Vieles bleibt deshalb bloss Spekulation. Dass es überhaupt Informationen gibt, verdankt die Öffentlichkeit den akribischen Recherchen russischer Journalisten, von denen einige ihre Arbeit mit dem Leben bezahlten. So wurden im Sommer 2018 drei Reporter in der Zentralafrikanischen Republik von Unbekannten ermordet, als sie dem dortigen Wagner-Engagement nachspürten. Wenige Wochen zuvor starb ein Journalist nach einem Sturz vom Balkon seiner Wohnung in Jekaterinburg. Auch er hatte zu Wagner recherchiert.

Aus den Puzzleteilen, die russische Medien in den letzten Jahren zusammengetragen haben, lässt sich nun ein Bild der Gruppe zeichnen.

Angefangen hat die Paramilitärtruppe 2013 demnach mit der Sicherung von Ölanlagen in Syrien. Laut dem Onlineportal «Fontanka.ru» rekrutierten zwei Manager der in Hongkong domizilierten Moran Security Group zu diesem Zweck mehrere Hundert Söldner. Aus dem Bataillon mit dem Namen «Slawisches Korps» entstand später die Gruppe Wagner.

Ihren Namen verdankt sie ihrem Anführer: einem Mann namens Dmitri Utkin, der heute Ende vierzig ist und bis zu seinem Ausscheiden aus dem Dienst eine Spezialeinheit des russischen Militärnachrichtendiensts GRU befehligte. Sein Kampfname lautet Wagner. Gemäss «Fontanka.ru» soll Utkin nicht nur eine Vorliebe für den gleichnamigen Komponisten haben, sondern auch für die «Ideologie und Ästhetik des Dritten Reiches». Utkin wie auch seine Gruppe stehen auf einer Sanktionsliste der USA.

Als Helden geehrt

In Erscheinung trat die Gruppe, die in keinem offiziellen Register auftaucht, 2014: erst auf der annektierten Krim, dann in der Ostukraine in den Reihen der Separatisten. Später kämpften Wagner-Söldner in Syrien aufseiten von Machthaber Baschar al-Assad. Sie sollen massgeblich an der Rückeroberung der Stadt Palmyra vom Islamischen Staat beteiligt gewesen sein, waren aber auch für das Einnehmen von Öl- und Gasfeldern verantwortlich. Angeblich gehören der Gruppe insgesamt mehrere Tausend Kämpfer an.

Gemäss russischen Medien trainieren die Mitglieder der Gruppe Wagner nahe der Stadt Krasnodar im Süden Russlands – wohl nicht zufällig auf einem Übungsplatz des GRU, für den Utkin früher tätig war. Rekrutiert werden die Söldner, oft ehemalige Soldaten, zumeist aus den ärmeren Regionen des Landes – auch weil sie für ein Monatsgehalt von umgerechnet bis zu 4000 Franken zu hohen Risiken bereit sind. Im Todesfall erhält die Familie zudem eine Entschädigung. «Warum sie gegangen sind? Aus Armut!», sagte die Mutter eines in Syrien getöteten Kämpfers in einem Interview. Mehrere Hundert Kämpfer sollen allein in Syrien gestorben sein.

Auch wenn Russlands Führung ihre Verbindung zur Gruppe stets bestritten hat, gibt es dennoch einige Berührungspunkte: neben ähnlichen Interessen auch persönliche Kontakte. Davon zeugt ein Foto von Dezember 2016.

Am «Tag der Helden» hat Präsident Wladimir Putin jene in den Kreml geladen, die «für ihren Einsatz fürs Vaterland» den höchsten Orden des Landes bekommen sollen. Unter den Geehrten ist auch ein alter Bekannter: Dmitri Utkin. Wieso er als Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma den Orden erhält, bleibt unklar.

Vorbild Blackwater

Wer wissen will, wer die relativ hohen Gehälter der Söldner zahlt, stösst schnell auf den Namen eines Mannes, der ebenfalls dem Kreml nahesteht: der auch als «Putins Koch» bekannte Oligarch Jewgeni Prigoschin, der als Caterer nicht nur die russische Armee, sondern auch die Gäste sämtlicher Regierungsanlässe mit Essen versorgt. Zu seinem Imperium sollen auch Firmen gehören, die in diversen afrikanischen Ländern im Bergbaugeschäft aktiv sind – sowie die berüchtigte Petersburger «Trollfabrik».

