Heizen ohne Öl und Gas: Woher die Wärme nehmen?
Fast ein Drittel aller CO2-Emissionen hierzulande entfallen aufs Heizen. Mit Gebäudesanierungen lassen sich die Klimaziele aber nicht erreichen. Fossile Heizungen müssen weg – Alternativen gibt es, einfache Lösungen hingegen nicht.
Öl und Erdgas versorgen in der Schweiz über eine Million Häuser mit Wärme. Deshalb entfallen aufs Heizen rund dreissig Prozent der Schweizer CO2-Emissionen. Der Heiztechnikplaner René Näf berät seine Kundschaft seit über zwanzig Jahren zu Heizungsinstallationen – mit Fokus auf erneuerbare Energien. Und trotzdem: «Gibt eine Öl- oder Gasheizung mitten im Winter den Geist auf, entscheiden sich die meisten Leute wieder für eine fossile Heizung», sagt er. «Dass jemand vorausschauend plant, bleibt die Ausnahme.» Eine Bewilligung für alternative Heizsysteme wie Wärmepumpen erhält man nicht von heute auf morgen, das dauert an manchen Orten bis zu drei Monate. Zwar gibt es zur Überbrückung mobile Heizkörper zu mieten, doch kosten diese viel Geld.
Tatsächlich wird heute in über der Hälfte aller Fälle eine Ölheizung durch eine ebensolche ersetzt – und die schleudert dann zwanzig weitere Jahre (so lange lebt ein Heizkessel) durchschnittlich fünf Tonnen CO2 pro Jahr in die Atmosphäre. Das Festhalten an Ölheizungen ist denn auch ein Grund dafür, dass der Gebäudesektor das Emissionsreduktionsziel des Bundes verfehlt hat: Statt dass die Emissionen bis im Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 gesenkt wurden, stehen bloss 25 Prozent Reduktion zu Buche.
«Da muss man doch einfach mal sagen: Schluss!» So der Kommentar des Klimaphysikers Reto Knutti zur Ölheizungsproblematik in einem Interview mit der WOZ (Nr. 36/19). Aber wieso verbietet man fossile Heizungen dann nicht einfach? Muss man eine Ölheizung tatsächlich durch eine erneuerbare Wärmequelle ersetzen, um klimafreundlich zu wohnen? Und sind alternative Technologien überhaupt vorhanden? So viel im Voraus: Die Situation ist komplex – und die eine Patentlösung für sämtliche Gebäude existiert nicht.
Sanierungen allein bringen nichts
Dass Heizsysteme auf der Basis erneuerbarer Energiequellen praktisch die einzige Möglichkeit darstellen, den CO2-Fussabdruck von Gebäuden bedeutend zu verringern, zeigt ein vor kurzem abgeschlossenes Forschungsprojekt der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa), der ETH Zürich und der Hochschule Luzern. Die Empa-Bauphysikerin Kristina Orehounig war an dem von der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren mitfinanzierten Projekt beteiligt. Sie kommt zum gleichen Fazit wie Knutti: «Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir uns von fossilen Heizungen verabschieden.»
Im Projekt nahmen die ForscherInnen den gesamten Wohngebäudebestand der Schweiz unter die Lupe: rund 1,8 Millionen Häuser. Über die Hälfte davon wurde vor den achtziger Jahren gebaut, vergeudet also viel Energie, weil Wände und Dach nicht gedämmt und Fenster nicht isoliert sind. Drei Viertel aller Häuser werden nach wie vor mit einer Elektro-, Öl- oder Gasheizung erwärmt. Daraus resultiert die äusserst schlechte Klimabilanz des Gebäudesektors. Um die Emissionsziele zu erreichen, dürfen laut dem Schweizer Ingenieur- und Architektenverein (SIA) Gebäude bis im Jahr 2050 nicht mehr als zehn Kilogramm CO2-Äquivalente pro Quadratmeter und Jahr in die Luft schleudern – inklusive Bau, Sanierung und Rückbau von Gebäuden. Momentan liegt dieser Wert bei über zwanzig Kilogramm pro Quadratmeter, exklusive der grauen Energie (vgl. «Alternativen zum Klimasünder Beton» im Anschluss an diesen Text).
