MbS gegen Bezos: Ein schauerlicher Kleinkrieg

Nr. 5 –

Da hackt der eine das Smartphone des anderen, indem er per Whatsapp Schadsoftware verschickt: Die Geschichte klingt so banal wie belanglos. Wären die beiden Männer bloss nicht so reich an Geld, Macht und Einfluss.

Nur einer von beiden hat gut lachen: Jeff Bezos und Muhammad bin Salman im November 2016 in Riad. Foto: Bandar Algaloud, Getty

Der Plot zu diesem Thriller ist so bizarr, dass DrehbuchautorInnen ihn sofort verwerfen würden. Wer glaubt schon, dass sich der Kronprinz von Saudi-Arabien persönlich Zugang zum Smartphone des reichsten Mannes der Welt verschafft? Wie sollte er das anstellen? Und warum wollte er das tun?

Er hat es clever angestellt. Und er hatte seine Gründe. Unglaublich bleibt die Geschichte trotzdem, vor allem wegen der beiden Hauptfiguren. Auf der einen Seite Muhammad bin Salman, kurz MbS, Thronfolger des wahhabistischen saudischen Königreichs, Inhaber der globalen Tankstelle, Hüter der heiligsten Stätten des Islam und Kriegsherr im Jemen. Auf der anderen Seite Jeff Bezos, Gründer des Onlineversandhändlers Amazon, Raumfahrtunternehmer mit seiner Firma Blue Origin sowie als Besitzer der «Washington Post» auch Medienmogul.

Nummerntausch auf der Party

Wäre Jeff Bezos ein Staat, läge sein Bruttoinlandsprodukt knapp über jenem von Ecuador oder der Slowakei. Das Vermögen des reichsten Menschen der Welt ist mit rund 115 Milliarden US-Dollar so gewaltig, dass er, wenn er Vergnügen daran fände, beinahe alles aufkaufen könnte, was von einem Land wie Marokko pro Jahr an Waren produziert oder an Dienstleistungen bereitgestellt wird. Muhammad bin Salman hingegen ist ein Staat. Als Kronprinz und designiertes Oberhaupt der königlichen Dynastie von Saudi-Arabien präsidiert er eine absolutistische Monarchie. Und er verfügt über finanzielle Reserven, die schlicht märchenhaft sind. Geschätzt wird das Gesamtvermögen der 2000 engeren Mitglieder der Königsfamilie auf etwa 1,4 Billionen US-Dollar.

Wer in dieser Liga spielt, der kennt sich. Spätestens im April 2018 tauschten der Unternehmer und der Prinz auf einer exklusiven Veranstaltung ihre Telefonnummern aus. Wie es eben so zugeht an einer Party, auf der mächtige Männer ins Plaudern kommen. Man weiss ja nie, wofür es gut ist. Der Scheich jedenfalls wusste es genau. Denn während er sein Reich einerseits behutsam in die Moderne führen möchte, etwa mit der wohldosierten Gewährung von Frauenrechten, setzt er andererseits alle Hebel in Bewegung, um Widersacher und Kritikerinnen mundtot zu machen. Dabei nutzt MbS neben seiner Armee auch die digitale Kriegsführung. Erst im Dezember 2019 schaltete Twitter 88 000 Accounts ab, die nachweislich Falschinformationen im Sinne des saudischen Regimes verbreitet hatten.

Ein besonderer Dorn im Auge war MbS der Journalist Jamal Kashoggi. Dieser entstammte selbst dem saudischen Establishment, war deshalb bestens informiert und veröffentlichte brisante Texte – vor allem in der «Washington Post». Etwa ein halbes Jahr nachdem Bezos mit MbS Nummern getauscht hatte, wurde der Journalist im Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet, mutmasslich auf Befehl von ganz oben.

Trojaner im Werbevideo

Unterdessen taten sich seltsame Dinge auf dem Smartphone – und im Leben – von Jeff Bezos. Dinge, die zunächst niemand in Verbindung mit dem saudischen Königshaus brachte. Bezos erhielt von MbS per Whatsapp das Bild einer Frau zugeschickt, die nur Jeff Bezos bekannt vorkommen konnte, weil sie einer bis dahin geheimen Affäre sehr ähnlich sah. Dazu den Text: «Mit Frauen zu streiten, ist, wie einen Softwarelizenzvertrag zu lesen: Am Ende musst du einfach alles ignorieren und auf ‹Ich stimme zu› klicken.» Es folgten weitere kompromittierende Anspielungen des Kronprinzen auf das Privatleben von Bezos, den staatstreue Medien in Saudi-Arabien zugleich als Staatsfeind behandelten.

Kurz darauf veröffentlichte in den USA das Klatschblatt «National Enquirer» pikante Details einer Affäre, die Bezos später seine Ehe kostete. Der Besitzer des «National Enquirer» gilt als enger Freund des saudischen Königshauses – und von Donald Trump, ebenfalls ein grosser Freund der Saudis und Kritiker von Bezos. Dieser liess sein Smartphone von ExpertInnen untersuchen, die feststellten, dass sich der Datenverbrauch des Geräts über mehrere Monate in exorbitanten Höhen bewegt hatte. Ein unbemerkter, aber riesiger Abfluss von Daten hatte stattgefunden – nachdem Bezos ein harmlos erscheinendes saudisches PR-Video zugesendet worden war. Der Absender: MbS.

Die im Video eingebettete Schadsoftware war so professionell chiffriert, dass die SpezialistInnen sie zunächst übersahen. Eine Sicherheitslücke in Whatsapp hatte dies möglich gemacht, und das Wissen um diese Lücke wiederum hat sich recht exklusiv die israelische Spionagesoftwarefirma NSO zunutze gemacht. NSO entwickelt und verkauft exakt jene Art Trojaner, die Bezos von MbS zugeschickt worden war. Die israelische Zeitung «Haaretz» berichtete über Geschäfte in der Höhe von 55 Millionen Dollar zwischen NSO und dem Regime in Saudi-Arabien.

Was die vehementen Dementis der Verdächtigten wert sind? Welche Rolle das Weisse Haus in der ganzen Geschichte spielt? Wer noch alles mit dem Kronprinzen nicht nur Geschäfte macht, sondern chattet? Nicht unwahrscheinlich, dass dieser bizarre Thriller noch die eine oder andere Fortsetzung findet.