Mit der Gruppe Wagner will Prigoschin offiziell nichts zu tun haben. Vielen gilt er allerdings als Architekt der russischen Afrikastrategie. Zeitgleich mit seinem dortigen Engagement verschob sich auch der Fokus der Söldner: auf den Sudan und die Zentralafrikanische Republik, später auf Moçambique. Hinzu kommen Berichte über Einsätze in Madagaskar, Angola und Simbabwe. Im Sudan trainieren Wagner-Söldner laut dem Wirtschaftsmagazin «The Bell» reguläre Soldaten – im Gegenzug erhalten Prigoschins Firmen offenbar Schürfrechte für Gold und andere Ressourcen. Und 2018 teilte der Kreml mit, 170 «zivile Berater» seien in die Zentralafrikanische Republik entsandt worden. BeobachterInnen gehen davon aus, dass es ebenfalls Wagner-Mitglieder sind.

Der Grund für die Nutzung von privaten Sicherheitsfirmen wie Wagner ist denkbar einfach: Russland kann seinen Einfluss im Ausland sichern – und das mit minimalem Risiko. Reguläre Truppen müssen so nicht mehr in umstrittene Einsätze geschickt werden – und für die Toten muss keine Verantwortung übernommen werden. Bestens bekannt ist diese Praxis auch durch Unternehmen wie die US-Militärfirma Academi, ehemals Blackwater.

Libyen-Konferenz : Berliner Lippenbekenntnisse

Als Gastgeberin war Angela Merkel immerhin das Lob gewiss: Nach monatelanger Planung versammelte sie am Sonntag in Berlin VertreterInnen von sechzehn Ländern und mehreren internationalen Organisationen zum grossen Libyengipfel. Doch auch wenn schon beachtlich ist, dass die Konferenz überhaupt stattfand – ein wirklicher Erfolg war sie nicht. Zwar gab es zu diversen Punkten Beschlüsse, die ExpertInnen schon vor Wochen formuliert hatten: die Entwaffnung libyscher Milizen etwa und ihre Eingliederung in die Armee sowie ein Bekenntnis zum geltenden Waffenembargo. Vorerst bleiben sie aber bloss ein Wunschzettel.

Denn konkrete Massnahmen, um das schon seit 2011 geltende Embargo durchzusetzen und Verstösse zu sanktionieren, fehlen in der Erklärung. Für die Sanktionierung von Verstössen soll der Uno-Sicherheitsrat zuständig sein – und der kann durch ein Veto seiner Mitglieder jederzeit handlungsunfähig werden. Zudem wurden in den letzten Wochen – als der Friedensplan bereits stand – weiterhin Waffen und Söldner nach Libyen geschickt. Libyenkenner Wolfram Lacher sprach in einem Interview mit dem «Spiegel» denn auch von einer «Parallelrealität», in der die Konferenz stattfinde.

Die Realität in Libyen sieht hingegen so aus: Seit dem Sturz von Muammar al-Gaddafi 2011 herrscht im Land Chaos. Aktuell stehen sich zwei Parteien gegenüber: In Tripolis regiert die von der EU und der Uno anerkannte und von der Türkei, Italien und Katar unterstützte Regierung von Premier Fajis al-Sarradsch. Einen Grossteil des Landes kontrolliert aber General Chalifa Haftar – mit Rückendeckung von Russland, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Frankreich. Vielerorts kommen Milizen, Stämme und islamistische Gruppen hinzu.

Dass die EU sich militärisch in Libyen engagiert, wie es ihr Aussenbeauftragter fordert, ist kaum wahrscheinlich. Längst prägen Länder wie die Türkei und Russland den Konflikt. Zentral bleibt für Europa ohnehin die Abwehr von Geflüchteten. Entsprechend brachte der deutsche Aussenminister am Sonntag eine Wiederbelebung der Mittelmeermission «Sophia» ins Spiel, die 2019 eingestellt wurde. Zuvor hatte sie der Militarisierung der EU-Aussengrenzen gedient.

Anna Jikhareva