Pflanzenzüchtung: Das grosse Geld mit sprunghaften Genen

Nr. 9 –

Ein leitender Forscher von Agroscope hält ein Patent auf ein neuartiges Züchtungsverfahren. An der staatlichen Forschungsanstalt entwickelt er dieses weiter – in seiner eigenen Firma vermarktet er es. Ob es sich um Gentechnik handelt, ist unklar.

Wie sicher ist es, wenn bei der Züchtung erbgutverändernde Chemikalien eingesetzt werden? Kammgrasfeld* auf dem Gelände der Agroscope Zürich. Foto: Ursula Häne

Pflanzen werden unterschätzt, immer wieder. So bezeichneten Forschende bis vor wenigen Jahren grosse Abschnitte des pflanzlichen Erbguts noch als «Junk-DNA», als genetischen Müll. Man verstand schlicht und einfach nicht, wozu sie dienen sollten. Heute weiss man mehr. Durch kluge Züchtung, so die Hoffnung, liessen sich die Folgen der Klimaerhitzung etwas abmildern. Pflanzensorten sind gesucht, die besser mit Hitze, Trockenheit und versalzenen Böden umgehen können.

Vor einigen Jahren decken zwei Forscher einen genetischen Mechanismus auf, der helfen könnte, die Pflanzenzüchtung erheblich zu beschleunigen. Daraus entstehen schliesslich eine Firma, ein ungeprüftes Züchtungsverfahren und eine ungewöhnliche Doppelrolle für einen der beiden Forscher.

Aus Forschung wird ein Patent

Am Anfang steht die Doktorarbeit des Umweltwissenschaftlers Michael Thieme. Er untersucht darin, wie das Erbgut einer Pflanze reagiert, wenn sie hohen Temperaturen ausgesetzt ist. Thieme findet heraus, dass sich bestimmte DNA-Abschnitte bei 37 Grad plötzlich vervielfachen und an zufälligen Stellen im Erbgut auftauchen. Diese «jumping genes» – springende Gene – können das Erbgut einer Pflanze zerstören. Durch Zufall können sie aber auch dazu führen, dass eine Pflanze besser gegen hohe Temperaturen gewappnet ist.

Diesen natürlichen Mechanismus beschleunigt Thieme in seiner Forschung. Er behandelt die Modellpflanze Ackerschmalwand mit zwei speziellen Chemikalien, setzt die Pflanzen dann hohen Temperaturen aus – und sortiert jene Exemplare aus, die widerstandsfähiger gegen Hitze geworden sind.

Um Mutationen geht es also. Das klingt ungemütlich, aber mutagene radioaktive Strahlung oder Chemikalien gehören schon seit Jahrzehnten zu den Methoden der Pflanzenzüchtung. Das sind keine besonders effektiven, eher brachiale Züchtungsverfahren, die aber bis heute angewendet werden.

Die neue Methode des Doktoranden Thieme, das zeigen die ersten Resultate, fügt die Mutationen etwas gezielter ins Erbgut der Pflanzen ein. Sie könnte also ein verfeinertes Instrument für ZüchterInnen werden. Thieme und sein Doktorvater Etienne Bucher beantragen darum zusammen mit der Universität Basel das europäische Patent auf ihr Verfahren. Im Juli 2017 erhalten sie dieses auch.

Während Thieme in der Grundlagenforschung bleibt, gründet Bucher ein Unternehmen namens Epibreed AG. Mit ihm im Verwaltungsrat sitzen seine Schwester – und sein Vater Erich Bucher, FDP-Grossrat im Kanton Basel-Stadt. Die Firma bezieht ein Labor in Riehen bei Basel und stellt einen wissenschaftlichen Mitarbeiter an.

«Ich wollte die neue Methode endlich konkret in der Züchtung anwenden», erzählt Etienne Bucher bei einem Treffen im basellandschaftlichen Sissach. Vater und Sohn Bucher sind unterwegs zu einer Infoveranstaltung mit kantonalen Forstämtern und dem Bundesamt für Umwelt (Bafu). «Die Idee ist, dass wir neue Buchen- und andere Baumarten züchten könnten, die den steigenden Temperaturen und Trockenheit durch die Klimaerwärmung besser gewachsen wären», sagt Etienne Bucher. Sein Vater ergänzt: «Für uns wäre es toll, wenn wir ein solches öffentliches Projekt machen könnten. Dadurch würde unser Verfahren besser bekannt.» Bis jetzt hat die Epibreed AG ausschliesslich Aufträge aus dem Ausland erhalten.

