Friedensbewegung in Pakistan: Mit roter Kappe in den Widerstand
Als Stimme der PaschtunInnen kämpft der 28-jährige Manzoor Pashteen gegen die pakistanische Führung. Letzte Woche wurde der Aktivist verhaftet. Doch ersticken lässt sich die Revolte längst nicht mehr.
Auf den meisten Fotos trägt Manzoor Ahmad Pashteen ein rot-schwarzes Käppi mit weisser Stickerei. Es soll einst einem armen Arbeiter aus Pashteens Heimat, der pakistanischen Region Wasiristan an der Grenze zu Afghanistan, gehört haben. Als Ausdruck seiner Solidarität hatte der junge Pashteen dem Arbeiter seine neue Kopfbedeckung gegeben und im Gegenzug dessen abgetragene Kappe genommen. Mittlerweile ist die sie zum Symbol des friedlichen Widerstands geworden – vor allem jetzt: Anfang vergangener Woche ist Pashteen von pakistanischen Sicherheitskräften verhaftet worden. Ihm wird die «Aufwiegelung der Bevölkerung» vorgeworfen.
Seit Monaten demonstrieren Pakistans PaschtunInnen gegen ihre Diskriminierung durch Regierung, Sicherheitskräften und Geheimdienst. Ihren Ausgang nahm die Bewegung im Januar 2018, als Polizisten in Karachi den jungen Familienvater Naqeebullah Mehsud erschossen. Die Behörden bezeichneten ihn und drei andere Paschtunen, die damals ebenfalls getötet wurden, als «Terroristen» mit Verbindungen zum IS. Das war zwar gelogen, doch weil die vier aus den Stammesgebieten kamen, stempelte man sie kurzerhand als Extremisten ab.
Wie Pashteen stammte Mehsud aus der Region Wasiristan. Die Mehsud sind dort ein grosser Stamm, weshalb es viele Namensvettern gibt – darunter auch Anführer der pakistanischen Taliban wie Hakimullah Mehsud oder Baitullah Mehsud, die beide durch US-Drohnenangriffe getötet wurden.
Prominente Unterstützung
Die grosse Mehrheit der PaschtunInnen wehrt sich mit anderen Mitteln. Pashteen – der ebenfalls dem Mehsud-Stamm angehört – ist dabei ihr charismatischer Anführer. Der ausgebildete Tierarzt und Sohn eines Lehrers ist in Pakistan mittlerweile zum Superstar avanciert. Der 28-Jährige ist zur Stimme des Pashtun Tahafuz Movement (PTM) geworden, dem es um den Schutz der Rechte der PaschtunInnen geht. Mittlerweile wird die Bewegung von zahlreichen prominenten PaschtunInnen unterstützt, darunter auch der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai.
In seinen Reden thematisiert Pashteen den brutalen Alltag in den paschtunischen Stammesgebieten, spricht über die blutigen Militäreinsätze in Wasiristan und seinen Nachbarregionen, über das Töten von ZivilistInnen durch die Taliban und US-Drohnen. Er prangert die Willkürherrschaft des pakistanischen Geheimdienstes ISI an, der aufbegehrende PaschtunInnen verschleppen, foltern und töten lässt. «Es gibt keinen Krieg gegen den Terror, es gibt nur Terror», ist ein Satz, den Pashteen gerne wiederholt.
Während seiner Verhaftung letzte Woche zeigte sich Pashteen gelassen und lächelte in die Kameras, die ihn begleiteten. Das grosse Vorbild der PTM-Bewegung ist Khan Abdul Ghaffar Khan, ein legendärer Friedensaktivist aus den paschtunischen Stammesregionen, der einst an der Seite Mahatma Gandhis den antikolonialen Kampf gegen die BritInnen führte.
Begraben wurde der «Frontier Gandhi» Khan allerdings nicht in den Stammesgebieten, die nach dem Zerfall Britisch-Indiens zum Teil des pakistanischen Staates wurden, sondern in der afghanischen Stadt Dschalalabad. Die koloniale Durand-Linie, die 1893 von den BritInnen gezogen wurde und heute Afghanistan von Pakistan trennt, wird von vielen nationalistischen PaschtunInnen nicht anerkannt. Khan zog es deshalb vor, in seiner ursprünglichen Heimat bestattet zu werden.
Ein Instrument des Geheimdienstes?
Die Solidarität mit der PTM-Bewegung ist auch in Teilen Afghanistans zu spüren. Nach Pashteens Verhaftung fanden in mehreren, hauptsächlich von PaschtunInnen bewohnten Landesteilen Demonstrationen statt. In der ostafghanischen Stadt Chost etwa, die nur wenige Kilometer von der Durand-Linie entfernt liegt, versammelten sich Hunderte Menschen und verlangten Pashteens Freilassung. «Wir unterscheiden nicht zwischen den Paschtunen auf dieser oder jener Seite der Grenze. Pashteen ist ein Held, der für Menschenrechte kämpft. Er muss umgehend freigelassen werden», sagt Mohammad Zaman, ein Aktivist aus Chost.
Ähnliche Töne wurden auch von Afghanistans Präsident Aschraf Ghani angeschlagen. Über Twitter teilte er seinen Unmut über Pashteens Verhaftung mit und forderte dessen Freilassung – was vor allem von pakistanischen Offiziellen ungern gesehen wird, die Ghanis Tweets als Einmischung in die Innenpolitik des Landes bewerten. Auch einige PTM-Mitglieder betrachten Ghanis Haltung kritisch. «Wir haben eine eigene Agenda und sind die Puppen von niemandem. Die einzige Unterstützung Ghanis waren einige Tweets», sagt etwa Gründungsmitglied Abed Khan Waziri. KritikerInnen der Bewegung, allen voran innerhalb Pakistans, werfen der PTM wiederum vor, ein Instrument des afghanischen oder indischen Geheimdienstes zu sein.
Nach der Verhaftung Pashteens kam es nicht nur in Pakistan zu zahlreichen Demonstrationen, sondern auch in Europa, den Vereinigten Staaten und Australien. In Pakistan werden die Proteste medial meistens ignoriert, auch von den auflagenstärksten Zeitungen. Ersticken lässt sich die Revolte der PaschtunInnen allerdings nicht mehr. Pashteens rot-schwarzes Käppchen ist mittlerweile nicht nur zum Widerstandssymbol geworden, sondern auch zum Verkaufsschlager.