Edward Hopper: Werben mit Kunst

Nr. 9 –

Wie präsentiert man einen Superstar der Malerei? Eine Basler Ausstellung zu Edward Hopper versucht, auch abseits der allzu bekannten Bilder Pointen zu setzen. Und kriegt dann doch etwas Angst vor dem eigenen Mut.

Eines seiner bekanntesten Bilder fehlt. Als wollte man in der Fondation Beyeler der Mona-Lisa-Falle entgehen, die alle BesucherInnen zu einem einzigen Kunstwerk lockt, das allen anderen die Show stiehlt und vor dem dann für die Dauer der Ausstellung kein Platz und kein Durchkommen mehr ist. Wie vor Leonardo da Vincis «Mona Lisa» im Pariser Louvre. Edward Hoppers «Mona Lisa» ist vermutlich «Nighthawks»: erschöpfte NachtschwärmerInnen, die in einem Diner an der Bartheke sitzen, je in sich versunken. Eine erleuchtete melancholische Bühne in grünen und braunroten Farbtönen an einer auffallend leer gefegten Strasse irgendwo in Manhattan.

Eine Schau zum US-Maler, die auf dieses Gemälde verzichtet – und dazu auch noch auf ein paar weitere seiner bekanntesten: Das ist erst mal eine vielversprechende Ausgangslage. Man darf hoffen, in einem Werk etwas Neues zu entdecken, das hinter dem zu Tode Reproduzierten, Imitierten und Gesehenen lange brachlag und nun plötzlich frisch und überraschend hervortritt.

Wie ein Feuermal

Der Kurator Ulf Küster hat sich entschieden, «seinen» Hopper unter das Motto Landschaft zu stellen. Anstelle der berühmten, von verwaisten Menschen besiedelten Innenräume gibt es also im Basler Vorort Riehen zahlreiche eher unbekannte, oft unspektakuläre Landschaftsbilder aus allen Schaffensphasen Edward Hoppers (1882–1967) zu sehen. Darunter Skizzen und Übungen, aber auch frühe, zum Teil auf Karton gepinselte Ölgemälde von steinigen Stränden – und immer wieder Waldstücke, Hügel, das Meer, Uferlandschaften, Häuser – und noch mehr Häuser.

Der gelungene Einstieg in die Beyeler-Ausstellung zeigt, wie sich Hoppers Maltechnik aus dem französischen Impressionismus herleitet. Zwischen 1906 und 1910 lebte er länger in Europa, vor allem in Paris. Das gemalte Seinetal mit Eisenbahnviadukt geht fast nahtlos in die Landschaften von Maine und Cape Cod über. Eine weitere, wohl noch viel tiefere Prägung als der Impressionismus erschliesst sich aus der Arbeitsbiografie Hoppers. Fast zwei Jahrzehnte lang arbeitete er im Brotjob als freiberuflicher Werbegrafiker und Magazinillustrator. Die Ästhetik, aber auch die Blickführung der Werbeindustrie scheinen sich in seine Malerei eingeschlichen zu haben. Manche Hopper-Gemälde kommen – wie Billboards oder Plakate – erst aus der Distanz richtig zur Geltung. Die rote Signalfarbe der Werbung brennt sich vielen seiner Bilder ein wie ein Feuermal. Andere von Hoppers Ölgemälden lagern nahe am Kitsch, ein Eindruck, der zum Teil durch die räumliche Anordnung der Bilder in dieser Ausstellung verstärkt wird: Ein ganzer Raum wurde etwa mit Segelbooten auf blauem Wasser und Leuchttürmen unter blauen Himmeln gefüllt. Dieses Zusammenpferchen der Bilder nach Sujets tut ihnen nicht gut.

Dazwischen gibt es aber eine ganze Reihe von Entdeckungen: ein Schmugglerboot etwa als malerische Fussnote zur Prohibition; zwei schneeweisse Häuser, neckisch übertitelt mit «Two Puritans»; eine rätselhafte Treppenflucht ins Freie. Aufblitzende Pointen unter ansonsten erstaunlich zeichen- und geschichtsleeren Bildern, die in der Auswahl von Riehen vor allem mit ihrem kunstvoll reduzierten Arrangement der Flächen und Oberflächen, mit ihrer strengen Zweidimensionalität, faszinieren. Man lernt hier, Tiefe in den aufgetragenen Farbschichten auszuloten.