Bis hierhin ist das alles nichts Ungewöhnliches: Regelmässig führen Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung dazu, dass ForscherInnen Spin-offs gründen, um konkrete Anwendungen zu entwickeln. Auch die Patentierung solcher Erfindungen aus der Grundlagenforschung ist keine Seltenheit (vgl. «Umstrittene Patente» im Anschluss an diesen Text).

Was ungewöhnlich ist: Etienne Bucher tritt im Dezember 2018 eine führende Position bei Agroscope an, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung. Er bringt sein Forschungsprojekt mit, für das er gut zwei Millionen Franken europäisches Forschungsgeld akquiriert hat. Dieses Geld fliesst bei Agroscope nun ausschliesslich in die Weiterentwicklung des neuartigen Züchtungsverfahrens, das die Epibreed AG vermarktet.

Finanziert hier öffentliche Forschung die Geschäftsgrundlage eines Unternehmens?

«Win-win-Situation»

Agroscope kann das neue Verfahren trotz Patentschutz anwenden – solange dies in der Grundlagenforschung geschieht. Sobald aber eine neue, kommerziell interessante Pflanzensorte dabei herauskommt, sind Lizenzgebühren an die Epibreed AG fällig, und Bucher profitiert. Gelingen bei Agroscope eine Weiterentwicklung und eine Verbesserung des neuen Verfahrens, so muss Bucher dies publizieren und kann dann das neue Wissen in sein Unternehmen einfliessen lassen. Macht die Epibreed AG dadurch zusätzlichen Gewinn, fliesst nichts davon zurück an Agroscope.

Roland Peter ist Buchers Vorgesetzter bei Agroscope. «Wir haben die Geschäftstätigkeiten von Etienne Bucher ausführlich geprüft, und er hat sie schriftlich deklariert, bevor wir ihn angestellt haben», erklärt er. Man sei zum Schluss gekommen, dass kein Interessenkonflikt vorliege. «Beide Seiten stellten klar, dass die Aktivitäten für die Epibreed AG von den Aufgaben und Arbeiten bei Agroscope getrennt sind.» Peter sieht die Zusammenarbeit mit Bucher als Win-win-Situation: Agroscope profitiere vom Renommee des europäischen Forschungsprojekts. Bucher entwickle im besten Fall das Verfahren im öffentlichen Forschungssektor weiter.

Nun sind auch solche Interessenkonflikte keine Seltenheit – gerade an der Schnittstelle zwischen Forschung und Unternehmen. Die Frage sei, wie man diese regle, sagt Adrian Sigrist. Er ist Geschäftsführer bei Unitectra, der Technologietransferorganisation der Universitäten Basel, Bern und Zürich. «Grundsätzlich sollten Hochschulen oder Forschungsanstalten finanziell beteiligt werden, wenn dort Wissen zugunsten eines Unternehmens generiert wird. Ob und in welchem Umfang eine solche Beteiligung angemessen ist, muss im Einzelfall angeschaut werden», sagt Sigrist.

Es geht dabei ums Feinstoffliche: um Know-how, das vielleicht nicht direkt in eine öffentliche Publikation einfliesst. Um kleine Kniffs aus dem Labor, die die Arbeit beschleunigen können. Um frühe Erkenntnisse darüber, für welche Pflanzen sich das neue Verfahren überhaupt eignet. Dieses Wissen lässt sich kaum in einem Vertrag regeln – und kann wegen der Doppelrolle von Etienne Bucher zwischen öffentlicher Forschungsanstalt und privatem Unternehmen hin- und herfliessen.

Das gefürchtete G-Wort

Und dann sind da noch andere Fragen, die das neue Züchtungsverfahren aufwirft. Wie sicher ist es, wenn dabei erbgutverändernde Chemikalien eingesetzt werden? Und fällt es unter das Gentechnikgesetz? «Gemäss unserer Interpretation: ganz klar nicht», sagt Etienne Bucher. «Die Methode setzt keine neuen oder fremden Gene ein, sondern stimuliert den natürlichen Lernprozess der Pflanze, die sich dadurch den neuen Gegebenheiten anpassen kann.» Diese Einschätzung teilt auch Roland Peter, Buchers Vorgesetzter. «Diese Methode orientiert sich an chemischen Mutationsverfahren, die seit Jahrzehnten in der Züchtung eingesetzt werden.» Doch so einfach ist die Frage «Gentechnik oder nicht?» seit einigen Jahren nicht mehr zu beantworten.