Die erste Erkenntnis aus dem Forschungsprojekt lautet deshalb: Eine Gebäudesanierung allein führt nicht zum Ziel. «Häuser mit fossilen Heizungen haben in mehr als neun von zehn Fällen keine Chance, die Zehn-Kilogramm-Vorgabe zu erreichen», sagt Orehounig. «Selbst dann nicht, wenn sie optimal saniert sind.» Die zweite Erkenntnis: Steigt man von einer fossilen auf eine erneuerbare Heizung um, braucht es nur in zehn Prozent der Fälle eine Vollsanierung, um die Zehn-Kilogramm-Vorgabe zu erreichen. «In den meisten Fällen reicht es, nur die Fenster abzudichten, das Dach oder die Fassade zu renovieren», so Orehounig. Jedes fünfte Gebäude müsste gar nicht renoviert werden. Wenn dazu noch reine Elektroheizungen durch effizientere Wärmepumpen ersetzt würden, triebe die Kombination aus Sanierung und Heizsystemwechsel auch den Schweizer Stromverbrauch nicht allzu stark in die Höhe.
Das Problem mit dem Feinstaub
Technische Alternativen zu fossilen Heizungen, da herrscht unter ExpertInnen Konsens, sind zweifelsohne vorhanden. Allerdings kann keines dieser Systeme flächendeckend eingesetzt werden. Holzpelletheizungen etwa benötigen viel Platz, und ihre Ressource ist begrenzt. Luftwärmepumpen dürfen aufgrund ihrer Lärmbelastung nicht überall in städtischen Gebieten installiert werden, Erdsonden sind in Grundwassergebieten verboten. Orehounig und ihr Team berechneten zudem: Im Schnitt kostet es rund 400 Franken, eine Tonne CO2 mit alternativen Heizsystemen einzusparen. Um das wirtschaftlich konkurrenzfähig zu machen, muss fossiles Heizen massiv teurer werden.
Heizen mit Holz steht punkto CO2-Ausstoss besonders gut da. Denn es gelangt nur so viel Kohlenstoffdioxid in die Luft, wie die Bäume während ihrer Wachstumszeit gebunden haben. Holzfeuerungen haben jedoch einen Nachteil: Falsch betriebene und veraltete Holzheizungen belasten die Umgebung mit Russ und Feinstaub. Zwar weisen Holz- und Pelletöfen mit neuen Filtern deutlich bessere Feinstaubwerte auf, aber laut Zahlen des Bundesamts für Umwelt stossen sie immer noch hundert- bis tausendfach höhere Emissionen aus als Öl- oder Gasöfen.
In der Schweiz sind insbesondere Wärmepumpen auf dem Vormarsch: Mittlerweile ist fast jedes fünfte Gebäude damit ausgestattet. Sie nutzen Energie aus Boden, Grundwasser oder Luft. Damit erwärmen sie ein Kältemittel, das über einen Generator Wärme wieder abgibt. Anders als Heizölkessel verbrennen sie also nicht einen wertvollen Rohstoff, um zu heizen, sondern nutzen natürlich vorkommende Wärme.
Erdwärme- und Wasserwärmepumpen sind bedeutend teurer in der Installation als Luftwärmepumpen. Letztere haben indes den Nachteil, dass sie vergleichsweise viel Strom brauchen. Und dieser spielt für den Erfolg alternativer Heizsysteme eine zentrale Rolle. Zwar produzieren Schweizer Kraftwerke im Sommer Stromüberschüsse. In den sonnenarmen Wintermonaten und schmelzwasserarmen Herbstmonaten hingegen liegt die Produktion unter dem Verbrauch.
Eine Studie des Forums Energiespeicher Schweiz zeigt, dass die verfügbaren Stromproduktionskapazitäten nicht ausreichen, um künftig den gesamten Gebäudepark ausschliesslich mit Wärmepumpen zu beheizen. Allein in den kältesten Januarwochen läge der elektrische Leistungsbedarf für ausschliesslich über Luftwärmepumpen beheizte Gebäude gleich hoch wie die maximale Leistung des heutigen Schweizer Kraftwerksparks. Doch wie steht es mit Strom aus Sonne und Wind?
Finanzielle Anreize sind nötig
«Die meisten Windenergieprojekte, die die Winterlücke merklich entschärfen würden, sind schweizweit blockiert», sagt Michel Haller, Forschungsleiter am SPF-Institut für Solartechnik der Hochschule Rapperswil. Er verweist zudem auf ein grundsätzliches Problem: «Momentan fehlen finanzielle Anreize gänzlich, um Strom saisonal zu speichern.» Dafür müsste der Strompreis im Sommer deutlich erhöht werden. Über eine saisonal angepasste Preispolitik liesse sich jedoch viel erreichen.
