Kost und Logis: Fingerspitzengefühle

Nr. 6 –

Karin Hoffsten über Astral- und andere Ebenen

Es heisst ja immer, man solle sich nicht nur in der eigenen Bubble bewegen. Also wohnte ich kürzlich in privatem Rahmen der Demonstration eines Konzepts zu Stressreduktion und Energieausgleich bei, genannt Mindflow. Mit Esoterik habe das nichts zu tun, hatte man mir versichert, und auf blockadefreie Gedankenflüsse bin ich schliesslich beruflich angewiesen.

Da sitze ich also mit rund fünfzehn anderen erwartungsvoll vor einem Flipchart, auf dem «Herzlich willkommen!» steht, und sechs (!) Referentinnen, von denen jede einzeln versichert, Mindflow habe ihr Leben komplett verändert und sie sei jetzt ein anderer Mensch. Alle Frauen sind «Experts», eine ausserdem «Coach»: Sie darf ausbilden.

Dann hält eine Expertin ihren Vortrag: Hinter Mindflow stehe uraltes Wissen, das seit 5000 Jahren von wenigen Weisen mündlich weitergegeben und schliesslich Tom Mögele anvertraut wurde. «Der Tom» ist jetzt Energiemeister und stellt dieses Wissen in einem Buch zur Verfügung, das wir heute kaufen können. Ab und zu wirft die Vortragende einen bestätigungsheischenden Blick zur Coachin und erhält leise geraunte Hinweise. Sachte beginnt mein körpereigenes Sektenwarnsystem zu vibrieren. Doch Geduld!, bremse ich mich, Entspannungsübungen sind nie falsch, und autogenes Training funktioniert schliesslich auch.

Auch wir üben jetzt. Erst erden wir uns, indem wir unsere Energie von den Füssen nach oben leiten, dann stellen wir einen Energiekreislauf in uns her, indem wir die Spitze des rechten kleinen Fingers auf die Spitze des linken kleinen Fingers legen – ja nicht umgekehrt! –, wodurch ein «Kurzschluss» entstehe, was mir für einen funktionierenden Kreislauf ein etwas irritierendes Bild scheint.

Auch die Theorie ist anspruchsvoll. Unser schlichtes dreidimensionales Weltbild reicht hier nicht aus, es kommen neun weitere Dimensionen dazu: Auf D4, die Zeit, folgen Astral- (D5) und Mentalebene (D6), D7 und D8 haben keinen Namen, weil sie unser Verstand sowieso nicht fassen kann, und D9 bis D12 bilden schliesslich das G4-Bewusstsein.

Wir staunen. Als wir endlich Fragen stellen dürfen, erfahren wir, dass das alles der Physiker Burkhard Heim «auf die soundsovielte Hinterkommastelle mathematisch bewiesen» habe. «Aber das ist mit dem Verstand, selbst für seine Physikerkollegen, nicht zu begreifen», erklärt die Coachin, und «der Tom» hat daraus sein Energiekonzept geformt. Sie übernimmt nun ganz, da sich die anderen fünf sichtlich überfordert fühlen. So vergeht eine verwirrende Stunde.

Wieder zu Hause, lese ich im Internet, dass Burkhard Heim, der tragischerweise bei einem Sprengstoffunfall beide Hände, Sehkraft und Gehör verloren hatte, als Physiker Dinge erforschte, die in der Branche bestenfalls als versponnen gelten. Und «der Tom» war schon als Kind hellsichtig. Aber hin und wieder die kleinen Fingerspitzen aufeinanderzulegen, schadet ja auch nichts.

Karin Hoffsten räumt ein, dass sie weder von Physik noch von Metaphysik viel Ahnung hat. Aber für Esoterik hat sie ein feines Gespür.