Die Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas9 und die Entwicklung verschiedener anderer neuer gentechnischer Verfahren haben die moderne Pflanzenzüchtung ziemlich auf den Kopf gestellt. Die neuen Methoden versprechen, dass sie viel gezieltere Änderungen im Erbgut einer Pflanze vornehmen können – ohne dass der Eingriff danach nachweisbar ist. Sollten sie darum als weniger riskant eingestuft und nicht als Gentechnik deklariert werden?

Im Sommer 2018 fällte der Europäische Gerichtshof ein überraschendes Urteil: Grundsätzlich seien mutationsbasierte Züchtungsverfahren genauso zu Gentechnik zu zählen wie die Genschere CRISPR/Cas9 und andere neue gentechnische Verfahren. Für die etablierten Züchtungsverfahren, die mit Mutationen arbeiten, gelte jedoch eine Ausnahme. Man kenne diese Verfahren schon seit Jahrzehnten und wisse darum, dass sie ungefährlich seien. Die Schweiz hat sich der Interpretation des Europäischen Gerichtshofs angeschlossen.

Wie sind nun neue Züchtungsverfahren wie jenes von Michael Thieme und Etienne Bucher einzuordnen? Das Verfahren basiert auf Mutationen und würde also unter die Ausnahmeregelung fallen. Gleichzeitig aber fehlt die jahrzehntelange Erfahrung mit diesem Verfahren. Soll es also doch als Gentechnik gelten?

Monika Messmer vom Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) kennt das neue Züchtungsverfahren von Bucher und Thieme gut. Sie war Mitbetreuerin der Doktorarbeit von Thieme, der das Verfahren früh schon VertreterInnen des biologischen Landbaus vorstellte. «Biozüchter lehnen induzierte Mutationszüchtung generell ab», sagt sie. «Aber ich befürchte, dass aus diesem neuen Züchtungsverfahren schon bald Sorten entstehen könnten, die niemand speziell geprüft hat und die nicht deklariert werden.» Für sie ist unklar, ob das neue Verfahren unter das Gentechnikgesetz fällt oder nicht. «Aber allfällige Risiken dieser Methode müssten unbedingt vorgängig untersucht werden, und die Anwendung sollte transparent gemacht werden, damit Landwirte und Züchter eine Wahlfreiheit haben.»

Zuständig für eine solche Prüfung wäre das Bundesamt für Umwelt. Dieses antwortet schriftlich auf die Anfrage der WOZ: «Dem Bafu liegt zurzeit weder eine offizielle Anfrage noch ein Gesuch der Epibreed AG vor.»

*Korrigendum vom 11.3.2020: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion wurde das Foto in der Legende fälschlicherweise als «Weizenfeld» beschrieben. Tatsächlich handelt es sich bei den abgebildeten Pflanzen aber nicht um Weizen, sondern um Kammgras (Cynosurus cristatus).

Umstrittene Patente

Pflanzen, die nicht mithilfe von Gentechnik hergestellt wurden, lassen sich nicht patentieren. So wird das Europäische Patentrecht, das auch für die Schweiz gilt, ausgelegt. Darum fokussieren sich die globalen Agrarkonzerne darauf, Patente auf bestimmte Eigenschaften aus (nicht gentechnisch veränderten) Pflanzen zu erlangen. So hält zum Beispiel Syngenta ein Patent auf eine Schädlingsresistenz, die in bestimmten Peperonisorten vorkommt. Das Patent umfasst aber sämtliche Pflanzensorten, die dieselbe Resistenz aufweisen. Das erschwert die Züchtungsarbeit enorm.

Dass solche natürlich vorkommenden Eigenschaften patentierbar sein sollen, stösst auf immer grösseren Widerstand bei NGOs, der Zivilgesellschaft – und nicht zuletzt auch bei der Europäischen Kommission. Diese schritt im Herbst 2016 ein und gab dem Europäischen Patentamt (EPA) eine neue Richtlinie vor, die solche Patente verhindern soll. Innerhalb des EPA ist man sich uneins darüber, ob diese Einmischung rechtens war. Vorerst sind darum circa 140 Patente, die Eigenschaften von Pflanzen betreffen, in der Warteschlaufe.