Möglichkeiten, erneuerbare Energien zu speichern, existieren – zum Beispiel Batterien. Um die aktuell gängigen Lithiumionenbatterien als saisonale Speicher einzusetzen, sind sie allerdings zu teuer. Hinzu kommen diverse Entsorgungs- und Rohstoffprobleme. Andere Technologien eignen sich daher besser. Wärme etwa lässt sich einfacher speichern als elektrische Energie in Batterien.
Auf dem Markt verfügbare und erprobte Wärmespeicher lassen sich grob in zwei Anwendungen einteilen. Niedertemperaturspeicher nutzen im Sommer Solarenergie oder Abwärme, um das Erdreich oder das Grundwasser aufzuheizen. Im Winter hebt eine Pumpe die gespeicherte Wärme auf ein höheres Temperaturniveau an und beheizt das Gebäude. Dafür ist zusätzlicher Strom nötig, aber gerade in den kalten Monaten bedeutend weniger als mit gewöhnlichen Wärmepumpenanlagen.
Nutztemperaturspeicher kommen im Gegensatz dazu ohne Wärmepumpen und somit ohne zusätzlichen Strom aus. Dazu benötigt es beispielsweise grosse Wassertanks: Solarenergie heizt das Wasser darin im Sommer bis auf neunzig Grad auf und liefert im Winter Raumwärme. Die Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass grosse Wärmemengen gespeichert werden, um die Speichertechnologie kostengünstig zu machen. Entsprechend handelt es sich um Lösungen, die in der Regel auf Grossverbraucher oder Wärmenetze angewiesen sind.
Vorreiter Dänemark
Als erstes Land der Welt verbot Dänemark im Jahr 2013 den Einbau von Öl- und Gasheizungen bei Neubauten, seit 2016 auch bei Sanierungen. Möglich gemacht haben dies Wärmenetze, an die fast alle Ortschaften angeschlossen sind. Dänemark deckt über sechzig Prozent seines Heizbedarfs aus Fernwärme, in der Schweiz sind es unter zehn Prozent. Dabei hätte Fernwärme auch hierzulande grosses Potenzial: Quellen dafür finden sich etwa in solarthermischen Anlagen, in der Kehrichtverbrennung, in Seen oder der Abwärme von Industrieprozessen.
Nach einer im Auftrag des Verbands Fernwärme Schweiz erstellten Studie könnten im Jahr 2050 bis zu fünfzehn Prozent des gesamtschweizerischen Heizungs- und Warmwasserbedarfs wirtschaftlich über Wärmenetze gedeckt werden. Solche Netze kommen hauptsächlich für städtische Gebiete infrage, wie die Untersuchungen von Orehounigs Team zeigen. In ländlichen Gebieten sind gebäudeeigene Energiesysteme wirtschaftlicher.
Dass sich Öl- und Gasheizungen so hartnäckig halten, hat neben dem geringen Zeitaufwand, den es braucht, um sie zu ersetzen, auch mit den Investitionskosten für Alternativen zu tun. Selbst wenn sich erneuerbare Systeme auf längere Sicht finanziell lohnen, ist es kurzfristig trotz Förderbeiträgen normalerweise günstiger, bei einem fossilen System zu bleiben. Das sagt die Ökonomin Meta Lehmann, die beim Zürcher Beratungsunternehmen Econcept verschiedene Studien zum Thema Heizungsersatz durchgeführt hat.
Für die Stadt Zürich etwa konnte sie zeigen, dass sich mehr als die Hälfte der EigentümerInnen gar nicht mit einem Umstieg auf ein Heizsystem mit erneuerbarer Energiequelle auseinandersetzen. «Viele denken fälschlicherweise, das funktioniere bei einem alten Haus sowieso nicht», sagt Lehmann. Und aus Deutschland wisse man, dass viele Menschen die Technologie hinter Wärmepumpen nicht wirklich verstehen würden – und sie darum ablehnten.
Damit das nicht geschieht, wären Fachleute wie René Näf gefragt, die EigentümerInnen auch punkto alternativer Heizungen beraten. «Eine unserer Studien zeigte aber, dass sich die meisten Installateure am expliziten Kundenwunsch orientieren und nicht unbedingt von sich aus eine alternative Lösung vorschlagen», sagt Lehmann. Nur wenige EigentümerInnen holen sich extra EnergieberaterInnen ins Haus, um sich verschiedene Varianten aufzeigen zu lassen.