Wie ein vorbeiziehender Park

Eine weitere Besonderheit: Alle Landschaftsbilder scheinen vom Auto aus «aufgenommen» worden zu sein. Hopper liess sich oft von seiner Frau Josephine, selber Malerin, chauffieren und skizzierte dabei auf dem Rücksitz – oder auf einem Rastplatz. Hoppers Natur erscheint deshalb immer schon zivilisiert und gebändigt, manchmal wie ausgeschnitten durch das Autofenster. Weiter als ein paar Schritte vom sicheren Gefährt entfernt dringt dieser Künstler nicht in die Wildnis vor. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil sich die USA kulturgeschichtlich essenziell von der lebensbedrohlichen Gefahr und Erkundung einer urwüchsigen Natur herschreiben. Bei Hopper bleiben wir dagegen stets auf dem geteerten Boden der Zivilisation. Und die Natur wirkt in dieser Roadmalerei wie ein vorbeiziehender Park – überraschend für den amerikanischsten aller Maler.

Der deutsche Kurator interpretiert den Wald in diesen Bildern allerdings klar als unheimlich, er verweise auf innere Welten, solle «Unbewusstes» in uns auslösen. Der «Tages-Anzeiger» wiederum sieht zwar die Technik im Vordergrund: Diese bleibe jedoch «überfordert vor der Natur, die das Ungesagte lautlos in Deutung verwandelt». «NZZ am Sonntag» und NZZ wollen in den Bildern des 1967 verstorbenen Malers gar schon Trumps Präsidentschaft heraufziehen sehen: «Er ist vor allem der Maler von Trumps desillusionierter Wählerschaft.» Fast scheint es, als ob die erwähnte Zeichenleere der Bilder Interpretationen und wilde Projektionen wie ein Magnet anzieht.

Dabei wirkt die Ausstellung selbst stellenweise etwas ratlos oder unentschlossen. Die Bildauswahl etwa, die Hoppers Unbewusstes veranschaulichen soll, wirkt beliebig. Ganz auf Blockbusterwerke verzichten wollte man am Ende auch nicht. Indes ist die Schau gerade dort am besten, wo die Gemälde so kombiniert sind, dass Hopper seine Vertrautheit und seine Gefälligkeit verliert, die ihn berühmt gemacht, aber auch abgeschliffen haben. Warum ein solcher klug «fremdelnder» Raum dann allerdings doch wieder mit dem bekanntesten Bild der Ausstellung, «Gas», quasi beschwichtigt werden muss, erschliesst sich nicht. Ist man da über den eigenen Mut erschrocken?

Oder am Ende mutwillig übers Ziel hinausgeschossen? In den letzten Raum wurde ein 3-D-Kino hineingebaut, in dem der eigens für die Ausstellung konzipierte Kurzfilm «Two or Three Things I Know about Edward Hopper» des deutschen Filmemachers Wim Wenders läuft. Wenders reiht kurze handlungsarme Szenen aneinander, inspiriert von Gemälden Hoppers, darunter eine rauchende Frau an der Tankstelle, ein Paar auf einem Bett, eine Landschaft, über die sich ein Schatten faltet. Warum Wenders ausgerechnet einen der flächigsten Maler überhaupt in aufwendiges 3-D-Format übersetzt, bleibt sein Geheimnis. Was der grossspurige und sicher kostspielige Stummfilm zum Verständnis Hoppers beitragen soll, leider auch.

Kultstätte der Originale

Doch der Ärger über Wenders ändert nichts daran, dass die Fondation Beyeler die heikle Aufgabe, mit grossen Namen seriöse Ausstellungen zu machen, insgesamt gut meistert. Das Haus will (oder muss?) beides bieten: Massenmagnete und unerwartete Zugriffe, denen auch KennerInnen etwas abgewinnen können. Fast alle Museen kämpfen mit dem Problem: Wie inhaltlich glaubwürdig bleiben und doch möglichst viele BesucherInnen anlocken? In der Zürcher Maag-Halle läuft gerade eine überdimensionierte Lichtbildshow mit animierten Van-Gogh-Motiven. Das Ticket dazu gewährt eine Ermässigung für die echten van Goghs im Kunsthaus.

Das Museum, traditionellerweise Kultstätte der Originale, kokettiert heute sehr offensiv mit deren technischer Reproduzierbarkeit. Das zeigen Van-Gogh-Spektakel und Wenders’ Hopper-Film, aber auch die Museumsshops mit Kunst auf Foulards, Serviertabletts und Postern. In der Stadt Basel ist kein Entkommen vor der gut geölten Werbemaschinerie der Fondation. Die flächendeckende Plakatierung und Beflaggung zahlt sich aus, die BesucherInnen strömen in Scharen herbei – und es ist ein eindrücklich bunt durchmischtes Publikum. Womöglich werden sich einige von ihnen, verführt vom knalligen Werbesujet, über die tatsächliche Ausstellung etwas wundern. Aber das macht ja nichts.

«Edward Hopper» in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel. Noch bis am 17. Mai 2020. www.fondationbeyeler.ch