Träge Kantone
Auch politisch haben die neuen Heiztechnologien einen schweren Stand. Die Hoheit über das Energierecht liegt bei den Kantonen, von denen die meisten ihre Bau- und Energievorschriften ausgesprochen schleppend revidieren. Kommt hinzu: Selbst wenn die Kantone die sogenannten Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich lückenlos umsetzen, verfehlen sie damit laut Orehounigs Studie das CO2-Emissionsziel der Energiestrategie 2050 um rund dreissig Prozent. Mario Cavigelli, Präsident der Kantonalen Energiedirektoren, widerspricht allerdings: «Wir gehen aufgrund der Erfahrungen der Kantone, die die Mustervorschriften bereits vollziehen, davon aus, das sehr ambitionierte Ziel zu erreichen.» Er begründet dies damit, dass diese Kantone die Vorgaben der Mustervorschriften oft übertreffen würden.
Aktuell haben aber lediglich sieben Kantone die Mustervorschriften überhaupt in ihren Energiegesetzen verankert – manche sogar nur teilweise. Vereinzelt kommt trotzdem Bewegung in die Sache. So stellte der Zürcher Baudirektor Martin Neukom (Grüne) im Dezember vergangenen Jahres Subventionen für den Ersatz von fossilen durch CO2-neutrale Heizungen in Aussicht. Der Kredit muss aber erst noch vom Kantonsrat gesprochen werden, erste Fördergelder fliessen, wenn überhaupt, wohl frühestens in einem Jahr.
Deutlich entschlossener voran geht die Stadt Basel. Angeregt durch eine Volksinitiative, revidierte der Stadtkanton 2016 sein Energiegesetz. «Dieses geht deutlich über die Mustervorschriften der Kantone hinaus», sagt Matthias Nabholz, Leiter des Basler Amts für Umwelt und Energie. So muss, wer in Basel seine Heizung ersetzen will, ein Heizsystem mit erneuerbarer Quelle einbauen, sofern dies technisch möglich und wirtschaftlich tragbar ist. Seit gut zwei Jahren sind Öl- und Erdgasheizungen verboten. Damit alternative Systeme bei HauseigentümerInnen nicht zu Mehrkosten führen, leistet der Kanton Förderbeiträge und bietet gratis eine Energieberatung an. «Bei dieser Beratung wird vor Ort abgeklärt, welches Heizsystem in Zukunft am geeignetsten ist und welche Massnahmen generell am Gebäude als sinnvoll erscheinen», so Nabholz.
Auf Anfang Jahr sind auch die Bewilligungsverfahren vereinfacht worden: Luft-Wasser-Wärmepumpen, die eine gewisse Grösse nicht überschreiten, müssen nur noch gemeldet werden. Für Wärmepumpen, die im Gebäudeinnern installiert werden, entfällt auch das. Schliesslich soll gemäss dem Energierichtplan in vielen Stadtgebieten das bestehende Fernwärmenetz verdichtet oder ausgebaut werden.
Der Bund verliert die Geduld
Das Beispiel Basel-Stadt zeigt: Damit der ökologische Fortschritt in Gang kommt, braucht es Gesetze. Ökonomin Meta Lehmann untermauert dies mit einer vergleichenden Städtestudie: «Dort, wo die kantonale Gesetzgebung tatsächlich fossile Heizungen verbietet oder erschwert, geschieht wirklich etwas. Dasselbe gilt, wenn fossile Heizträger massiv besteuert würden.» Doch Eigentümerverbände leisten oft Widerstand. «Die Hausbesitzer fühlen sich durch solche Vorschriften in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt oder gar bevormundet», sagt Mario Cavigelli.
Hinzu kommt, dass neben der Öl- und Gasbranche auch viele Gemeinden vom bisherigen System profitieren. Denn häufig gehören ihnen die Gasversorger, die momentan noch grosse Gewinne abwerfen. «Diese Gemeinden müssen sich nun dem Zielkonflikt von Klimaschutz und wirtschaftlichen Interessen stellen», sagt Lehmann. Als vorbildliches Beispiel nennt sie die Stadt Zürich, die in gewissen Stadtteilen von der Gasversorgung auf Wärmeverbunde mit Abwärme aus der Kehrichtverbrennung umsteigt. «Doch ein solcher Umbau kostet Geld, was wiederum eine politische Mehrheit braucht.»
Dem Bund scheint derweil die Geduld mit den Kantonen auszugehen: Im Zuge der Totalrevision des CO2-Gesetzes hat der Ständerat in der vergangenen Herbstsession ein Verbot für Ölheizungen bei Altbauten bestimmt; die nationalrätliche Kommission hat dies allerdings wieder etwas abgeschwächt. «Wir sind sehr zufrieden mit dem Entscheid der Kommission», sagt Mario Cavigelli. Denn weil Klima- und Energiepolitik Hand in Hand gingen, sei es wichtig, die Steigerung der Energieeffizienz nicht aus den Augen zu verlieren sowie die langfristige Versorgungssicherheit im Winter zu gewährleisten. Voraussichtlich in der Frühlingssession wird sich der Nationalrat mit dem Gesetz befassen.
Graue Energie : Alternativen zum Klimasünder Beton
Je energieeffizienter Gebäude werden, desto mehr fällt die graue Energie ins Gewicht. Dazu zählen das Erstellen, Sanieren und Rückbauen eines Gebäudes. Beton ist der mit Abstand meistverwendete Baustoff in der Schweiz: Seit Jahren verharrt sein Anteil an Neubauten bei circa sechzig Prozent, wie eine Studie der Fachhochschule Bern zeigt. Mal davon abgesehen, dass sich die Bauwirtschaft weltweit sorgt, ihr könnten irgendwann einmal kostengünstiger Sand und Kies ausgehen – die Herstellung von Zement verschlingt enorm viel Energie und setzt Treibhausgase frei. Denn um dessen Hauptbestandteil, den Klinker, zu produzieren, muss Kalkstein auf gut 1500 Grad erhitzt werden. Im Verlauf dieser chemischen Reaktion werden enorme Mengen an CO2 freigesetzt.
Besser sieht die Emissionsbilanz etwa bei Lehm aus, der nicht wie Zement gebrannt werden muss. Lehm hat überdies den Vorteil, dass er Wärme speichern und wieder abgeben kann. In Zeiten des verdichteten Bauens sagt Matthias Engel vom Schweizerischen Baumeisterverband diesem Material aber keine grosse Zukunft voraus: «Von der Statik her ist nicht geklärt, ob sich Lehm für hohe Gebäude eignet.»
Höher hinauf lässt es sich mit Holz bauen. Getragen von einem Betonfundament, kann die nachwachsende Ressource sogar für Hochhäuser eingesetzt werden. In Norwegen steht mit 85 Metern das derzeit höchste Holzhochhaus der Welt, in Zug soll in zwei Jahren der Spatenstich zum bisher höchsten Holzhaus der Schweiz mit 80 Metern stattfinden.
Als Baumaterial besitzt Holz ausserdem den Vorteil, das während des Baumwachstums eingespeicherte CO2 langfristig zu versiegeln. Und dennoch: «Bauten aus Holz sind noch kaum verbreitet», sagt Engel. Das untermauern auch die Zahlen der Berner Fachhochschule: Der Anteil von Holz als Baumaterial hat bei Neubauten in den letzten zwanzig Jahren weder zu- noch abgenommen und verharrt auf fünf Prozent. Immerhin, bei An- und Umbauten wird Holz immer beliebter. Der Marktanteil liegt inzwischen bei einem Drittel und hat sich in den letzten knapp zehn Jahren mehr als verdoppelt. Auch Isoliermaterialien mit negativer CO2-Bilanz sind auf dem Markt vorhanden. Statt Steinwolle oder Styropor zu verbauen, lassen sich Fassaden mit Zellulose, Holzfasern, Stroh oder Hanf dämmen.
«Fortschritte macht man momentan vor allem im Bereich Recyclingbeton», sagt Engel. Zwar kommt dieser bislang vorwiegend im Strassenbau zum Einsatz. Das hängt damit zusammen, dass Erfahrungswerte noch fehlen, auf die Architektinnen und Ingenieure für Statikberechnungen zugreifen könnten. Doch erste Vorzeigeprojekte stehen bereits: Der Erweiterungsbau des Kunsthauses in Zürich etwa besteht zu 95 Prozent aus Recyclingbeton.
Stephanie Schnydrig